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Berge, Täler, Wüsteneien ...
Auch bei militärischer Überlegenheit ist das Land schwer zu nehmen Am 7. Oktober begannen die USA ihren lang erwarteten Schlag gegen den mutmalichen Terroristenführer Osama bin Laden und seinen Kreis. Seit dem 11. September bestand kein Zweifel daran, daß sich der Hauptschlag gegen Afghanistan richten würde, dessen Taliban-Regime dem weltweit Gesuchten mutmaßlich Unterschlupf gewährt.

Afghanistan liegt im zentralasiatischen Hochland. Weitgespannte Hochflächen in Höhen um 2.000 bis 3.000 Meter mit nur wenigen Paßstraßen beherrschen mit aufgesetzten Gebirgszügen das Land, das nach Nordosten in den Hindukusch übergeht. Dessen afghanischer Teil steigt von 5.000 Meter im Westen auf fast 7.500 Meter im Osten an. Im Hochland, wie auch in den Gebirgen, sind die zahlreichen Becken und Talerwei- terungen die wichtigsten Siedlungsräume. Nördlich des Hochlands schließt sich im großen Bogen des Pjandsch das Becken von Nord-Badakh-shan mit seinen Bewässerungsoasen an. Weiter westlich erstrecken sich die Ebenen und lößbedeckten Hügelländer Afghanisch-Turkestans. Am Austritt
der Flüsse aus dem zentralen Bergland leiten riesige Schwemmflächen allmählich in das tiefgelegene nördliche Vorland über. Hier ist eine alte Bewässerungslandwirtschaft entwickelt. Nach Süden geht das Hochland in ein Bergland mit Steppenvegetation, anschließend in Halbwüsten und Wüsten über.

Zur Beurteilung der Lage gehört auch die Feststellung der Kampfkraft. Dabei spielen personelle und materielle Stärke, der Grad der Beweglichkeit, der Ausbildungsstand sowie die Unterstützung durch Luft- und Seestreitkräfte eine Rolle. Gemessen an diesen Faktoren ist die Kampfkraft der US-Streitkräfte und ihrer Verbündeten enorm hoch. Entscheidend ist allerdings der Gefechtswert der eigenen Kräfte. Zu dessen Ermittlung wird die Kampfkraft in Beziehung gesetzt zum Auftrag, zur Verfügbarkeit der Kräfte nach Zeit und Raum, zu Gelände und Wetter und schließlich zur Lage und dem Verhalten der Bevölkerung. Afghanistan ist, landläufig gesprochen, unwegsam. Damit scheidet dieses Gelände als Gefechtsfeld für große mechanisierte Verbände aus. Im Norden würden deren Bewegungen durch die Gebirge kanalisiert, wodurch sie auch durch einen unterlegenen Feind leicht zu bekämpfen wären. Im Süden dagegen trägt das Gelände nicht. Luftgelandete Kräfte sind nur für eine begrenzte Zeit einsetzbar. Ihre volle Kampfkraft können sie zudem nur dann entfalten, wenn sie in geeignetem Gelände eingesetzt werden. Diese Voraussetzung ist in Afghanistan nicht gegeben. Der Gefechtswert der US-Kräfte ist somit gering und steht in keinem Verhältnis zu deren gewaltiger Kampfkraft. Damit können die USA ihr gewaltiges Militärpotential auf diesem Kriegsschauplatz nur bedingt einsetzen. Dieses Manko läßt sich durch überlegene Luftstreitkräfte nicht ausgleichen, denn Raum läßt sich nur durch Bodentruppen nehmen und halten. Den verbündeten Kräften stehen auf seiten der Taliban etwa 60.000 Kämpfer mit vorwiegend älterer sowjetischer Infanteriebewaffnung, 50 ältere Scud-Raketen, rund 100 sowjetische Kampfpanzer, schwere Artillerie, Boden-Luft- und Panzerabwehrraketen sowie 15 Kampfflugzeuge und 24 Hubschrauber sowjetischer Bauart gegenüber. Die Kampfkraft dieser Kräfte ist vergleichsweise gering.

Im Kräftevergleich werden die den Gefechtswert der eigenen Truppe bestimmenden Faktoren denjenigen des Feindes gegenübergestellt. Hierbei wird deutlich, daß die Faktoren, die den Gefechtswert der US-Truppen herabsetzten, den Taliban-Kämpfern zugute kommen. Ihre Bewegungen werden durch die Geländestruktur nur unwesentlich behindert, sie sind ortskundig, beherrschen die Landessprache und können sich zur Tarnung problemlos unter die Bevölkerung mischen. Schließlich sind sie seit vielen Jahren in diesem Gelände tätig und beherrschen den verdeckten Kampf.

Der Einsatz militärischer Großverbände scheidet also für die USA als nicht erfolgversprechend aus. Diese Erfahrung hat bereits die Sowjetarmee machen müssen. Mit ihrem Einsatz könnte ohnehin nur ein Vergeltungsschlag gegen das Taliban-Regime geführt werden, die Gefangennahme bin Ladens wäre bei einem solchen Feldzug wenig wahrscheinlich. Als zweckmäßig bleibt damit der Einsatz von Eingreiftruppen, der durch gezielte Luftschläge unterstützt wird. Hierbei spielt die Bevölkerung eine große Rolle. Deren Lage und Verhalten sind daraufhin zu beurteilen, ob und wie sie sich auf die Erfüllung des Auftrages auswirken.

Die Bevölkerung Afghanistans zerfällt in zahlreiche ethnische Gruppen. Die staatstragende Macht unter den Völkern des Landes sind die Paschtunen, die die Taliban-Regierung stellen. Ihr Einfluß reicht bis nach Pakistan, denn die heutige Grenze Afghanistans zu Pakistan wurde 1893 durch die britischen Kolonialherren vor allem nach militärischen und nicht nach ethnischen Gesichtspunkten festgelegt. So leben viele Paschtunen im Nachbarland. Sie üben jetzt Druck auf die Regierung in Islamabad aus und hindern sie so an einem rückhaltlosen Bekenntnis zu den USA. Die meisten anderen Stämme Afghanistans lehnen deren Rechtsordnung - eine Kombination von islamischer Scharia und paschtunischem Gewohnheitsrecht, der Paschtunwali - ab. Der Versuch der Taliban, den anderen Volksgruppen diese Verbindung aus panislamistischer Ideologie und lokalen Stammesbräuchen aufzuzwingen, ist gescheitert. Die Sowjets, deren Hauptgegner die paschtunischen „Heiligen Krieger“ waren, haben sich diesen Gegensatz zunutze gemacht und die anderen ethnischen Gruppen gestärkt, um die paschtunische Dominanz in Afghanistan zu beseitigen. Dieser Gegensatz besteht bis heute fort, und er ist das einzige, was diese Volksgruppen eint. Zusammengehalten werden sie durch die sogenannte Nordallianz, die noch einen letzten Zipfel des Landes im Nordosten hält. Diese Allianz, die auf Betreiben des Iran 1992 aus Tadschiken, Usbeken und Hasaras gegründet wurde, um den sowjetischen Statthalter Nadschibullah zu vertreiben, repräsentiert die drei bedeutendsten nichtpatschunischen Volksgruppen Afghanistans. Als einigende Kraft, die eine neue Regierung bilden könnte, eignet sie sich jedoch kaum. Sie ist zerstritten, militärisch schwach.

Dennoch scheint die Nordallianz ein wichtiger Verbündeter der USA. Ihr militärisches Potential - etwa 15.000 Kämpfer, sieben Hubschrauber und einige ältere Panzer und Raketenwerfer - ist zu vernachlässigen. Doch kommen den Kämpfern der Nordallianz wichtige Aufgaben bei der Unterstützung amerikanischer Kommando- und Eingreiftruppen zu. Sie sind ortskundig und wohnen im Land, weshalb sie sich relativ ungehindert bewegen können. Dies befähigt sie in besonderem Maße zu Erkundungs- und Aufklärungstätigkeiten. Auf den Faktor „Humint“ (human intelligence), also die Nachrichtengewinnung durch den Menschen, kann auch im modernen Krieg nicht verzichtet werden. So ist der verdeckte Einsatz von Kämpfern der Nordallianz in allen Bereichen der Erkundung und Aufklärung denkbar. Zudem können sie bei der Aufnahme, Führung und Unterbringung von Kommandotruppen eingesetzt werden.

Schließlich bleibt als militärische Option noch ein handstreichartiger Schlag gegen das Taliban-Regime - denkbar wäre eine Besetzung Kabuls und die Gefangennahme der Regierung, um deren Anhänger zur Auslieferung bin Ladens zu zwingen. Dies ist jedoch ebensowenig wahrscheinlich wie eine „Search and Strike-Operation“, bei der von einer Basis aus punktuell in bestimmte Landesteile hinein operiert wird. Damit ist die amerikanische Armee bereits in Vietnam gescheitert. Jan Heitmann

 
     
     
 
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