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In Berlin macht eine Angstzahl die Runde: 40000. So viele Zwangsprostituierte würden zur Fußball-WM nach Deutschland geschafft, um hier zum Sex gezwungen zu werden, schätzt deutsche Städtetag. Die Zeitschrift "Emma" sieht sich in ihren schlimmsten Vorahnungen bestätigt: "Das Rotlicht-Milieu rüstet auf", will das feministische Magazin erfahren haben.
Bei näherem Hinsehen jedoch entpuppt sich 40000 als eine absurd hohe Zahl. Warum offenbar bewußt dramatisiert wird, will die linksalternative "taz" herausgefunden haben: Frauenaktivisten hätten mit der WM die "ideale Plattform gefunden", um ihre Themen auf die Tagesordnung zu setzen.
Gespeist werden sollen Straßenstrich und Bordelle angeblich von "Zuhältern, Bordellbetreibern und Frauenhändlern mit Zwangsprostituierten" meist aus Osteuropa. Die "Emma"-Macher und andere Feministinnen skizzieren vor diesem Hintergrund das Bild vom rabiaten, besoffenen, grölenden Fußballfan, der nach dem Spiel noch eine Hure aufsucht, deren Armut er skrupellos ausnutzt. Aber nicht nur Feministinnen haben Handlungsbedarf erkannt. Eine Vielzahl von Organisationen sieht ein Betätigungsfeld - vom Bund deutscher Kriminalbeamter über kirchliche Gruppen bis hin zu Amnesty International.
Der Berliner Senat will da nicht abseits stehen: Trotz Haushaltsknappheit fördert er eine Reihe von Initiativen, Einrichtungen und Beratungsstellen, die im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft Aktionen zu den Themen Gesundheit und Zwangsprostitution durchführen. Zu einer gemeinsamen Pressekonferenz haben vergangene Woche die Senatoren Harald Wolf (Wirtschaft, Arbeit, Frauen) und Erhart Körting (Inneres) geladen. Sie stellten die Initiative "Ban Ying" vor, die die Internetseite www.verantwortlicherFreier.de betreibt. Allein Ban Ying bekommt vom Senat vier Stellen bezahlt, dazu eine 12000 Euro schwere Werbekampagne.
Wolf (Linke/PDS) wiegelt dennoch erstmal ab. "Die Zahl von 40000 halten wir für zu hoch", beruhigt er. "Trotzdem sollten wir uns mit dem Thema durchgängig beschäftigen. Der Senat weist der Bekämpfung des Menschenhandels eine besondere Bedeutung zu." Dazu gehören für ihn effektive Strafverfolgung und Opferhilfe. "Damit wird mehr Profit als mit Drogenhandel gemacht", behauptet Wolf. Belegen kann er diese sehr gewagte Einschätzung allerdings nicht. Auch sein Kollege Körting (SPD) kann es nicht und versucht, die wahren Ausmaße des befürchteten Menschenhandels auf ein realistischeres Niveau zu taxieren.
In Berlin gebe es 6000 bis 8000 Prostituierte. Neuerdings kämen die Frauen überwiegend aus dem ehemaligen Ostblock, nicht mehr aus Thailand, berichtet Körting. Wieviel davon tatsächlich Opfer von Zwangsprostitution sind, läßt eine andere Zahl ahnen, nämlich die der einschlägigen Ermittlungsverfahren. Das waren laut Körting im vergangenen Jahr gerade einmal 41 - wobei noch nicht abschließend gesagt werden kann, wie viele Ermittlungen zur Verurteilungen geführt haben und wie viele sich als grundlos erwiesen. Es ist also davon auszugehen, daß die tatsächlich aufgedeckten Fälle von Zwangsprostitution noch weniger betragen als 41.
Die Zahl klingt nicht gerade bedrohlich. Selbst in Berlin nicht, auch wenn der Senator einwendet: "Sie können sicher sein, daß es eine hohe Dunkelziffer gibt."
Die "Ban-Ying"-Aktivistin Nivedita Prasad sitzt zwischen den beiden Senatoren und betont: "Wir bekämpfen den Menschenhandel und nicht die Prostitution." Auch Prasad dämpft die Panik, was die reale Gefahr einer sprunghaft anwachsenden Zahl von entführten Mädchen aus Osteuropa zur WM-Saison angeht. "Vier Wochen reichen doch gar nicht. Da kann eine Frau doch gar nicht genug erwirtschaften, daß es sich lohnt, sie deswegen nach Deutschland zu bringen. Außerdem wird es eine hohe Polizeipräsenz geben."
Trotzdem wird ihr Verein 9000 Plakate kleben. In Herren-Toiletten sollen Schilder aufgehängt werden, die eine "Prostitution ohne Gewalt und Zwang" fordern. Am Pinkelbecken müßten Männer mindestens zehn Sekunden verharren, das werde ausreichen, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, so Prasad. "Wir hoffen auf den politisch korrekten Freier", faßt Prasad ihre Hoffnungen zusammen. "Frech" nennt Wolf die Aktion jovial und meint das natürlich als ausdrückliches Lob.
Auch Polizeipräsident Dieter Glietsch, der ebenfalls die künstlich erregten Gemüter zu beruhigen versucht, und der Berliner Verdi-Vize Andreas Köhn kommen zu Wort. Der Zwiespalt zwischen Akzeptanz und gleichzeitiger Ächtung von Prostitution rumort in dem Arbeitnehmervertreter besonders heftig. Eigentlich sei Prostitution "der Schatten Europas, wenn nicht moderne Sklaverei", schimpft Köhn. Gleichzeitig fordert er jedoch einen gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn für Huren - sozusagen Sklaverei nach Tarif also.
"Wir rechnen damit, daß die Prostitution bei dem Massenspektakel WM zunimmt - so wie Taschendiebstahl und Falschgeldumlauf auch", bekräftigt Körting dann noch einmal den Zweck die Kampagne.
Trotzdem bleiben viele Fragezeichen hinter der Aufgeregtheit, die hier von Interessenverbänden produziert wird. Für Athen entwarfen selbsternannte Fachleute ein Schreckensgemälde, nach dem ruchlose Menschenhändler 20000 Prostituierte anläßlich der Olympischen Spiele 2004 in die Stadt schleusen würden. Tatsächlich ermittelte die griechische Polizei - ähnlich alarmiert wie jetzt deutsche Stellen - am Ende ganze 181 Fälle.
Im Visier der Polizei: Regelmäßig lassen Ordnungskräfte illegale Bordelle wie hier in Hamburg "hochgehen". |
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