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In der früheren DDR pflegte die Regierung hin und wieder zu Großdemonstrationen aufzurufen, so etwa alljährlich zum 1. Mai. Es waren dann Hunderttausende auf den Straßen Sie trugen Transparente mit einschlägigen Parolen und schwenkten Fähnchen, um gegen dieses und für jenes Zeugnis abzulegen.
Haben diese Mitmarschierer bei Regierungsdemos etwa "Zivilcourage" bewiesen? Kein normaler Mensch wäre auf die Idee gekommen, diese Mitläufer so schmeichelhaft zu titulieren.
Als in den vergangenen Monaten der Bundespräsident und andere Präsidenten in Deutschland, Regierungsmitglieder, Spitzenfunktionäre von Parteien, Gewerkschaften, Kirchen zu Demonstrationen aufriefen in Berlin kamen dabei immerhin 200 000 zusammen , da bescheinigten sie sich gegenseitig, Zivilcourage bewiesen zu haben. Und fast alle Zeitungen und Rundfunkstationen stimmten begeistert ein, ohne allerdings zu erklären, worin die Courage liegt.
Und doch vergeht keine Woche, in der nicht irgendwo auf Initiative eines Landtagspräsidenten, eines Funktionsträgers der politischen Bildung, einer Landesministerin zu Aktionen aufgerufen wird mit der Anfeuerung, wer daran teilnehme, beweise Zivilcourage. Iris Berben und Monika Ferres, Ministerpräsident Clement und Ministerpräsidentin Simonis, sie alle klopfen sich und all jenen auf die Schulter, die ihren Aufrufen folgen und bestätigen sich gegenseitig, außerordentlich couragiert zu sein. Und dabei lassen sie sich von Hunderten, manchmal gar von Tausenden von Polizeibeamten schützen und niemand weiß genau, vor wem. Oder wurde schon einmal irgendwo eine Demo guter Menschen überfallen? Etwa von Angehörigen des "braunen Mobs" oder der "rechten Ratten", wie man feinsinnig die politischen Gegner tituliert. Eher liest man umgekehrt, daß "gute Menschen", auch "Anständige" genannt, demonstrierende Rechte überfallen, sie mit Steinen und Flaschen bewerfen und sich mit schützenden Polizeibeamten Schlachten liefern, um sich hinterher bestätigen zu lassen, wie couragiert sie waren. Es wird Schindluder getrieben mit dem Begriff "Zivilcourage". Dabei hätten die Deutschen nichts mehr nötig als tatsächliche Zivilcourage. Zivilcourage hieß immer noch, etwas Unbequemes zu sagen, was man für richtig hielt auch gegen die politische Korrektheit öffentlich zu vertreten, gegen den Strom zu schwimmen. Und daran mangelt es den Deutschen tatsächlich, ob es sich um die Bundesvorsitzende der CDU handelt, die aus dem Bestreben, sich anzupassen, nicht den Mumm aufbrachte, "nein" zu sagen, an einer der wohlfeilen Demonstrationen teilzunehmen, die sich dann gegen sie und ihre Partei richtete; ob es sich um den Geschichtsprofessor an einer deutschen Universität handelt, der zwar schnell erkannte, daß die Anti-Wehrmachtausstellung keine korrekte wissenschaftliche Veranstaltung war, sondern von Anfang an lediglich eine Propaganda-Show, der sich aber zurückhielt mit seinem begründeten Urteil, weil er die Auseinandersetzung fürchtete; es sich um den Zeitungsleser handelt, der eine tendenziöse Falschmeldung erkennt, sich aber nicht traut, einen protestierenden Leserbrief an die Redaktion zu schreiben; oder ob es sich um den Redakteur einer Zeitung oder eines Rundfunksenders handelt, der sofort beim Auftauchen der ersten Greuelmeldungen über die angeblichen Schandtaten der Sebnitzer zumindestens das Gefühl hatte, daß sie so nicht stimmen konnten, sich aber nicht soweit vorwagte, daß er wenigstens die Propaganda infrage stellte oder gar vorsichtshalber nachrecherchierte.
Es ist ja nicht wahr, daß man in Deutschland nicht mehr frei die Meinung sagen kann, wie es manche ängstlichen Bundesbürger meinen. Wenn man einige Tabus unkommentiert läßt, und jeder dürfte wissen, welche Tabus es bei uns gibt, was nicht gerade für den gesunden Zustand unseres Gemeinwesens spricht , dann kann man seinen Freiheitsraum viel deutlicher nutzen, als es heute die weitaus meisten tun. Zur Zeit aber hat Bismarck recht, der gesagt hat, man werde es nicht selten finden, daß es "ganz achtbaren Leuten an Zivilcourage fehlt".Und das tut einer freiheitlichen Demokratie nie gut.
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