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Endlich steht das lange verdrängte Thema wieder auf der Tagesordnung: Im Bundestag, in Massenmedien, am sogenannten "Stammtisch" wird über Flucht und Vertreibung der Deutschen aus dem Osten geredet - und zum Teil heftig gestritten. Wobei empfindsame Gemüter sich damit trösten mögen: besser gestritten als totgeschwiegen.

Daß sich in jüngster Zeit hier eine Menge getan hat, wurde in den ersten Septembertagen in Berlin besonders spür- und greifbar. Letzteres auch im Deutschland-Haus, wo der hauptstädtische Landesverband des BdV sein Domizil hat: Bei einem nächtlichen Angriff zerschlugen "Demonstranten" aus der links-autonomen Szene Scheiben und Türen, sprühten Geistesblitze ("Nie wieder Heimat!") an die Wand und provozierten so für den tags darauf angesetzten zentralen Festakt zum Tag der Heimat
ein ungewöhnlich massives Polizeiaufgebot.

Dies und das sommerlich schöne Wetter zeigten Wirkung. Vor der Komischen Oper hatte sich gerade mal ein Dutzend jener reisenden Berufs-Protestierer versammelt, die erkennbar alles bestreiten, außer den eigenen Lebensunterhalt. Mit Triller- pfeifen "begrüßten" sie den Festredner Johannes Rau, andere Teilnehmer der BdV-Veranstaltung beschimpften sie als "Nazis" - was immer sie damit sagen wollten. Ansonsten verbrachten die eingesetzten Polizeibeamten einen erfreulich ruhigen Sonnabendvormittag.

Daß der Bundespräsident persönlich den Tag der Heimat 2003 mit einer Festrede eröffnete, darf allein für sich schon als positives Signal gewertet werden. Viele Jahre lang hatten die Repräsentanten der Vertriebenen und die führenden Vertreter des deutschen Staates sich - im wörtlichen wie im übertragenen Sinne - nichts zu sagen. Daß aber Johannes Rau nicht etwa einfach eine Pflichtübung absolvierte, sondern es sich mit dieser Rede nicht leicht gemacht, vielmehr viel Persönliches in sie eingebracht hatte.

Zweifellos war die Rede des Bundespräsidenten protokollarisch und emotional der Glanz- und Höhepunkt dieser Veranstaltung. Hier einige der zentralen Aussagen:

"Das Leid der Vertriebenen ist zuallererst persönliches Leid. Auch wenn Millionen gleichzeitig vertrieben werden - die Furcht und den Schmerz, die Trauer, das Heimweh leidet immer der einzelne Mensch, und er muß in seinem Leben mit den Verletzungen und Erinnerungen zurechtkommen. Das Leid jeder und jedes Einzelnen steht vor allen Bewertungen, vor allen Betrachtungen über Recht und Unrecht und Ursache und Folge. Sich diesem Leid zuzuwenden, mit denen zu fühlen, die es ertragen müssen, das ist ein Gebot der Menschlichkeit ...

Einen Strom von zehn, zwölf Millionen völlig mittellosen Menschen aufzunehmen, das würde unser Land selbst heute noch bis zum äußersten beanspruchen ... Anfangs schien es fast unmöglich, angemessen für die Vertriebenen zu sorgen ... Ich selber habe 1946 in Wuppertal zwei jüngere Brüder bekommen. Meine Eltern nahmen zwei Jungen aus Ostdeutschland auf. Die beiden hatten auf der Flucht ihre Mutter und ihre drei Geschwister begraben. Der Vater war verschollen ...

Das alles darf nicht vergessen werden und soll nicht vergessen werden. Nur wenn wir an das erinnern, was damals war, wird ja deutlich, wie unendlich viel die Deutschen in jenen Jahren miteinander gemeinsam geleistet haben. Sie haben das Land wieder aufgebaut und eine stabile Ordnung begründet.

An all diesen Leistungen haben die Vertriebenen ihren Anteil. Ihr Aufbauwille und ihr Unternehmungsgeist waren enorm. Sie wollten anpacken ...

Dabei haben die Vertriebenen viel Solidarität erfahren und viel materielle Unterstützung bekommen. Für Westdeutschland genügen in diesem Zusammenhang die Stichworte Lastenausgleich und Bundesvertriebenengesetz. Der Bund der Vertriebenen und die Bundesregierung haben darüber jüngst noch einmal Bilanz gezogen - eine Bilanz, auf die unser Land stolz sein kann.

Freilich: Das meiste haben die Vertriebenen bei ihrem Neuanfang doch aus eigener Kraft schaffen müssen. Dabei hatten es die Alten gewiß am schwersten - sie blieben oft auf Dauer entwurzelt und heimatlos. Auch der mittleren Generation hat der Neubeginn unsagbar viel Kraft und Arbeit abverlangt. Am leichtesten fanden die Kinder ihren Weg; aber auch für sie war er steinig genug.

Kurzum: Die Vertriebenen haben sich mit harter Arbeit eine neue Lebensgrundlage geschaffen und enorm dazu beigetragen, Deutschland in Ost und West gut wieder aufzubauen ...

Leider ist es den Vertriebenen oft unnötig schwer gemacht worden. Auch das darf nicht verschwiegen werden. Es gab Kränkungen, und manche wirken fort bis heute. Sie wollen ausgesprochen sein, weil sie sonst nicht heilen und weil sie sonst weiter schmerzen.

Zunächst einmal hat wohl jede und jeder Vertriebene irgendwann erlebt, daß Einheimische mit ihnen anfangs hartherzig umgingen, ihnen voller Vorurteile und ablehnend begegneten - später kam der Neid auf die Hilfen für die Vertriebenen und auf ihren Gewerbefleiß hinzu.

Oft schnitt die Ablehnung ins Herz. Als Flüchtlingskind vor der Tür der Nachbarskinder warten zu müssen, während die Kinder der Einheimischen hereingebeten wurden - das vergißt man nicht. Und beim wohlbestallten Bauern vergeblich um ein wenig Milch für das kranke Kind zu bitten, auch das vergißt man nicht ...

Eine andere Kränkung haben die Vertriebenen wohl viel dauerhafter empfunden: Ihr schweres Schicksal sei den Einheimischen im Grunde gleichgültig gewesen, sie hätten davon nichts hören wollen und sich abgewandt. Die Vertriebenen seien mit ihrem Leid innerlich sich selbst überlassen worden, obwohl sie so sehr der Anteilnahme bedurft hätten. Daran ist gewiß und leider viel Wahres.

Die Vertriebenen haben aber noch eine weitere Kränkung erfahren, und die ging wahrscheinlich am tiefsten. Viele wollten den Vertriebenen nicht nur nicht zuhören, sie wollten ihnen sogar den Mund verbieten. Manche hatten Leid nie selber erlebt und wollten darum vom Leid anderer nichts hören. Manche sagten, die Vertreibung liege doch schon so weit zurück, das sei doch längst uninteressant. Manche schließlich haben auch da nur von den geschichtlichen Ursachen gesprochen, wo es um das unendlich große Leid ging, das daraus vielen entstanden war: Sie hielten den Vertriebenen vor, ihr Schicksal sei doch die Quittung für früheren Nationalismus und für den von Deutschland begonnenen Krieg. Das war nicht nur herzlos, das war auch dumm. Ich habe das nie verstehen können."

Solche - spürbar von Herzen kommenden - Worte von einem Bundespräsidenten zu hören, darauf haben die deutschen Flüchtlinge und Heimatvertriebenen lange warten müssen. So nahmen denn auch die Zuhörer in der vollbesetzten Komischen Oper zu Berlin Raus Rede dankbar auf.

Verdiente Ehrung: Im Rahmen des Festakts zum Tag der Heimat zeichnete BdV-Präsidentin Erika Steinbach den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel mit der BdV-Ehrenplakette aus. Teufel dankte mit einer kämpferischen Rede. Foto: BILDSCHÖN

Auf der Tagesordnung: Daß die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten nicht mehr - wie allzu lange - ein Tabuthema ist, zeigte sich beim Festakt zum Auftakt des diesjährigen Tages der Heimat am 6. September: In der Komischen Oper

in der Mitte Berlins konnte BdV-Präsidentin Erika Steinbach Bundespräsident Johannes Rau als Festredner sowie Bundesinnenminister Otto Schily als Ehrengast begrüßen.

 
     
     
 
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