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Es ist Protest-Ritual, auch an diesem bewölkten, aber fast schon frühlingshaften Freitag in Washington D.C. Ein Chor singt, um den Hals tragen ein paar dutzend Kriegsgegner unter anderem Bilder des amerikanischen Vizepräsidenten Dick Cheney: "Amtsenthebung für Satan" und ähnliches steht darauf.
Es ist der Freitag, als US-Präsident Bushs wohl mächtigster Verbündeter, der republikanische Über-Senator McCain, sich mit all jenen im konservativen "American Enterprise Institut" (AEI) trifft, die noch an den Sieg im Irak glauben - oder glauben wollen. Das konservative AEI ist die traditionelle Heimat der amerikanischen Neokonservativen. Vor dem Krieg war hier viel von "Blume n für die Befreier" die Rede und davon, daß ein Irak ohne Saddam Hussein die iranischen Oppositionellen ermuntern und die syrische Staatsführung einschüchtern würde. Es war ein kühner Traum. Jetzt, wenige Tage nachdem Bush seine Irak-Strategie dargelegt hat, ist der Ton auch im "American Enterprise Institute" wesentlich nüchterner.
Bushs lange erwartete Fernsehansprache an die Nation hatte all jene bestätigt, die ihn als beratungsresistenten, wirklichkeitsfremden Meister des Wunschdenkens und der trügerischen Hoffnungen sehen. Als hätte es nie die Kongreßwahl vom November gegeben, bei denen die Wähler Bushs Republikaner ohne Gnade abstraften, schleuderte der Präsident der kriegsmüden Öffentlichkeit eine trotzige Aufforderung zum Durchhalten entgegen. Unbeirrt sprach er von "Sieg". Über 20000 zusätzliche Soldaten, ein Aufbauprogramm, die Stärkung und Einbindung von Iraks Sicherheitskräften sollen zu jenem Sieg führen, den die meisten derzeit partout nicht erkennen können. Über die Empfehlungen der Baker-Kommission setzt sich der US-Präsident damit beinahe vollständig hinweg.
Skeptisch sind nicht nur die ehemaligen, sondern auch die aktiven Generäle gegenüber der Bush-Strategie. Stets hat Bush beteuert, er werde die Truppen im Irak nur verstärken, wenn seine Kommandeure vor Ort dies fordern. Jetzt handelt er gegen den erklärten Willen der bisherigen Oberkommandierenden im Irak - und tauscht sie deshalb kurzerhand aus. So wird es endgültig Bushs Krieg.
Wahr ist: Im fünften Jahr des Krieges, nach Zehntausenden Toten, existiert immer noch keine klare Strategie für den Irak. Alle Versuche endeten im Desaster. Zunächst tönte man, nach spätestens sechs Monaten sei es vorbei, die US-Truppen würden siegreich abziehen, im Irak die Demokratie blühen. Dann folgte das Konzept "clear, hold, build", "säubern, halten, aufbauen", ein leeres Motto.
Denn nie gab es ausreichend Truppen dafür, noch nicht mal genügend Dolmetscher zur "Kontaktaufnahme" mit der lokalen Bevölkerung. So konnten rasch wieder die Milizen mit ihren Killerkommandos in die "gesäuberten" Stadtviertel einsickern, um die ethnische Säuberung voranzutreiben. Und bei ihnen, den schiitischen und sunnitischen Milizen, muß die Bevölkerung nun Schutz suchen. Seit einem Jahr gilt die "Hand-Over-Strategie", vor allem Hilfe beim Aufbau der irakischen Armee. Offiziell zählt die irakische Armee 325000 Mann. Doch als Armee existiert sie nicht. Es existieren nur verschiedene bewaffnete Gruppen, Kurden und Sunniten und Schiiten, die um Macht und Öl kämpfen. Und die Experten wissen auch: Die irakische Regierung unter dem schiitischen Ministerpräsidenten El-Maliki will die von Bush so beschworene nationale Einheit nicht. Maliki ist abhängig von dem Wohlwollen des radikalen schiitischen Predigers Moktada El-Sadr, Herr über die Mahdi-Armee, die größte der schiitischen Milizen. Sadr wiederum will die schiitische Dominanz im Irak festigen, hat also kein Interesse an einem Erfolg der Bush-Strategie, die auf einen gerechten Ausgleich von Sunniten und Schiiten abzielt.
Bislang jedenfalls hat Maliki nichts unternommen, was Sadrs Interesse zuwiderläuft, und die Hoffnung, daß er jetzt entschieden etwa für eine Entwaffnung der Mahdi-Armee eintritt, kann als weitgehend illusorisch betrachtet werden. Allenfalls der schiitische Großayatollah El-Sistani hat die Macht, Sadr in die Grenzen zu weisen, aber Sistani hat wiederholt klargestellt, daß er sich aus der Politik herauszuhalten gedenkt.
Sogar John McCain sieht in einem CNN-Interview kein Ende des Krieges. Und keinen Sieg. Konkrete Nachfragen beantwortet er ausweichend mit einem erschreckend entlarvenden Satz: "Ich bete jede Nacht, daß wir Erfolg haben."
Gefangen im Labyrinth seiner absoluten Wahrheiten muß Bush an den Sieg glauben. Vor einigen Monaten hatte er einmal gesagt: "Ich kann es kaum ertragen, wenn ich Eltern treffe, die ihr Kind verloren haben. Ich weine, ich umarme sie. Ich muß weiterhin in der Lage sein, ihnen in die Augen zu schauen und zu sagen: Wir gewinnen. Ich kann einfach nicht so tun, als ob."
Das abschließende Urteil über die stürmische Amtszeit von US-Präsident George W. Bush wird einer künftigen Generation von Historikern vorbehalten sein. Vielleicht wird ein Gelehrter für ihn einmal den Begriff des "Spieler-Präsidenten" prägen und dabei auf jene Rede verweisen, in der Bush seine Irak-Strategie dargelegt hat. Wie ein Zocker, dem der Totalverlust des Einsatzes droht, setzte Bush darin alles auf eine Karte. Er muß siegen. Um jeden Preis.
Die wichtigsten Punkte der Irak-Strategie
TRUPPENAUFSTOCKUNG
Bush will 21500 zusätzliche US-Soldaten in den Irak entsenden. 17500 sollen die Sicherheitslage in der Hauptstadt Bagdad verbessern. 4000 Marineinfanteristen werden in der Provinz El-Anbar stationiert, in der El-Kaida aktiv ist. Derzeit sind rund 132000 US-Soldaten im Irak stationiert. Drei bereits im Land stationierte Brigaden sollen in die Hauptstadt verlegt werden. Die US-Truppen sollen vor allem die irakischen Sicherheitskräfte beim Schutz der Zivilbevölkerung unterstützen. Bis November soll die Kontrolle des gesamten Landes an die irakische Armee übergeben werden. Die Kosten für die Truppenaufstockung belaufen sich auf 5,6 Milliarden Dollar (4,3 Milliarden Euro).
FINANZHILFE
Knapp 1,2 Milliarden Dollar (rund 900 Millionen Euro) Finanzhilfe will die US-Regierung in den Wiederaufbau und die Wirtschaft des Landes stecken. Dazu gehört auch ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Bagdad und El-Anbar. Der Irak soll den Aufbau mit weiteren zehn Milliarden Dollar fördern. In den vergangenen vier Jahren haben die USA nach Berechnungen der Nachrichtenagentur AFP bereits 350 Milliarden Dollar für den Irak-Krieg ausgegeben.
ZIELE FÜR IRAKS REGIERUNG
Bush will der irakischen Regierung eine Reihe von politischen und wirtschaftlichen Zielvorgaben machen. Um das Land zu stabilisieren, sollen unter anderem die Sunniten stärker in die Politik eingebunden werden. Die Beschränkungen für ehemalige Anhänger der formal aufgelösten Baath-Partei des hingerichteten Ex-Präsidenten Saddam Hussein sollen gelockert werden. Zu den Bemühungen gehört auch ein im kommenden Monat zu beschließendes Gesetz zur gerechten Verteilung der Ölein |
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