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Wir wollen nicht nur die Haushalte sanieren, die Wirtschaft in Gang setzen und den Arbeitslosen das wiedergeben, was sie an Lebensinhalt verloren haben; uns geht es auch um eine geistige Erneuerung, um die Wiederbelebung jener Tugenden und Ideale, die mit den guten Traditionen unserer Geschichte verbunden sind. Es geht darum, daß wir uns in unserer Herkunft neu entdecken, um einen neuen Konsens für die Zukunft zu begründen."
Das sagte Alfred Dregger , damals Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, im Juni 1983 zur "Lage der Nation im geteilten Deutschland". Heute, 20 Jahre später, ist sein Anliegen wieder von großer Aktualität. Die in den frühen achtziger Jahren im Westen Deutschlands geforderte und mit großer Hoffnung erwartete "geistig-moralische Wende" konnte damals nicht zur deutschen Realität werden, weil das die offene Wunde der kommunistischen Mauer durch Deutschland nicht zuließ. Sechs Jahre später schuf die Revolution der Deutschen in der damaligen DDR eine neue Lage: Mit der Mauer stürzte der Kommunismus nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa und darüber hinaus als Welteroberungs-ideologie. Die Westfixierung der "alten" Bundesrepublik in den politischen und militärischen Konstruktionen, die im "Kalten Krieg" notwendig und erfolgreich gewesen waren, wurde unverdrossen beibehalten und phantasielos auf die neuen Gegebenheiten übertragen. Die wirtschaftliche und politische Konsolidierung des nun entstandenen demokratischen Nationalstaats unter gleichzeitiger Beibehaltung und Ausdehnung der Beiträge zur Europäischen Union überforderte die geistigen, personellen und materiellen Ressourcen Deutschlands erheblich. Das Ergebnis ist, daß Dreggers Lageschilderung und seine daraus gezogenen Schlußfolgerungen aus dem Jahr 1983 in unserer heutigen Gegen-wart wieder von höchster Aktualität sind.
Zu Recht hatte Dregger damals darauf hingewiesen, daß zwischen 1965 und 1975, in der Wirkungszeit der sogenannten 68er, "ein Bruch mit der Mehrzahl der Traditionen stattgefunden hatte, die zur Substanz unserer nationalen Identität gehört haben und gehören". Dregger stellte fest: "Eine Nation besteht ja nicht allein aus sprachlichen und kulturellen Gemeinsamkeiten, nicht allein aus dem Schicksal gemeinsam durchlittener Geschichte, eine Nation besitzt vielmehr in ihrer Sprache und in ihren kulturellen und gesellschaftlichen Verhältnissen ein gemeinsames Welt- und Wertbild, menschliche Leitvorstellungen, die über Generationen hinweg weitergegeben werden".
In der von Dregger angesprochenen Zeit um das Jahr 1968 hatte das Allensbacher Institut für Demoskopie einen Verfall des bestehenden Wertebewußtseins festgestellt, den Elisabeth Noelle-Neumann "revolutionär" nannte. Die antiautoritäre Bewegung und die sogenannte neue Pädagogik machten, so Dregger, "den Bruch mit der deutschen Wertetradition perfekt".
Daraus zog Dregger 1983 den Schluß - wie wir heute wissen, leider erfolglos -, daß die Überwindung der damaligen geistigen und wirtschaftlichen Misere nur durch die Wiederentdeckung der preußischen Tugenden und deren Rückkehr in den politischen Alltag der Deutschen zu bewältigen sei. Diese Tugenden benannte Dregger mit: "Pflichtgefühl, Unbestechlichkeit, Verantwortungsbewußtsein vor Gott und den Menschen, Opferbereitschaft" und fügte hinzu: "Der preußische Staat hatte seine eigentliche Mitte in verpflichtenden Wertvorstellungen, die nur aus Torheit oder Ahnungslosigkeit einseitig dem Militär oder dem Adel zugerechnet wurden." Niemand brauche das preußische Erbe zu scheuen. Konkret gehören dazu "die Aufnahme französischer Hugenotten, der Aufbau des modernsten Staatswesen des damaligen Europas, die Förderung nicht nur des Militärs, sondern auch von Kunst und Wissenschaften, die Anlage finanzieller Reserven für Notzeiten, der Geist der Aufklärung, das kodifizierte Allgemeine Landrecht, das aus Untertanen Rechtssubjekte machte, und die Reformen unter Stein und Hardenberg". Dregger unterstrich die Attraktion Preußens für Reformer aus ganz Deutschland, die die Ideen der Französischen Revolution mit denen des großen Königsberger Philosophen Immanuel Kant verbanden und den Übergang vom Absolutismus zum Verfassungsstaat des 19. Jahrhunderts bewirkten. Die Steinsche Städteordnung, die Bauernbefreiung, die Gewerbefreiheit, die Juden-emanzipation und die Bildungsreform Humboldts sind für Dregger weitere Beispiele dafür, "daß niemand das preußische Erbe zu scheuen braucht", im Gegenteil, daß es sich jeder zu eigen machen sollte, der mit den Problemen der Gegenwart zu kämpfen habe.
Damit unterstrich Dregger die auch heute gültigen Erfordernisse konservativer Erneuerung für die Deutschen in ihrem gesellschaftlichen und privaten Leben. Es liegt nahe, daß "Schwarze Kassen" und hochdotierte Beraterverträge mit der gleichzeitigen Ausübung politischer Verantwortung, zum Beispiel als Mitglieder des Deutschen Bundestages, nicht vereinbar sind und preußischer Pflichtauffassung entgegenstehen. Wer die deutsche Misere unserer Tage wirklich überwinden will, kommt an Preußen nicht vorbei und sollte auf dessen Stimme hören. |
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