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Weil der Nationalgeist fehlt, ist ein Volk von 30 Millionen der Spott Europas geworden“ – diese bittere Erkenntnis ist gut 200 Jahre alt und stammt von dem großen preußischen Patrioten Ernst Moritz Arndt. Leider hat sie bis heute kaum an Gültigkeit verloren. Einziger Unterschied: Es sind inzwischen 80 Millionen, und es ist inzwischen die ganze Welt, die über uns Deutsche den Kopf schüttelt. Nationalgeist, das war für Ernst Moritz Arndt das Bewußtsein des eigenen Stellenwerts in Geschichte, Gegenwart und Zukunft, freilich ohne jene Überheblichkeit, mit der im 20. Jahrhundert im Namen Deutschlands Schrecken verbreitet wurde. Das war Stolz auf die vielen großartigen Leistungen unseres Volkes, auf bedeutende Herrscher, auf Philosophen, Künstler, Wissenschaftler und Erfinder von Weltrang. Das war zugleich Trauer und Bitterkeit, weil es statt einer staatlich geeinten deutschen Nation einen bunten Flickenteppich von Klein- und Kleinststaaten gab, die so eine leichte Beute des übermächtigen, weil national geeinten Nachbarn im Westen werden konnte. Und das war Vaterlandsliebe , die sich aber – trotz einiger mißverständlicher, aus den Wirren der Zeit geborener Formulierungen – nicht aggressiv gegen die Vaterländer anderer Völker richtete – Arndt war praktizierender Patriot im besten preußischen Sinne. In den letzten Monaten und Wochen schien es, als wollten unsere heutigen Politiker einträchtig auf den Spuren des preußischen Dichters wandeln. Parteiübergreifend wurde uns eine nunmehr anstehende große Patriotismusdebatte angekündigt; wenig später verlautete gar, diese Debatte habe – beispielsweise auf diesem oder jenem Partei-Event, wie es heute heißt – bereits stattgefunden, ohne daß das staunende Publikum davon etwas bemerkt hätte. Es sei denn, man wollte das oberflächliche Geplänkel von Regierenden und Oppositionellen („Wir sind die wahren Patrioten, die anderen sind unpatriotisch“) schon als „Debatte“ verstehen. Patriotismus, Liebe zum eigenen Volk und Vaterland – was gibt es da eigentlich zu debattieren? Man hat diese Vaterlandsliebe, oder man hat sie nicht. Zwischen „Deutschland verrecke!“ und „Ich liebe mein Land“ gibt es nichts zu debattieren. Wer sein Vaterland liebt, wird sich selbst durch ideologische Haßprediger nicht darin beirren lassen. Und wer im Selbsthaß verfangen ist, wird sich durch eine Patriotismusdebatte, wie sie beispielsweise jüngst auf dem CDU-Bundesparteitag vorgeführt wurde, nicht vom internationalistischen Saulus zum patriotischen Paulus bekehren lassen. So drängt sich der Verdacht auf, daß linke und rechte Politiker, wenn sie neuerdings den Patriotismus entdecken, in Wahrheit von ganz anderen Defiziten ablenken wollen. Denn was Deutschland heute dringend braucht, ist eine breite Grundwerte-Debatte: Was ist in unserem Gemeinwesen in den letzten Jahrzehnten schiefgelaufen? Welche Weichen sind falsch gestellt worden? Welche Fehlentwicklungen lassen sich überhaupt noch rückgängig machen, welche kann man noch notdürftig reparieren, wo kann man wenigstens die schlimmsten Schäden mildern? Wenn wir diese Wertedebatte so führen, daß sie uns ein Fundament gibt, auf dem wir die Zukunft aufbauen können, dann wird sich die Frage nach der Vaterlandsliebe von selber beantworten. Auch hier kann Ernst Moritz Arndt uns weiterhelfen. Eine seiner bedeutsamsten Schriften beginnt mit den Worten „Was ist des Deutschen Vaterland?“ Natürlich können wir die Antworten, die der große Preuße damals, vor 200 Jahren, gab, heute nicht einfach so übernehmen. Deutschland 1804 war etwas völlig anderes als Deutschland 2004: andere Probleme und Nöte, andere Hoffnungen, andere Möglichkeiten, mit Schwierigkeiten umzugehen. Damals war Deutschland in Kleinstaaterei zersplittert; die wenigen „Großen“, zum Beispiel das noch relativ junge Königreich Preußen, hatten die schwärzesten Zeiten ihrer Geschichte zu durchleiden. Napoleon Bonaparte war gerade dabei, Europa zu erobern, die jahrhundertealte Ordnung des Kontinents brach zusammen, die Völker suchten verzweifelt nach geistiger Orientierung – und hatten bittere Not zu leiden. Heute ist Deutschland eine staatliche Einheit, wenn es auch längst nicht „das ganze Deutschland“ ist, von dem Ernst Moritz Arndt einst schwärmte. Wir leben zwar in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, können aber doch noch ganz gut von den Jahrzehnten des „Wohlstands für alle“ zehren. Was den Mangel an geistiger Orientierung betrifft, dürften wir allerdings nicht besser dran sein als vor 200 Jahren. Daher unterscheiden sich die Antworten, die wir heute auf die Frage „Was ist des Deutschen Vaterland?“ geben, letztlich doch gar nicht so sehr von jenen vor 200 Jahren. Ein Land, in dem Werte wie Treue, Ehrlichkeit, Verläßlichkeit, Fleiß, Verantwortungsbewußtsein, Gemeinsinn gelten – das wäre ein Vaterland, das wir lieben könnten. Und wenn wir heute Probleme mit diesem Vaterland und der Liebe zu ihm haben, liegt das weniger am mangelnden Patriotismus als vielmehr an einem eklatanten Grundwerte-Defizit. Ein Vaterland ohne Werte – warum sollten wir das lieben? Daher brauchen wir heute – statt oberflächlicher Patriotismusdebatten – eine Wiederbelebung dieser Werte und Tugenden. Das Weihnachtsfest wäre ein guter Anlaß, damit zu beginnen. Was feiern wir da eigentlich? Die Geburt Jesu Christi, der auf die Erde kam, um uns Menschen die Liebe seines göttlichen Vaters zu bringen. „Ehre sei Gott in der Höhe, und Frieden auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen“, verheißt der Engel in den Worten des Evangelisten (Lukas 2,14). Kein Wort aber von alledem, was uns heute im Kauderwelsch der Werbestrategen als der eigentliche Sinn und Zweck von „XMas“ angepriesen wird – dieses „Süßer die Kassen nicht klingeln...“ Und anders als in unseren heutigen Massenmedien, denen nur die schlechte Nachricht als gut(verkäuflich) gilt, war das Evangelium – und ganz besonders die Weihnachtsgeschichte – eine wirklich gute Botschaft. Aus ihr erwuchsen über die Jahrhunderte die christlich-abendländischen Werte und Tugenden (unter denen die „preußischen“ nicht die geringsten sind). Nur wenn wir sie bewahren und mit neuem Leben erfüllen, hat unser christliches Abendland, unser Europa, eine Zukunft. Und nur dann wird unser Deutschland ein Vaterland bleiben, das wir lieben können. Der Gendarmenmarkt, für viele der schönste Platz Berlins, wenn nicht ganz Deutschlands, erstrahlt in diesen Tagen im Lichterglanz: links Schinkels Konzerthaus, rechts der Französische Dom – eindrucksvolle Zeugen einer stolzen Vergangenheit unseres Vaterlandes, die auch kulturell stark von preußischem Geist im besten Sinne geprägt war. Ein wahrhaft leuchtendes Beispiel des „Winterzaubers“, mit dem der Senat zur Zeit die Hauptstadt weihnachtlich illuminiert.
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