|
Die von Parteien nicht finanzierte unabhängige konservative britische Denkfabrik Civitas stellt der sozialistischen Labour-Regierung und ihrer Verbrechensbekämpfung ein sachliches und dennoch vernichtendes Urteil aus. Ihre Studie vom 2. Januar ist gleich in mehrerer Hinsicht bemerkenswerter Zündstoff: Nicht nur, daß das Dossier Englands Verbrechensentwicklung über einen langen Zeitraum untersucht, es kommt auch der direkte Vergleich mit Deutschland, den USA sowie Frankreich zur Sprache. Überraschendes Ergebnis: Nicht Unterfinanzierung oder falsche Polizeipolitik, sondern ein rapider Werteverlust der Gesellschaft sind das Hauptproblem für den in der Studie beobachteten massiven Anstieg des Verbrechens.
Die Untersuchung stützt sich auf die Verbrechenszahlen im Vergleich zu den sie bearbeitenden Polizisten. Doch auch eine von der Vergangenheit bis in die Gegenwart reichende Auseinandersetzung mit den Polizeimethoden weist die Studie auf. Überraschend dabei: Die Briten hätten eigentlich beste Voraussetzungen für eine gute Strafverfolgung. Erfolgreich in anderen Ländern angewandte Strategien berufen sich zurecht auf England – allerdings auf das der Vergangenheit vor 30 Jahren. Heute gelte konsequente Polizeiarbeit nichts mehr in ihrem Mutterland. Statt des traditionellen „Bobby on the beat“, des Ordnungshüters vor Ort, der selbst bei kleinen Gesetzesübertretungen sofort einschreitet, herrsche heute eine Politik des Rückzugs und der Ratlosigkeit, so der Tenor der Analyse. Dabei hätten Erfahrungen in Frankreich und in den USA, vor allem New York, gezeigt, wie richtig ein konsequentes Auftreten der Polizei schon bei Ordnungswidrigkeiten sei. Die Polizei wird dort bereits beim zerbrochenen Fenster aktiv – in dem Wissen, daß sie so quasi erzieherisch tätig wird, eine Atmosphäre schafft, in der die gesetzesfeindlichen Elemente nicht das Gefühl gewinnen können, sie seien die Herren der Straße. Mit diesem deutlichen Verweis auf „law and order“ verschaffen sich die Autoren natürlich nicht nur Zustimmung. Die linksliberale Zeitung Guardian kommentiert den Bericht mit dem Zusatz, das die Autoren „umstritten“ seien.
Die Thesen sind in der Tat Sprengstoff für jede linkslibertäre Laissez-faire-Politik, legt sie doch den Finger in die offene, doch stets auch in Deutschland bei Rot-Grün geleugnete Wunde: Ein „Verlust an gemeinsamen Werten“ ist laut Analyse der britischen Denkfabrik die Ursache, die zu dem seit Jahrzehnten in Europa zu beobachtenden und in Großbritannien besonders dramatischen Anstieg der Kriminalität geführt hat. Dieser Verlust, der den Bürgern der europäischen Demokratien gemeinhin als pluralistischer oder multikultureller Zugewinn verkauft wird, ist durch die Studie in England nun grundsätzlich als solcher benannt worden – ein Tabubruch.
Kein Wunder, daß regierungsnahe Institutionen dementieren, ihre Verbrechenszahlen ähnlich vielen deutschen Kriminologen zu rechtfertigen suchen. Doch: Die Studie zeigt, daß der Regierungsvergleich von heute mit den frühen 80ern hinkt – schon zuvor hatte das Verbrechen einen steilen Anstieg genommen, Trend ungebrochen. Ein Kriminalitätsvergleich, der ähnlich auch hierzulande offiziell gern angewandt wird, so daß der bereits drastische Anstieg in den 60er und 70er Jahren meist unbeachtet bleibt. Dennoch habe Deutschland die Herausforderung durch das Verbrechen besser beantwortet als England, so ein Vorwurf der Studie.
Das „echte Problem“ sei angesichts der Zuwachsraten nicht etwa unzureichende Polizeiarbeit, argumentieren die Verfasser, „sondern an erster Stelle der Verlust verinnerlichter Moralprinzipien, die Menschen davon abhalten, Verbrechen zu begehen“. 1921 hätten beispielsweise 57.000 Polizisten 103.000 Straftaten zu bewältigen gehabt, während 2003 134.000 Polizisten in 5.899.000 Straffällen ermittelt hätten. Die beiden Autoren des in Großbritannien für Aufsehen sorgenden Papiers, Normann Dennis und George Erdos, attackieren unmittelbar die offiziellen Angaben zur Verbrechensentwicklung aus Kreisen der Labour-Regierung. Schon 1992 hatten die Initiatoren der aktuellen Studie der liberalen gesellschaftlichen Führungsschicht Ignoranz gegenüber dem sichtbaren Zusammenhang zwischen Familienzerfall und sozialer Unruhe bescheinigt.
Die Aussage des Innenministeriums, die Verbrechensrate sei auf niedrigem Niveau und würde sinken, sei schlicht falsch. Die kulturelle Revolution der 60er Jahre, die viele Institutionen ausgehöhlt habe, die ursprünglich moralisches Kapital erzeugt hätten, sei verantwortlich zu machen, so das derzeitige Fazit von Civitas. Besonders die Familie, basierend auf der Ehe, sei unterminiert worden. „Jugendliche, die in einem problembehafteten und nicht funktionierenden Haushalt aufwachsen, in dem moralische Werte nicht verinnerlicht sind, die Schulen besuchen an denen Lehrer Angst haben oder unwillig sind, den Unterschied zwischen richtig und falsch zu lehren, die in Gemeinschaften leben, in denen der Einfluß von Religion zu vernachlässigen ist, werden naturgemäß zu Selbstbelobigung und zu situativen ethischen Entscheidungen neigen“, so die zusammenfassende Begründung. Daraus erwachse ein Verbrechensproblem, das kaum noch zu beziffern sei. Die Politik, folgert Civitas, habe es schwer, wenn geteilte Verhaltensnormen fehlten und es sogar Streit darum gebe, was denn gutes und schlechtes Verhalten darstelle. Es sei schlicht das Ende der Gesellschaft, wenn sie über solch Grundlegendes keine Einigung mehr erziele. |
|