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Tausende von Büchern und ein Eklat

 
     
 
Voller Stolz eröffnete der Leipziger Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee am vorletzten Mittwoch das "Frühlingsfest der Bücher". Leipzig wird, wie auch Frankfurt, schon seit Jahrhunderten - wenn auch mit einiger Unterbrechung - regelmäßig zum Anziehungspunkt für Literaturfreunde und Literaten sowie alles, was sich selbst so nennt. Doch während Frankfurt auf einer gewerblichen Ebene abläuft - hier wird mit Lizenzen gehandelt -, steht in Leipzig das Publikum im Vordergrund. "Leipzig ist eine sehr sympathische, sehr deutsche Messe, die wirtschaftlich für uns keine Rolle spielt - man könnte sie fast vom PR-Etat abbuchen", klingt es aus dem Munde von Klaus Eck, Verleger von Random House, schon fast ein wenig abfällig
. Doch lobt er die Leipziger Messe gleich darauf als "Schnittstelle zwischen Autoren und Lesern".

So klein und gemütlich, wie es die Aussage Klaus Ecks vielleicht suggerieren mag, ist die Leipziger Buch- messe dann doch auch wieder nicht. Dieses Jahr waren 2.084 Aussteller aus 30 Ländern beteiligt, was einen Zuwachs von neun Prozent zum Vorjahr ergab. Zudem hatte Leipzig sogar seinen eigenen kleinen Skandal, der die Buchmesse auch außerhalb der Feuilletons der Tageszeitungen Erwähnung finden ließ.

Beinahe wäre der Skandal sogar keiner geworden, doch dann erbarmte sich die Presse. Unter den Rednern der Eröffnungsveranstaltung befand sich die frühere lettische Außenministerin und designierte EU-Kommissarin Sandra Kalniete, die in einem sibirischen Zwangsarbeiterlager geboren wurde, in das die Kommunisten ihre Eltern verschleppt hatten. Aufgrund ihrer Herkunft und des Zusammenwachsens der europäischen Länder im Rahmen der EU-Osterweiterung äußerte sie sich auch zu der teilweise blutigen Geschichte des vergangenen Jahrhunderts. Ihre in Englisch gehaltene Rede enthielt jedoch eine von Salomon Korn, dem Vizepräsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, nicht akzeptierte Passage. So habe "das sowjetische Regime die Verfolgung und Vernichtung der Völker Osteuropas und auch des eigenen" fortgesetzt, heißt es in der deutschen Übersetzung der Rede im Programmheft. Diese Behauptung empörte Salomon Korn so sehr, daß er Worte wie "Das höre ich mir nicht an. Das ist unerträglich" murmelnd die Eröffnungsveranstaltung verließ. Dies geschah allerdings so unspektakulär, daß kaum einer der anderen Besucher davon Kenntnis nahm. Irgendwie gelangte es dann doch in die Presse, und Salomon Korn gab bereitwillig Interviews zu dieser seiner Einschätzung nach erschreckenden Entgleisung der lettischen Politikerin. So dürfe es nach Korn keineswegs toleriert werden, daß man im Zusammenhang mit den Kommunisten auch von einem "genozidalen Völkermord" spreche. Er befürchte zudem, "daß mit der EU-Osterweiterung verstärkt Antisemitismus nach Europa kommt". Sandra Kalniete äußerte sich zu dem Vorfall allerdings nicht, wahrscheinlich fehlt ihr auch das nötige Verständnis, um die Empfindlichkeiten und das Selbstverständnis des Zentralrates der Juden in Deutschland nachzuvollziehen. Der Leipziger Bürgermeister bat Salomon Korn jedoch offiziell um Verzeihung. Dieser konnte sich daraufhin tief befriedigt der Präsentation seines Buches "Die fragile Grundlage - Auf der Suche nach deutsch-jüdischer Normalität" widmen und fand zwischendurch immer wieder Zeit, die Nachfragen von an seinem Stand vorbeikommenden Journalisten zu dem Eklat und natürlich nun auch zu seinem Buch zu beantworten.

Doch nicht nur, wie man schon aus dem Vorfall erahnen kann, Mittel- und Osteuropa waren Themen der Buchmesse, sondern auch Kinder- und Jugendbücher fanden diesmal besondere Beachtung. Hierbei lag der Schwerpunkt besonders auf Mangas, einem aus Japan stammenden Comicstil. So waren einige der Comiczeichner zu Autogrammstunden geladen. Für dieses auch auf die Jugend abgestimmte Konzept wurden die Messeausrichter mit einem Besucherrekord belohnt. 102.000 Besucher fanden den Weg in die Messehallen, von denen über ein Viertel junge Menschen waren.

Auch die vom Bertelsmann Club organisierte Aktion "Leipzig liest" war wieder gut besucht. Über 1.000 Mitwirkende, unter denen sich auch prominente Autoren wie Christa Wolf, Günter Kunert, Rolf Hochhuth, Ben Becker und Wibke Bruhns befanden, konnten verzeichnet werden. Zudem wurde der Deutsche Bücherpreis 2004 verliehen. Sechs Autoren erhielten den von Günter Grass entworfenen Bücher-Butt. Hannelore Hoger, Ulrich Wickert, Anna Thalbach und Gabi Bauer überreichten die Trophäen an Yann Martel, Yadé Kara, Eoin Colfer, Mirjam Pressler sowie an den amerikanischen Bush-Kritiker, Filmemacher und Autor Michael Moore. Der Leipziger Buchpreis für europäische Verständigung ging an den bosnischen Autor Dzévad Karahasan.

Am Rande der Buchmesse fanden kleinere, durchaus interessante Veranstaltungen und Ereignisse statt: So traf sich der Deutsche Bibliotheksverband zu einem Kongreß, versuchte der Verein Deutsche Sprache auf den Wert unserer deutschen Muttersprache aufmerksam zu machen, boten Antiquariate ihre Schmuckstücke an und sammelte das Auswärtige Amt mit der Initiative "Bücher für den Irak" bei den Verlagen Buchspenden für die nach dem Irak-Krieg im Wiederaufbau befindliche "Germanistische Bibliothek" der Universität in Bagdad.

Aus Sicht der Veranstalter, der Aussteller und auch der Besucher war die Buchmesse ein voller Erfolg. Die steigenden Umsatz-, Aussteller- und Besucherzahlen belegen das.

Gesichter der Leipziger Buchmesse 2004: Besucher, Autoren, Preisträger und Prominente waren vom "Frühlingsfest der Bücher" größtenteils positiv überrascht. Fotos: Frauendorf (2), Schulze (2)

 
     
     
 
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