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Wir Deutsche tun uns schwer mit unseren staatlichen Symbolen, zu denen im weiteren Sinne auch die Einrichtung eines Nationalfeiertags gehört. Das fängt schon bei der Wortwahl an: Wir feiern eben nicht, wie bei anderen Völkern üblich, einen Nationalfeiertag, sondern begehen den Tag der deutschen Einheit . Das hat durchaus seinen Sinn, der sich aus unserer jüngeren Geschichte ergibt.
Dennoch fallen einige Merkwürdigkeiten auf. Einen Tag der Einheit gibt es seit nahezu einem halben Jahrhundert. Jahrzehntelang, solange es keine Einheit gab, war dies der 17. Juni, der an den Aufstand gegen die von russischen und deutschen Kommunisten erzwungene Teilung in Ost und West erinnern sollte. Seit wir die Einheit - genauer: die Teil-Wiedervereinigung - haben, ist der 17. Juni nicht mehr Feiertag, sondern der 3. Ok- tober, der Jahrestag des Beitritts der DDR zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.
Auch dagegen ist nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Wenn wir die Überwindung der von den Weltkriegssiegern auferlegten Teilung unseres Vaterlandes als freudiges Ereignis feiern, statt immer nur schwermütig der bitteren Niederlage tapferer DDR-Bürger gegen russische Panzer zu gedenken, darf man darin auch eine Art Normalisierung sehen - Völker, die den "aufrechten Gang" noch nicht verlernt haben, feiern nun einmal lieber ihre Siege als ihre Niederlagen.
Aber warum soll man nicht das eine tun, ohne das andere zu lassen? Der 3. Oktober als nationales Freudenfest - gut so. Aber dieser heutige Tag der Einheit ist untrennbar verbunden mit dem früheren Tag der Einheit. Eine Wiedervereinigung konnte es schließlich nur geben, weil es vorher eine Teilung gab. Und diese Teilung konnte letztlich überwunden werden, weil es - vor nunmehr 49 Jahren - den Volksaufstand gegen die kommunistischen Machthaber gegeben hatte. Und weil die Erinnerung daran bis ins Jahr 1989 wachgehalten wurde - 16 Millionen Deutsche hatten sich eben nicht damit abgefunden, für den Rest der Geschichte eingemauert zu sein.
Das sichtbare Symbol für dieses Nicht-Vergessen war der 17. Juni als gesetzlicher Feiertag in jenem Teilstaat, den die DDR-Machthaber BRD nannten, um nur ja nicht das Wort Deutschland in den Mund zu nehmen. Allerdings hat auch auf seiten des "Klassenfeindes", im Westen also, die politische Klasse sich im Umgang mit diesem Symbol der Sehnsucht nach Einheit nicht gerade mit Ruhm bekleckert.
Übrigens quer über alle Parteigrenzen hinweg: Zwar waren es Sozialdemokraten, die den 17. Juni als Feiertag abschaffen wollten, weil er ihre "neue Ostpolitik" störte. Aber es waren auch viele Christdemokraten, die ihre wohlklingenden Sonn- und Festtagsreden am nächsten Tag vergessen hatten und jeden, der auch im politischen Alltag an Teilung, Unterdrückung von 16 Millionen Deutschen, Mauermorde und eben an diesen 17. Juni 1953 erinnerte, als "kalten Krieger" und "Stahlhelmer" abkanzelten. Selbst der nachmalige "Kanzler der Einheit" legte noch Mitte der 80er Jahre Wert auf die Feststellung, die deutsche Frage stehe "nicht auf der Tagesordnung"; wer ihn aufforderte, dann solle er sie eben auf die Tagesordnung stellen, fiel für den Rest seiner Karriere in Ungnade.
Das mit der Tagesordnung übernahmen dann die Menschen in Leipzig, Ost-Berlin, Dresden und anderen Orten der DDR, mit anderen Mitteln, aber demselben Geist und Mut wie damals am 17. Juni 1953. Im Westen waren - bevor sich der Erfolg der friedlichen Revolution abzeichnete - nur wenige diesem Geist treu geblieben.
Um sie alle, die sich mit angeblich ewiger Zweistaatlichkeit nicht abfinden wollten, ist es längst wieder still geworden. Immerhin aber können sie mit berechtigtem Stolz sagen, daß die Geschichte ihnen letztlich recht gegeben hat.
Dies sollte auch anderen Mut machen, sich mit Unrecht nicht abzufinden. Zum Beispiel mit dem Unrecht der Vertreibung und der Abtrennung Ost- und Westpreußens, Pommerns und Schlesiens von unserem Vaterland. Der heutige Zustand in diesen Gebieten kann nicht das letzte Wort der Geschichte sein; das Heimatrecht wird, in welchem staatsrechtlichen Rahmen auch immer, zum Tragen kommen.
Wer so denkt, kann sich - auch wenn er gelegentlich immer noch als "kalter Krieger" beschimpft wird - auf den 3. Oktober berufen. Und genauso auf den 17. Juni, der zwar kein Feiertag mehr ist, aber immer noch ein wichtiger Tag des Erinnern |
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