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Sie gehört zu den Klassikern der ostdeutschen Literatur, die Erzählung "Laura oder der Markt zu Wehlau" der Königsberger Schriftstellerin Katharina Botsky. Es ist die Geschichte von einem Pferdediebstahl, die damit endet, daß der arme Bestohlene nach einer Weissagung tatsächlich seine geliebte Laura, eine langhalsige Kobbel, wiederfindet. Was gar nicht so einfach ist, denn bei Donner und Blitz geraten die kaum überschaubaren Pferdemassen auf der Wehlauer Schanze in Panik. Die Schriftstellerin hat damit - lange vor Krieg und Vertreibung - dem berühmten Wehlauer Pferdemarkt ein literarisches Denkmal gesetzt, der einst mit einem Auftrieb bis zu 20 000 Pferden der größte der Welt war. Anlaß genug, einmal auf dieses Ereignis zurückzublicken, das alljährlich in den ersten Julitagen die beschauliche Kreisstadt zum Mittelpunkt des Pferdelandes Ostdeutschland werden ließ.
Welch eine Bedeutung die Pferdezucht für das Land zwischen Weichsel und Memel bis zum Zweiten Weltkrieg hatte, beweist der Bestand von 478500 Pferden im Wirtschaftsjahr 1938/39. Die Liebe der Ostdeutschland zum Pferd kann man nicht mit nüchternen Angaben dokumentieren, sie ist angeboren und wird auch heute noch weitergegeben. Sichtbar bewies diese aus Urzeiten gewachsene Verbindung zwischen Mensch und Pferd der Markt zu Wehlau, von dem nicht belegt ist, wann er gegründet wurde. Er entwickelte sich hier im altprussischen Nadrauen im Laufe der Jahrhunderte mit der wachsenden Landwirtschaft und der immer bedeutender werdenden Pferdezucht. Seine Blütezeit war im 19. Jahrhundert bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Hiervon bezeugt ein alter Bericht, der die einmalige Stimmung dieses riesigen Pferdemarktes wiedergibt:
"Anfang Juli in Ostdeutschland. Pferde ziehen auf allen Straßen nach Wehlau. Angehängt an Planwagen, denn die ganze Familie des Besitzers will dabei sein. Mundvorräte für eine Woche hat man mitgenommen - so lange dauert der Markt, und über den Handel hinaus will man ja auch das bunte Marktleben genießen. An den russischen Grenzübergängen wie in Eydtkuhnen drängen sich die Pferde, jedes Tier an den Schwanz des vorangehenden gebunden. Ein goldenes 20 Mark-Stück wird für das Pferd hinterlegt, dem man eine Plombe in die Mähne drückt."
Je näher man Wehlau kommt, desto mehr Pferde und Wagen verflechten sich zu dichten, sich langsam vorwärts wälzenden Pulks. Katharina Botsky beschreibt das so: "Heere von Pferden ziehen durch die Nacht. Pferdezüge rollen und rollen aus dem ganzen Reich nach Wehlau. Es wiehert und schnaubt und stampft überall. Wie Spuk ist der Auftrieb der Pferde im Dunkel der gewitterschwülen Nacht, es sind Tausende, die da kommen. Tänzelnd die Trakehner Hengste. Schwere Pferde, die riesigen Ermländer. Im Licht der Blitze marschieren die klobigen Wallache, Zöpfe an den Köpfen, etwas schwermütig zum Markt." Bis sich dann die Ströme zur kaum übersehbaren Pferdeflut auf der Schanze vereinen.
Die Stadt hat sich auf dieses Hauptereignis des Jahres gut vorbereitet. Auf der Schanze, dem 800 Morgen großen Marktgelände, wurden Vorführbahnen und Fahrplätze geschaffen, Zelte und Verkaufsbuden errichtet. Hochbetrieb herrscht in allen Häusern, nicht nur in den Gastwirtschaften, denn Landwirte, Offiziere und Reiter aus aller Welt sind gekommen, um den berühmten Trakehner zu kaufen. Aufkäufer der Bergwerke Schottlands, Belgiens, Lothringens, von der Ruhr und aus Oberschlesien suchen die zähen ostdeutschen "Kunter".
Posthaltereien, Brauereien und andere öffentliche und private Betriebe finden das geeignete Zugpferd unter den abertausend Pferden. Hunderte Eisenbahnwagen befördern an jedem Markttag die gekauften Pferde nach allen Teilen Europas.
Auf der Schanze knallen die Peitschen, knirscht das Leder der Trensen und Sättel. Sorgfältig gestriegelte Tiere im neuen weißen Halfter werden vorgeführt, vorgeritten, vorgefahren. Kritische Augen mustern das Gebiß der Pferde, um ihr Alter festzustellen. Verächtlich wird ein Angebot zurückgewiesen, man trennt sich, um nach einem guten Stündchen neu zu verhandeln - na ja, man hat doch Zeit -, augenzwinkernd, zäh, nur Schritt für Schritt nachgebend, bis endlich nach Stunden der Handschlag den Kauf besiegelt und ein kräftiger Schnaps den Kauf beschließt.
Da sitzt dann mancher "Kupscheller" auf dem Hafersack und schläft seinen Rausch aus. Aber Vorsicht - natürlich ist in dem Gedränge auch Diebsgesindel am Werk. Das hat es nicht nur auf die Geldbeutel abgesehen. Auf den Abfahrtsstraßen prüfen Landgendarmen den rechtmäßigen Besitz, denn die Pferdediebe sind für ihre Gerissenheit unrühmlich bekannt - na, und erst die Roßtäuscher. Mißtrauen ist schon angebracht, soll sich nach dem Kauf der feurige Hengst nicht als lahme Kragg entpuppen. Aber das gehört nun einmal zu dem bunten, lauten, kaum überschaubaren Marktgeschehen.
So war das vor hundert Jahren in Wehlau. Mit zunehmender Motorisierung ging der Wehlauer Pferdemarkt zurück, seit 1912 dauerte er nur noch drei Tage, blieb aber mit einem Auftrieb von über 5000 Pferden der größte Europas und sandte immer noch über tausend Pferde jährlich in den Westen. Aber auch das ist nun Vergangenheit.
Die Erinnerung ist geblieben. Mit Vergnügen habe ich noch einmal die Geschichte von "Laura und der Markt zu Wehlau" gelesen - vor allem, weil ich die 1879 in Königsberg geborene Schriftstellerin gut kannte. Von ihren Romanen und Erzählungen blieb wohl nur "Laura" in einigen Sammelbänden und Anthologien erhalten.
Köstlich, wie sie das Auffinden durch den Besitzer des gestohlenen Pferdes, der sich mit Laura und einem Rollwagen seinen bescheidenen Lebensunterhalt sichert, beschreibt: "Der Handel ging ungestört weiter. Ein dicker Mann mit derbem Krückstock, die Schirmmütze im Genick, stand hinter einer Pferdereihe, hatte eines am Schwanz gepackt und fragte breit und gemütlich: "Wat sull de Kobbel koste?" Beim Anblick dieses Pferdes, der "Kobbel", die alle anderen überragte, nicht so sehr durch Schönheit sondern durch einen langen Hals, tat Onkel Fischer einen Sprung, denn dieses Pferd war - Laura! "De Kobbel jehört mir," schrie er wild. "Das ist mein Pferd! Laura! Laura!"
Der lange Pferdehals reckte sich ihm unaufhaltsam entgegen, zärtlich wiehernd, dann nieste Laura vor Freude. "Herr Gendarm!" schrie Onkel Fischer. "De Kobbel jehört mir. Is mir vor paar Tagen jestohlen! Sehen Se, Herr Wachmeister, würd mir eins von de andern Peerds den Kopp anne Brust lejen?" Denn das tat Laura jetzt.
Schöner kann das innige Verhältnis eines Ostdeutschland zu seinem Pferd eigentlich nicht dokumentiert werden.
Die Tiere drängten sich an den Grenzen
Zäh wurde verhandelt, bis ein Handschlag den Kauf besiegelte
"Der lange Pferdehals regte sich unaufhaltsam"
Ein Großereignis: Auf dem Weg zum Pferdemarkt in Wehlau. |
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