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Die in Berlin erscheinende russische Zeitung Europa-Express berichtet vom ersten Fall von Entschädigungszahlungen Rußlands gegenüber einem Deutschen für geleistete Zwangsarbeit. Die deutsche Botschaft in Moskau informierte darüber, daß dem 73jährigen Heinz Bornschein aus Essen, der nach dem Krieg in den Kohleschächten Workutas gearbeitet hat, eine Kompensation für 78 Monate Zwangsarbeit in Höhe von ungefähr 170 Euro gewährt wurde. Dieses Geld wurde ihm jedoch nicht nach Deutschland überwiesen, weil Rußland es nur dann auszahlen könne, wenn der Geschädigte in Moskau ein Bankkonto eröffnen würde. Dafür müßte er allerdings nach Rußland reisen und persönlich die erforderlichen Formalitäten erledigen. Alle Versuche deutscher Diplomaten, das Problem anders zu lösen, blieben bislang erfolglos. Die deutsche Botschaft teilte dem ehemaligen Lagerhäftling mit: "Auf unsere Anfrage bezüglich der Möglichkeit, die Kompensation auf das Konto der deutschen Botschaft oder einer anderen Einrichtung zu zahlen, haben wir ebenfalls eine negative Antwort erhalten." Bornschein zeigte sich allerdings wenig geneigt, eine Reise nach Moskau anzutreten, die ihn zirka 1.500 Euro kosten würde, für eine Entschädigung von 170 Euro!
Diese Unverhältnismäßigkeit muß einen Deutschen schon sehr verwundern, zumal Deutschland im Unterschied zu Rußland nicht nur die höchsten Entschädigungen an seine ehemaligen Zwangsarbeiter zahlt, sondern auch darum bemüht ist, die Auszahlungen nicht durch unnötige bürokratische Hürden zu verzögern.
Wenn beispielsweise einem Russen, der im Dritten Reich Zwangsarbeit geleistet hat, 2.500 Euro Entschädigung zugesagt werden, zahlt der Fonds "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", der von der Bundesregierung und deutschen Industrieunternehmen gegründet wurde, die Kompensation an die russische Abteilung des Fonds in Moskau aus. Von dort wird das Geld dem Empfänger je nach Wunsch in Euro oder Dollar ausgezahlt. Zur Zeit hat Deutschland bereits über 80 Millionen Euro an die Moskauer Bank gezahlt. Insgesamt hat der Fonds schon 1,5 Millionen ehemaligen "Ostarbeitern" Kompensationen in Höhe von 2,6 Milliarden Euro ausgezahlt.
Bornschein hatte schon viele deutsche Behörden um Hilfe gebeten, doch erhielt er stets dieselbe Antwort, die er schon im Jahr 2000 vom Außenministerium der Bundesrepublik Deutschland erhalten hatte: "Das nationalsozialistische Regime hat vielen Menschen in Europa großes Leid zugefügt. Die Bundesregierung ist sich auch dessen bewußt, daß während des Zweiten Weltkrieges und in den Nachkriegsjahren viele Deutsche Opfer von Gewalt und Willkür von seiten ausländischer Mächte wurden. Aber so unrechtmäßig die Handlungen anderer Mächte auch waren, sind ihre Gründe in der Regel mit den ungeheuerlichen Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes verbunden. Deshalb beabsichtigt die Bundesregierung nicht, von der Russischen Föderation Kompensationen für die Opfer von Zwangsarbeit zu fordern."
Schon beim Einmarsch der Roten Armee im Jahre 1944 wurden ungefähr 200.000 Deutsche in die UdSSR deportiert. Heinz Bornscheins Schicksal, geboren 1930, gleicht dem vieler Kriegshäftlinge. Zur Zeit seiner Deportation 1949 arbeitete der damals 19jährige Berliner als Praktikant bei der SPD-Zeitung Telegraph. Im September 1949 wurde er beschuldigt, subversive Arbeit geleistet zu haben, und zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Zusammen mit 200 Menschen wurde er in einen Eisenbahn-Waggon verladen, der nach Osten in Richtung Moskau fuhr. Nach Stalins Tod 1953 wurde die Strafe auf zehn Jahre verkürzt. Von April 1950 an arbeitete Bornschein als Bergarbeiter in einem Kohleschacht. Die Arbeiter wohnten in Baracken zu 150 bis 200 Mann. "Viele sind verhungert", erinnert sich Bornschein.
Im September 1955 erreichte Konrad Adenauer bei der UdSSR die Freilassung von 10.000 Kriegsgefangenen und 20.000 Zivilinternierten. Auf Adenauers Liste stand auch Bornschein. Nach sechseinhalb Jahren unter sowjetischem Regime traf er am 13. Oktober 1955 im Lager Friedland ein, unweit von Göttingen. Als nach der deutschen Wiedervereinigung Kompensationen an die "Ostarbeiter" gezahlt wurden, entschied Bornschein sich am 1. November 1999 dazu, selbst über die russische Botschaft in Berlin den Antrag auf Entschädigung zu stellen. Weil er keine Antwort erhielt, schaltete er deutsche Beamte ein, indem er die Hilfe der deutschen Botschaft in Moskau nutzte.
Es dauerte vier Jahre, bis er die ersten Ergebnisse erzielte: Die Generalstaatsanwaltschaft Rußlands rehabilitierte ihn. Doch damit war Bornschein nicht zufrieden und erreichte letzten Endes den Zusatz, daß ihm eine finanzielle Kompensation zustünde. "Die Größe der angebotenen Kompensation richtet sich nach Art. 15 des ‚Gesetzes über die Rehabilitation für Opfer politischer Repressionen und beträgt 75 Rubel pro Monat", erklärte die Botschaft. Nach der Berechnung der russischen Behörde wurden ihm 5.850 Rubel für 78 Monate angeboten. Das heißt, man hatte ihm für 2.340 Tage Zwangsarbeit umgerechnet 2,5 Rubel pro Tag geboten. Bornschein, der nach dem Krieg in führender Position bei einem großen deutschen Autohersteller beschäftigt war, wertet die Offerte als Hohn. Dennoch sieht er in dem russischen Angebot, ihm eine Kompensation zu zahlen, ein Ereignis von höchster politischer Brisanz.
Dem Außenministerium der BRD schrieb Bornschein: "Wenn die Vertreter meines Landes derartige Handlungen aus dem Grund der politischen Korrektheit zulassen, neige ich dazu, das Verhalten der Regierung als Verrat zu betrachten." |
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