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Eigentlich ist die Prügelstrafe in Deutschland ja abgeschafft; insofern hat sich das Bundesverfassungsgericht rechtswidrig verhalten, als es sein Votum zum Zuwanderungsgesetz verkündete. Mit der Urteilsbegründung haben die Karlsruher Richter dem Berliner Regierenden Bürgermeister nämlich nicht nur eine schallende Ohrfeige, sondern gleich eine schwere Tracht Prügel verpaßt - ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, wann jemals ein hochrangiger Politiker sich vom höchsten Gericht so vernichtende Kritik anhören mußte. Immerhin ist Klaus Wowereit ja nicht nur Regierungschef in unserer Hauptstadt, sondern war am fraglichen Tage auch Präsident des Bundesrates.
Daß die Richter bezüglich Abstimmungsverfahren im Bundesrat für klare Verhältnisse gesorgt haben, ist gut so; weder Wowereit noch irgendein anderer Landespolitiker, gleich welcher Partei, wird es künftig wagen, in so eklatanter Weise Verfassung und Verfahrensregeln zu verbiegen. Genauso wichtig aber sind die konkreten politischen Folgen dieses Urteils:
Das Zuwanderungsgesetz kann nicht, wie von der rot-grünen Bundesregierung geplant, Anfang 2003 in Kraft treten. Das Gesetzgebungsverfahren muß neu aufgenommen werden, und dabei dürften die inzwischen veränderten Kräfteverhältnisse im Bundesrat eine gewichtige Rolle spielen. Übrigens auch die Frage, ob sich diese Kräfteverhältnisse möglicherweise Anfang Februar, nach den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen, erneut ändern.
Schon hört man die warnenden Stimmen der üblichen Bedenkenträger: Zuwanderung darf nicht zum Wahlkampfthema werden! Dann sollte man auch konsequent sein und sagen: Politik darf generell kein Wahlkampfthema sein, den Wählern dürfen nur noch Themen präsentiert werden, die sie garantiert nicht interessieren und die vor allem keinerlei Rückschlüsse auf die inhaltlichen Positionen derer zulassen, die sich zur Wahl stellen. Woraus man möglicherweise schließen kann, daß sie gar keine Inhalte mehr haben ...
Nein, wir Wähler wollen wissen, womit wir in Zukunft zu rechnen haben: Mit noch mehr Zuwanderung bis hin zu einem Zustand, in dem wir selbst Minderheit im eigenen Land sind, oder mit einer vernünftigen, an den berechtigten Interessen unseres Landes orientierten Regelung? Mit weiterer Zuwanderung von Leistungsempfängern in unsere Sozialsysteme oder mit der uns immer wieder vorgegaukelten Entlastung der Renten- und Sozialkassen durch Zuwanderung von Beitragszahlern? Mit einer angemessenen, der einheimischen Bevölkerung zumutbaren und auch den Geboten christlicher Nächstenliebe Rechnung tragenden Regelung der Aufnahme von Verfolgten, Vertriebenen und Flüchtlingen oder mit offenen Grenzen für noch mehr Drogenhändler, Gewalttäter, Menschenhändler und sonstige Kriminelle?
Das alles sind offene, zum Teil unbequeme, manchmal auch überzogen formulierte Fragen, keine Antworten - die erwarten wir von den Politikern, die schließlich von uns gewählt werden wollen. Die notwendige öffentliche Diskussion wieder eröffnet zu haben, ist das eigentliche Verdienst der Verfassungsrichter. Sie haben keineswegs, wie die neue Grünen-Chefin Angelika Beer schon im Vorfeld der Urteilsverkündung unterstellte, Tür und Tor für "Hetze" und "Wahlkampf auf Kosten der Ausländer" geöffnet, sondern den Anstoß gegeben, ein überfälliges Thema endlich so zu behandeln, wie es eines demokratischen Gemeinwesens würdig ist.
Dazu haben alle Parteien dank diesem Urteil jetzt eine neue Chance. Insofern gab es in Karlsruhe - außer Klaus Wowereit - keine Verlierer, sondern nur Siege |
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