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Unverbesserliche Utopisten träumen noch heute von der Weltrevolution, der - vorzugsweise links-ideologisch, sozialistisch, kommunistisch ausgestalteten - globalen Menschheitsbeglückung. Damit sind sie reichlich spät dran, genau gesagt, 120 Jahre zu spät. Denn zumindest technologisch gesehen hat die Weltrevolution bereits 1886 stattgefunden: Nahezu zeitgleich und nur 100 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt wurde gleich zweimal das Automobil erfunden. Bis heute prägt es nahezu alle Lebensbereiche der Menschen in aller Welt. Ob die Menschheit damit eher beglückt oder belastet wurde, darüber streitet man sich seit ebenfalls 120 Jahren - Ende offen. Die Weltrevolution jedenfalls kam auf vier Rädern daher.
Wie jede "revolutionär e Situation", so hatte auch die des Jahres 1886 ihre Vorgeschichte. Eine außerordentlich lange sogar: Fünf, vielleicht gar sechs Jahrtausende zuvor war das Rad erfunden worden. Frühe Hochkulturen in Ägypten, Kleinasien, Mesopotamien nutzen es, um schwere Lasten zu transportieren; die pharaonischen Pyramiden, das mykenische Löwentor oder der biblisch-legendäre Turm zu Babel gäbe es ohne das runde Hilfsmittel nicht.
Bald war den Menschen ein Rad zu wenig. Sie montierten zwei Räder auf eine Achse, spannten Pferde davor, und so konnte Homer seine Helden per Streitwagen zu Felde ziehen lassen. Danach tat sich lange Zeit so gut wie nichts. Das von Muskelkraft bewegte ein- oder zweiachsige, zwei-, drei- oder vierrädrige Gefährt blieb prinzipiell unverändert. Das allererste "Automobil", mit dem der Grieche Demetrios vor 2300 Jahren seine Mitmenschen verblüffte, war nur ein Bluff: Im Fahrzeuginnern waren Sklaven versteckt, die für den rätselhaften Vortrieb sorgten - die Fortsetzung des Trojanischen Pferdes mit anderen Mitteln.
Geniale Denker wie Leonardo da Vinci im 15. oder Christiaan Huygens und Isaac Newton im 17. Jahrhundert skizzierten erste mechanische Antriebe, 1768 diente der französische Ingenieur Nicolas Cugnot der Armee einen dreirädrigen Kanonenwagen mit Dampfmaschine an, der freilich weder militärisch noch zivil den Durchbruch schaffte; der vermeintlich revolutionären Neuerung setzten die Wirren der Französischen Revolution dann ein vorzeitiges Ende. Auch in Ländern wie England und Deutschland blieb der "Dampfwagen" auf der Strecke. Überall bestätigte sich: James Watts Dampfmaschine taugte für Eisenbahn und Schiff, keineswegs aber für den nicht an Schienen gebundenen Individualverkehr.
Andere technologische Wege gingen ab etwa 1860 der Franzose Etienne Lenoir und der Deutsche Nicolaus August Otto, die parallel an sogenannten Gas- oder Explosionsmotoren arbeiteten. Während die Franzosen sich dann aber wieder auf allen möglichen Irrwegen verzettelten (unter anderem mit einem dampfmaschinengetriebenen Fahrrad!), konzentrierte sich die zukunftsträchtige Entwicklung auf Deutschland. Otto, der 1872 zusammen mit dem Ingenieur Eugen Langen in Köln die "Gasmotoren-Fabrik Deutz AG" gegründet hatte, meldete 1876 den Viertaktmotor zum Patent an. Seine wichtigsten Mitstreiter: Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach.
Zehn Jahre lang ertrugen die Rheinländer und das "Schwabennest" sich, dann zogen Daimler und Maybach die Konsequenz aus ihren eskalierenden Streitereien, kündigten und zogen nach Cannstatt bei Stuttgart. In der Taubenheimstraße kaufte Daimler für 75000 Goldmark eine Villa im Grünen. Das Gartenhaus wurde zur Werkstatt umfunktioniert; von hier aus nahm das revolutionäre Schicksal seinen Lauf. Entscheidend: Während Ottos Viertakter nur stationär einsetzbar war (bei zehn PS Leistung wog er vier Tonnen), ließen Daimler und Maybach am 3. April 1885 einen 0,25-PS-Motor patentieren, der schon "nur" noch die Dimensionen einer Standuhr hatte.
Bereits am 29. August 1885 folgte das nächste Patent: Der "Petroleum-Reitwagen" war das weltweit erste benzingetriebene Kraftfahrzeug. Am 10. November 1885 wagte Daimlers Sohn Paul die erste öffentliche Ausfahrt mit diesem ersten Motorrad. Als nächstes wurde eine dunkelblau lackierte und laut zeitgenössischen Berichten "fein rot gefaßte" Kutsche mit schwarzen Ledersitzen 1,5 PS stark motorisiert. Erste Testfahrten absolvierte Sohn Paul im 7000 Quadratmeter großen Garten; genauere Daten sind nicht überliefert.
Ein Datum aber war zumindest für die spätere kommerzielle Nutzung der Erfindung entscheidend: Am 30. Januar 1886 verlor Otto durch Urteil des Reichsgerichts das Patent auf seinen Viertaktmotor (DRP 532). Damit war der Weg frei für Daimler und Maybach.
Und auch für Karl Benz in Mannheim. Der hatte jahrelang erfolglos mit Zweitaktern experimentiert. Nun aber konnte er sich mit einem heimlich entwickelten Benzin-Motorwagen an die Öffentlichkeit wagen. Ein Viertakter mit 2/3 PS bei 250 U/min ließ den dreirädrigen Zweisitzer auf vollgummiebereiften Fahrradfelgen mit atemberaubendem Tempo (16 km/h) über die Ringstraße rasen, wie die "Neue Badische Landeszeitung" am 3. Juli 1886 berichtete. Carl Benz saß am Steuer, Sohn Eugen lief mit einer Benzinflasche hinterher, denn einen Tank hatte der Patent-Motorwagen nicht.
Von Mannheim und Cannstatt aus trat das Automobil seinen Siegeszug rund um die Welt an. Benz und Daimler aber fanden erst viel später zusammen: 1926 fusionierten sie zur Daimler-Benz AG. Als Warenzeichen übernahm man den dreizackigen Stern, der Daimlers Ziel, die Motorisierung "zu Lande, zu Wasser und in der Luft", symbolisieren sollte. Die Autos hießen von da an Mercedes-Benz. Der Markenname Daimler war zuvor nach England verkauft worden, nachdem die Schwaben, inzwischen von Cannstatt nach Untertürkheim umgezogen, 1902 den Namen "Mercedes" übernommen hatten. Unter diesem Pseudonym (dem Vornamen seiner Tochter) hatte der gebürtige Leipziger Emil Jellinek 1899 in Nizza auf einem 23-PS-Daimler ein Rennen gewonnen; wenig später aber zog sich die Firma nach einem Unfall aus dem Rennsport zurück. Darauf kaufte Jellinek Daimler gleich 36 Autos ab und erhielt im Gegenzug die Alleinvertretung für die Donaumonarchie, Frankreich, Belgien und USA sowie das Recht, seine Autos als "Mercedes" zu verkaufen. Seine Erfolge waren Anlaß für den neuen Namen.
In den 120 Jahren seit seiner Erfindung hat das Auto sein Aussehen gründlich geändert. Es wurde schneller, sicherer, komfortabler. Grundlegende technische Neuerungen aber gab es nur selten: Fließbandproduktion (1913); Diesel-Lkw (1923; Frontantrieb (1931); Diesel-Pkw (1936); Kreiskolben-(Wankel-)Motor (1963); Hybridantrieb (1998).
Deutschland, das Land, in dem das Auto erfunden wurde, ist mit Top-Marken wie Mercedes-Benz, BMW, VW, Audi, Porsche immer noch gut aufgestellt. Ob bei uns wirklich die besten Autos der Welt gebaut werden, ist persönliche Ansichtssache. Entscheidend ist, daß wir auch weiterhin ganz vorne mitfahren.
Das erste Auto? Karl Benz mit seinem Patent-Dreirad |
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