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Zeitzünder

 
     
 
Der Staatsbesuch des türkischen Ministerpräsidenten Yilmaz in den USA hat die Frage nach den Interessen der USA an einer Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU in aller Schärfe in den Vordergrund treten lassen. Daß sich diese Interessen vor allem aus der geopolitischen Lage der Türkei erklären, bedarf keiner weitschweifenden Erörterung mehr. Die USA bedürfen der Mitarbeit der Türkei, um ihre Interessen im Mittleren Osten, auf dem Balkan und dem Kaspischen Becken durchzusetzen bzw. zu wahren. Dieses Interesse sehen die USA aber aus vielerlei Gründen bedroht. Dort gilt die Türkei als höchst verwundbares Mitglied der Nato und wird daher als möglicher Konfliktpunkt eingestuft.

Aus der Sicht der US-Geostrategen, so stand vor kurzem in der Publikation "Aviation Week & Space Technology" (7. Juli 1997) zu lesen, könnte die türkisch
e Regierung aufgrund obiger Einschätzung geneigt sein, die Aufmerksamkeit von den innenpolitischen Schwierigkeiten der Türkei durch eine Konfrontation mit Syrien oder Griechenland abzulenken. Andererseits könnten Griechenland und Syrien die Gelegenheit ergreifen, die türkische Schwäche auszunutzen.

Die Konfliktpunkte mit Griechenland kreisen einmal um Streitigkeiten in der Ägäis und zum anderen um Zypern. Die wirtschaftliche Nutzung des Euphrat steht im Mittelpunkt der Streitigkeiten mit Syrien. Wie auch immer, so die Erwartungshaltung der US-Strategen, wenn es den Gegnern der Türkei gelingen sollte, die türkischen Beziehungen zur Nato und Washington nachhaltig zu stören, wird für das westlich-türkische Verhältnis eine kritische Situation entstehen.

Wie explosiv die Lage in der Ägäis in den USA eingeschätzt wird, zeigt z. B. die Einschätzung des "Institute für National Strategic Studies" (INSS), das die Gefahr eines Konfliktes zwischen Griechenland und der Türkei als so hoch einschätzt, daß die Alliierten beider Staaten, wenn sie an einem bleibenden Frieden in der Region interessiert sind, bereits kleinere Krisen oder Konfrontationen bekämpfen müssen, um ernsthafte Konflikte zu vermeiden.

Die handfesten wirtschaftlichen Interessen, die die USA im Vorderen Orient verfolgen, traten in den Gesprächen zwischen dem türkischen Ministerpräsidenten Yilmaz und dem US-Energieminister Frederico Pena offen zutage. Beide unterstrichen die Wichtigkeit der Erdöl-Pipeline Baku–Ceyhan. Für die USA geht es um die strategische Absicherung ihrer Begehrlichkeiten im Hinblick auf die Erdölfelder in Aserbaidschan und Kasachstan. Die USA wünschen daher eine Energie-Partnerschaft mit der Türkei. Welchen Stellenwert die USA den politischen und ökonomischen Beziehungen mit der Türkei einräumen, zeigt die Einrichtung der türkisch-US-amerikanischen "Joint Economic Commission" (JEC). Diese Kommission traf zuletzt am 8. und 9. Dezember 1997 zusammen und erörterte neben Energiefragen vor allem Fragen der Handelsbeziehungen. Diese Kommission dient per definitionem dazu, die ökonomischen und handelspolitischen Beziehungen beider Länder zu vertiefen.

Damit sind die Interessen der USA an der Türkei aber immer noch nicht hinreichend beschrieben. Das Ende des Kalten Krieges hat auch zu einem Ende der traditionellen Kräfteverteilung im Vorderen Orient geführt. Immer mehr transregionale Themen treten jetzt in den Vordergrund, ob dies nun die vermeintlichen oder wirklich existierenden Massenvernichtungswaffen der "Schurkenstaaten" Iran und Irak, Energiefragen oder der Terrorismus sind. Aus der Sicht der USA steht die Türkei im Zentrum unkalkulierbarer Entwicklungen in dieser Region und ist deshalb daran interessiert, die Türkei als Plattform für eine Eindämmung möglicher krisenhafter Entwicklung auszubauen.

Mit Sorge betrachtet man daher die innenpolitischen Schwierigkeiten der Türkei, die gekennzeichnet sind von Separatismusbestrebungen der Kurden, durch brüchige Koalitionsregierungen und durch den Gegensatz zwischen dem prowestlich orientierten Militär und denjenigen Strömungen, die zum islamischen Fundamentalismus neigen. Die Sorge der USA besteht darin, daß der Irak oder der Iran über diese fundamentalistischen Strömungen in der Türkei Einfluß in Ankara, Amman oder Kairo nehmen könnte.

Dieses Konfliktpotential in einer geopolitischen Schlüsselregion erklärt das massive Interesse der USA, die Türkei in die EU "einzubinden" – und zwar als "Vollmitglied". Was dies für die EU-Staaten, insbesondere aber für Deutschland, heißt, kann man sich nicht folgenreich genug ausmalen. Vor allem muß – aufgrund der Niederlassungsfreiheit, die den EU-Bürgern in der EU gewährt wird – mit einer dramatischen Zuwanderungswelle aus der Türkei, die auf diese Weise ihren Bevölkerungsüberschuß nach Europa abdrücken wird, gerechnet werden. Als Folge dieser Zuwanderung wird es zwangsläufig zu einer Destabilisierung der Lebensverhältnisse in den EU-Staaten, vor allem aber in Deutschland kommen. Auch diese Entwicklung paßt durchaus in die geopolitischen Absichten der USA. Je mehr Konkurrenten auf den "globalisierten Märkten" mit innenpolitischen Problemen beschäftigt sind, desto ungestörter können die USA weltweit ihre Interessen durchsetzen.

In der Türkei-Frage zeichnet sich zwischen den USA und Europa ein harter Interessengegensatz ab, bei dem die Europäer unter keinen Umständen den geostrategischen Interessen der USA nachgeben dürfen. Für Deutschland ist es geradezu eine Überlebensfrage, daß die Türkei außerhalb der EU bleibt. Der Türkei in dieser Beziehung weiter Hoffnung zu machen, wie es Bundesaußenminister Kinkel immer wieder für opportun hält, heißt nicht mehr und nicht weniger, als den Zeitzünder in einen Sprengsatz einzubauen.

 
     
     
 
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