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Die osteuropäischen Länder fühlen sich unweigerlich von Westeuropa und den USA angezogen, stellt Prof. Dr. Ilios Yannakakis, der Geschichte und Geopolitik an der Universität zu Marne-la-Vallée, einer Pariser Vorstadt, lehrt, fest. Am beliebtesten unter der Bevölkerung dieser Länder seien die Verei-nigten Staaten. Die Völker der jungen Demokratien betrachteten die USA als einzige Schutzmacht dieser Gegend. Es bestehe kein Antiamerikanismus in Osteuropa, um so mehr, als Wa-shington als Vertreterin der Modernität betrachtet werde und als die Macht, die mit fortdauernder Entschlossenheit gegen den Kommunismus gekämpft habe.
Im Gegensatz dazu werde Frankreich als kein zuverlässiger Partner angesehen, weil Paris während der langen Teilung des europäischen Kontinents mit dem Kreml geliebäugelt habe. Was Deutschland anbelangt, hätten sich erste Befürchtungen, daß sich die führenden deutschen Wirtschaftskreise allzu ankaufslustig über osteuropäische Firmen hermachen könnten, zerstreut.
Die Erwartungen an die EU-Osterweiterung seien hoch. Man hoffe, daß die Expansion den "europäischen" Charakter dieser während eines halben Jahrhunderts abgetrennten Staaten nur stärken könne, zeigten sich Yannakakis Gesprächspartner optimistisch.
Yannakakis gehört der Mannschaft renommierter Geschichtswissenschaftler um den Autorenkreis des "Schwarzbuchs des Kommunismus" und das "Institut d historie sociale" (Institut für Sozialgeschichte) an und lehrt zudem an Universitäten in Ostmitteleuropa. Als wir ihn in Paris kürzlich getroffen haben, kam er gerade aus Osteuropa zurück.
Laut Yannakakis haben sich die Gegebenheiten in Osteuropa binnen zehn Jahren aufsehenerregend verändert. Das gelte ebenso vom geistigen Gesichtspunkt aus wie für das Aussehen der Städte und der Straßen.
Der versierte Osteuropa-Experte glaubt nicht an eine Rückkehr des Kommunismus in der Region. Die Wahlergebnisse bezeugten diese Entwicklung, obschon Altkommunisten in den sozialdemokratischen Parteien am Werk seien. In der Geschichte "gibt es keinen Rücklauf". In diesem Zusammenhang bewertet Yannakakis die Chancen der russischen Kommunisten, noch einmal echten Einfluß wiederzuerlangen, als äußerst gering. Die Wahlerfolge der russischen KPRF seien mehr vom Gewicht der kommunistischen Vergangenheit Rußlands begründet als von eigentlichen Chancen für diese Partei, ein kommunistisches Wahlprogramm in die Tat umzusetzen.
Im Hinblick auf die Lage auf dem Balkan ist Yannakakis skeptischer. Insbesondere räumt er dem Wunsch gewisser balkanischer Regierungen nach der Bildung von neuen Föderationen (beispielsweise in Jugoslawien, aber auch darüber hinaus) keine großen Chancen ein. Das einzige Bindeglied, das es erlaubt habe, verschiedenartige Völker zusammenzufügen und -zuhalten, sei einst die Anwesenheit von starken, an der Macht stehenden kommunistischen Parteien gewesen. Die Unterschiede zwischen den Völkern, den Wirtschaften und den Staaten seien derzeit zu tiefgreifend, als daß eine echte Annäherung zwischen ihnen tatsächlich zustande kommen könne. Aus diesem Grunde seien derzeit die Bestrebungen, durch die sogenannte "Konferenz der Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres" bestimmte Balkanstaaten einander näher zu bringen, noch erfolglos geblieben.
Die letzte Frage betraf den Milosevic-Prozeß. Auch hier verbarg unser Gesprächspartner seine Skepsis nicht. Seiner Meinung nach sei die Aufgabe des in Den Haag sitzenden Strafgerichts sehr zweideutig. Internationale Urteile förderten nicht die Demokratie in einem Lande, dazu sollten die Prozesse lieber vor einem nationalen Gericht ablaufen. So habe der Milosevic-Prozeß viel an seiner Symbolik verloren. Die Zeitungen verschwiegen nunmehr völlig den Gang dieses Verfahrens, als seien sie nicht mehr davon überzeugt, man könne mühelos einen Wiederanlauf zu einem Nürnberger Tribunal machen. Die Demokratie, deren unweigerlichen Sieg Yannakakis voraussieht, verdiene etwas anderes als den Milosevic-Prozeß.
Francisco Lozaga / H. |
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