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Wer hat Angst vor Marianne Birthler?

 
     
 
Als der Bundestag vor zehn Jahren das Stasi-Unterlagen-Gesetz verabschiedete, war sich der Gesetzgeber einig: Mit Hilfe dieses Gesetzes sollte es möglich werden, die noch vorhandenen Akten des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit der DDR zu öffnen, um insbesondere den Betroffenen den Zugang zu den Informationen zu gewährleisten, die die Stasi über sie gespeichert hatte. Darüber hinaus sollten die Akten der Erforschung der DDR-Geschichte zur Verfügung stehen. Man hoffte, so auch zu erhellen, welchen Einfluß die DDR über ihre Agenten auf die Politik der Bundesrepublik Deutschland
genommen hatten.

Rund 1,7 Millionen Personen hatten bis zum Ende des vergangenen Jahres die Einsicht in die Akten beantragt. Das waren nicht nur Normal-Bürger der ehemaligen DDR und der alten BRD, die von der Stasi bespitzelt worden waren, sondern auch Wissenschaftler und Journalisten, die nach den Stasi-Unterlagen über Personen der Zeitgeschichte gefragt hatten. Sie wurden ihnen überlassen, nachdem alles aus den Unterlagen entfernt worden war, was die Privatsphäre berührte und was die Rechte anderer hätte beinträchtigen können.

So kam in der Vergangenheit ans Tageslicht, was der DDR-Geheimdienst über den jetzigen brandenburgischen Ministerpräsidenten Stolpe in seinen Akten hatte, was über den damals schon nicht einflußlosen Rechtsanwalt Gysi, was über den letzten Ministerpräsidenten der DDR, den CDU-Politiker Lothar de Maiziere.

Als jetzt gleiches dem Ex-bundeskanzler Helmut Kohl widerfahren sollte, klagte er dagegen. Er meinte, seine Persönlichkeitsrechte hätten Vorrang vor der historischen Aufklärung. Tatsächlich gab das Berliner Verwaltungsgericht der Klage statt und entschied, die Stasi-Unterlagen über Kohl dürften nicht veröffentlicht werden.

Nun war es nie die Absicht der nach ihrem früheren Leiter benannten "Gauck-Behörde", die viele tausend Seiten umfassenden Informationen über den damaligen Bundeskanzler zu veröffentlichen. Nachdem alles Private und Persönliche aussortiert worden war, blieben noch 2500 Seiten übrig, in denen Kohl nur in seiner Funktion als Politiker genannt wird. Trotzdem klagte Kohl und bekam recht. Es ist anzunehmen, daß, wenn dieses Urteil Bestand haben sollte, damit die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Mitteldeutschland zu Ende ist. Dann sind in Zukunft alle Akten über Personen der Zeitgeschichte der DDR wie der BRD, seien es Richter, Staatsanwälte und Politiker, seien es Chefredakteure und hohe Beamte, gesperrt.

Was besonders übel aufstößt, ist die Tatsache, daß niemand Anstoß an angeblichen "Verletzungen von Persönlichkeitsrechten" genommen hat, so lange nur Bürger der ehemaligen DDR davon betroffen waren. Erst als man daran ging, auch Unterlagen über westdeutsche Polit-Prominenz zu veröffentlichen, begann deren Kampf gegen die Enthüllungen. In Erinnerung sind noch die Klagen des Verlags Gruner & Jahr ("Stern", "Die Zeit" usw.) gegen das Buch des ehemaligen Mitarbeiters der Gauck-Behörde, Hubertus Knabe, über die Zusammenarbeit der Stasi mit den Westmedien und des Herausgebers der "Woche", Manfred Bissinger. Man wollte verhindern, daß Knabe die Verbin- dungen der westdeutschen Medienmächtigen mit der Stasi aufdeckte.

Es erregte zunächst Erstaunen, daß Innenminister Schily sich auf die Seite des ehemaligen Bundeskanzlers Kohl und des Gerichtsurteils stellte und der jetzigen Leiterin der Behörde, Marianne Birthler, die Veröffentlichung von Papieren über weitere Persönlichkeiten der Zeitgeschichte untersagen wollte und ihr sogar mit einer Rechtsaufsicht drohte, wozu er überhaupt nicht ermächtigt ist. Er blieb auch dabei, als sich seine derzeitige Partei, die SPD, hinter Birthler stellte. Inzwischen aber bekommt Schilys Aktivität einen unangenehmen Beigeschmack, denn es wird berichtet, daß auch Schily fürchten muß, daß ihm unangenehme Fragen gestellt werden, falls seine Stasi-Unterlagen ans Licht kommen. Er soll in jener Zeit, als er noch linksextreme Terroristen der Roten Armee Fraktion mit großem Engagement vor Gerichten verteidigte, als es aus professionellen Gründen üblich war, Kontakte zur DDR-Seite gepflegt zu haben, die ihren Niederschlag in Stasi-Akten fanden.

Es besteht der Verdacht, daß mit dem Kohl-Urteil tatsächlich die Akten über die kommunistische Herrschaft beendet und alles Üble aus der damaligen Zeit unter den Teppich gekehrt wird. Und das paßt gut zu der eklatanten Rehabilitierung der PDSED mit ihrem Chef Gysi.

Und ist die Diskussion über die kommunistische Gewaltherrschaft zum Schweigen gebracht, dann kann man sich wieder ganz ungestört mit der "Bewältigung" jener Vergangenheit beschäftigen, die vor 56 Jahren zu Ende gegangen ist. Martin Lüders

 
     
     
 
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