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Welch Stadt voll echten Bürgertums,/ voll freier, frischer, reger Tätigkeit,/ voll edlen Sinns für Kunst und Wissenschaft,/ voll Liebe für das deutsche Vaterland,/ gastfrei und freundlich gegen jedermann!", so lobte Hoffmann von Fallersleben 1871 die Stadt Hamburg, dessen Deutschlandlied 30 Jahre zuvor, am 5. Oktober 1841, in der Hansestadt zum ersten Mal öffentlich vorgetragen wurde. Mit anderen Vertretern der schönen Künste sind die Hamburger Bürger wie Stadtväter nicht immer so zuvorkommend umgegangen. Ihrem Sohn Johannes Brahms und auch dem hoffnungsvollen jungen Heinrich Heine zeigten sie einst die kalte Schulter. Kunst und Kommerz unter einen Hut zu bringen war in der Stadt der Pfeffersäcke oft genug ein gewagter Drahtseilakt.
Und doch zog es immer wieder Künstler und Gelehrte in die Stadt an Elbe und Alster. Grund genug, sich einmal auf Spurensuche zu begeben und die Wege der Künstler, Dichter und Schriftsteller zu erforschen, die es aus Ost- und Westpreußen nach Hamburg gezogen hat sei es für einen kurzen Besuch, sei es für einen längeren Aufenthalt. Bei dieser Spurensuche verlassen wir der besseren Übersicht halber allerdings den engen Bereich der einstmals von Wällen umgebenen Stadt und beziehen die alten Vororte mit ein.
Zu den bedeutendsten Besuchern Hamburgs gehört ohne Zweifel der aus Mohrungen stammende Johann Gottfried Herder (17441803). Sein Weg führte ihn 1783 zu Klopstock nach Ottensen, aber vor allem zu dem Freund nach Wandsbek, zu Matthias Claudius. Am 24. Mai 1783 schrieb Herder an seine in Weimar gebliebene Frau Caroline: "Ich bin glücklich mit Gottfried in Wandsbeck seit gestern 11 Uhr ... in Claudius Hause. Er wohnt sehr hübsch, ein schönes Haus, hinten an einem sehr großen Grasplatz, der aber sehr dürr ist, denn Küchengarten u. nun fangen die Alleen u. ein hübsches Wäldgen der gnädigen Herrschaft an, das aber offen, frei und alles wie sein ist. Nur fehlt Wandsbeck Wasser und liegt zu sehr im Sande sonst ists sehr angenehm. Er ist ganz derselbe; nur 20 Jahre älter und in sich gekehrter ... Sein Büchel ist bis auf wenige Bogen fertig u. er ist davon noch krank: denn wenn er ein Buch schreibt, wird er krank u. er hat an diesem seit dem Winter geschrieben ..."
In einen anderen Hamburger Stadtteil führt eine weitere Spur, nach Öjendorf. Dort fand der 1741 in Langfuhr bei Danzig geborene Historiker und Schriftsteller Johann Wilhelm von Archenholtz seinen Altersruhesitz. Der Verfasser der volkstümlichen "Geschichte des siebenjährigen Krieges" starb dort 1812.
In Danzig wurde 1858 Albert Vincent Broschek geboren ( 1925 in Königsberg). Der Buchdrucker und Zeitungsverleger gab das "Hamburger Fremdenblatt" heraus und führte 1911 das Kupfertiefdruckverfahren ein; bald entwickelte sich sein Unternehmen zum größten seiner Art auf dem europäischen Festland. Die Firma existiert übrigens mit zwei Tochterunternehmen in Lübeck und Stelle noch heute. 1884 wurde bei Kulm eine Frau geboren, die sich als Oberschulrätin, aber auch als eine der Gründerinnen des Hamburger Frauenrings einen Namen machen sollte: Olga Essig ( 1965). Sie setzte sich für die Belange der Frauen und Mütter ein und galt als eifrige Schulreformerin. In Danzig schließlich wurde 1881 Leberecht Migge geboren ( 1935); der Gartenarchitekt schuf mit seinen Grünanlagen einen vielbeachteten Beitrag zur Reform der Gartenarchitektur. Aus Schwetz schließlich stammte der 1867 geborene Bernhard Schnackenburg. Der spätere letzte Oberpräsident von Westpreußen (März bis August 1919) war zuvor lange Jahre Oberbürgermeister von Altona gewesen.
In Altona war es auch, daß Agnes Miegel im Februar 1928 im Rahmen einer Richard-Dehmel-Matinee aus ihren Werken las. Mehr als zwei Jahrzehnte zuvor war ein anderer Königsberger nach Hamburg gekommen, um seine Dichtungen vorzustellen: Walther Heymann (18821915). Er war Gast in der 1905 von dem Königsberger Kaufmannssohn und späteren Hamburger Bürger Heinrich Spiero ins Leben gerufenen Hamburger Kunstgesellschaft, die in der Hansestadt auch die erste Käthe-Kollwitz-Ausstellung durchführte. In seinen Erinnerungen "Schicksal und Anteil" (1929) schreibt Spiero über seinen Landsmann: "Durch sein erstes Buch traten wir in Verbindung. Er las in der Hamburger Kunstgesellschaft einem Publikum, das nicht einmal seinen Namen kannte, vor, gewann durch sein noch knabenhaftes Wesen Freunde, und es war reizend, ihn mit Dehmel zu sehen, die ehrfürchtige Liebe des Jüngeren, die kameradschaftliche Anerkennung des Ergrauenden ..." Und: "Unter allen Lyrikern seiner Generation war er, nach Richard Dehmels scharfem Urteil, die größte und durch selbstbescheidende Energie hoffnungsreichste Begabung ... Die dilettantische Begabung seines liebenswürdigen Vaters hatte sich in dem Sohn zu großer Kunst gesteigert. Dieser von Anfang an unüberhörbare, spröde Klang verstärkt sich in seiner mehrfugigen Selbständigkeit alsbald bis zu der viersätzigen Symphonie der ,Hochdüne, einer Dichtung, die bisher ein Seitenstück noch nicht gefunden hat ..."
Auch der 1874 in Tilsit geborene Dichter A. K. T. Tielo, der eigentlich Kurt Mickoleit hieß, besuchte Heinrich Spiero in Hamburg. Der Ostpreuße, dessen reife Balladenkunst Spiero würdigt, starb 1911 und hinterließ zahlreiche Verse, die von der unvergleichlichen Natur im Memelland und auf der Kurischen Nehrung künden.
Von diesem Landstrich begeistert war auch ein Mann, der für die künstlerische Erziehung seiner Mitbürger viel getan hat: Alfred Lichtwark, Direktor der Hamburger Kunsthalle seit 1886. Er war damals durch die Bilder Max Pechsteins nach Ostdeutschland gelockt worden. Im "Gegenzug" gelang es ihm, einen ostdeutschen Maler für Hamburg zu interessieren: Lovis Corinth. Er bat ihn, wie auch Max Liebermann, für die Kunsthalle einige typische Hamburger Motive zu malen. So schrieb Corinth am 19. Juli 1911 an Lichtwark: "Natürlich übernehme ich sehr gern die Aufgabe, eine Landschaft aus Hamburg sowie ein Figurenbild zu malen. Über den Preis kann ich doch keine bestimmte Summe nennen, da ich doch gar nicht weiß, was mich in Hamburg erwartet ... Aber wie gesagt, würde diese Frage zwischen uns keinen Mißton aufkommen lassen, da mir weit mehr an der Ehre liegt, Ihnen für das Museum Werke zu liefern, und für mich diese so künstlerisch es mir möglich ist zu malen ..."
Nachdem Corinth bereits bei kurzen Aufenthalten auf der Durchreise nach Antwerpen (1908) und nach Helgoland und Sylt (1909) Hamburg kennengelernt hatte und nachdem er im Mai 1910 das "Porträt Henry Simms" und im September des gleichen Jahres das "Porträt Albert Kaumann" dort gemalt hatte, fuhr er im August 1911 wieder an die Elbe. Von dort schrieb er an Lichtwark: "Heute nachmittag habe ich das Bild angefangen, da es doch gegen Abend noch interessanter ist wie vormittags, so ist es nur notwendig, daß der Liebe Gott das Wetter so läßt. Ich freue mich sehr darauf. Morgen vormittag würde ich sehr gern den Besuch bei Hagenbeck machen; natürlich unter Ihrer Leitung ... Das denke ich mir geradezu großartig: den alten Hagenbeck mit zahmen Viechern und Neger oder sonstigen schwarzen Leuten ..."
Die Absicht, den Tierparkbesitzer Carl Hagenbeck zu porträtieren, muß Corinth jedoch zunächst zurückstellen, "weil das Opfer krank ist". Drei Landschaften sind allerdings während seines Hamburg-Aufenthaltes fertig geworden: "Kaisertag in Hamburg", heute im Besitz des Kölner Wallraff-Richartz-Museums, "Illumination auf der Alster", heute im Besitz eines privaten Sammlers, und "Blick auf den Köhlbrand", das damals als einziges Landschaftsbild in den Besitz der Hamburger Kunsthalle überging. Groß war der Widerstand, gegen den Lichtwark anzukämpfen hatte, um die zu der Zeit weithin angefeindete Malweise des Meisters aus Tapiau in konservativen Kreisen durchzusetzen. Lichtwark: "Sie alle sehen nur das rote Tuch des Modernismus, das mir aus der Tasche hängt."
In der ersten Oktoberwoche 1911 reist Corinth erneut an die Elbe, um Carl Hagenbeck (mit Walroß Pallas) zu malen. Auch dieses Werk sowie das von Lichtwark in Auftrag gegebene Porträt des Historikers "Professor Dr. Eduard Meyer als Dekan" erwirbt schließlich die Hamburger Kunsthalle. Corinth soll schließlich vor seinem Tod 1925 noch einige Male zu kurzen Besuchen nach Hamburg kommen, zuletzt im Januar 1925, um eine Ausstellung mit seinen Werken anzusehen. Heutzutage ist die Kunsthalle übrigens im Besitz von 18 Gemälden des großen Ostdeutschland aus Tapiau, darunter so zauberhafte Werke wie "Nach dem Bade" (1906) oder "Die Frau des Künstlers am Frisiertisch" (1911).
Nun sei diese Spurensuche aber nicht beendet, ohne vorher einen Blick auf die Nachkriegsgeschichte geworfen zu haben. Flucht und Vertreibung haben nach 1945 ostdeutsche Künstler und Schriftsteller auch nach Hamburg verschlagen. So seien von der schreibenden Zunft an dieser Stelle die Schriftsteller Siegfried Lenz, Arno Surminski, Paul Brock, Gertrud Papendick, Toni Schawaller und Werner Müller genannt, von den bildenden Künstlern die Malerin und Bildhauerin Dore Kleinert, der Graphiker Otto Rohse, der Bildhauer Karlheinz Engelin, die Webmeisterin Marie Thierfeldt, die Architekten Volkwin Marg und Christian Papendick sowie der Germanist Erich Trunz, der in Hamburg die 14bändige Ausgabe von Goethes Werken herausbrachte (19481960). Einige von ihnen haben diese Welt bereits verlassen müssen ihre Namen und ihr Schaffen aber bleiben ebenso eng mit Ostdeutschland wie mit Hamburg verbunden.
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