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Es ist nicht zu leugnen: Die Liberalen oder besser: diejenigen, die sich für Liberale halten, können ihre totalitären Anwandlungen nicht verbergen. Wer angenommen hatte, der Liberalismus sei gewissermaßen die politische Verkörperung des Individualismus und damit auch des Schutzes der Persönlichkeit samt ihrer Intimsphäre, hat diese Rechnung ohne den FDP-Bundestagsabgeordneten Hans-Joachim Otto gemacht. Im Büro dieses Volksvertreters aus Frankfurt am Main und medienpolitischen Sprechers seiner Fraktion im Deutschen Bundestag heißt es seit kurzem "The Interne t is watching you". In einer Presseerklärung teilte er stolz mit, er habe "erstmalig in Deutschland" eine "Live-Webcam" in seinem Berliner Büro installiert und jedermann könne nun per Internet überprüfen, wie viele Tassen Kaffee ein Bundestagsabgeordneter pro Tag trinke.
Nach dem gewollt spaßigen Besuch des neuen FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle im "Big Brother-Container" ist nun auch der für die Kultur zuständige Bundestagssprecher der Liberalen auf dem transparenten Niveau des "Big Brother is watching you" angekommen. Politische Arbeit werde, so der Abgeordnete, für alle Bürger im besten Sinne des Wortes "nachschaubar". Gönnerhaft lädt Otto dazu ein, ihm und seinen Mitarbeitern "auf die Finger zu schauen". Wozu diese Mitarbeiter allerdings bemerkten: "Wir fühlen uns sehr beobachtet", und Mitarbeiterin Astrid gesteht: "Die Jungs hier foppen mich immer." Um ja keinen falschen Verdacht aufkommen zu lassen, wiegelt sie jedoch gleich wieder ab: "Aber dafür sind sie ja da." Auch "Bild am Sonntag" freute sich: Für "Albern" im Büro müsse mal Zeit sein. So spielten Otto und seine Mitarbeiter im Büro "Handball mit einem Fußball" zum Ausgleich für die Schreibtischarbeit. Der Snack eines Mitarbeiters zur Mittagszeit bestehe aus "einem Granny-Smith-Apfel und einem Becher Kaffee".
Aber auch politische Schlußfolgerungen lassen sich aus dem Mitarbeiter-Klatsch ziehen. Drückt man doch zum Beispiel im Büro des liberalen Abgeordneten am Tag der britischen Unterhauswahlen "unserem Tony" die Daumen. Wird etwa im Büro Otto ein sozialistischer Wahlsieg erhofft? Vorsitzender Westerwelle jedenfalls gratulierte überschwenglich dem britischen Liberalen Charles Kennedy, der immerhin bei dieser Wahl über 18 Prozent für seine Partei geholt hat.
Aber Spaß beiseite. Die modernistische Container-Masche mit ihrer Big-Brother-Mentalität verrät in ihrem Kern eine ganze Menge von Verachtung für die Menschenwürde. Um so schlimmer, daß sie nun das Reichstagsgebäude erreicht hat und das ausgerechnet bei den Liberalen. "Big Brother is watching you" hieß es warnend und mahnend in George Orwells großartigem Roman "1984", mit dem er einen eindrucksvollen Beitrag zur Bewältigung und Überwindung des nationalsozialistischen und kommunistischen Totalitarismus leistete. 1949 gab Orwell, der selbst seine persönlichen Erfahrungen im kommunistischen Milieu gemacht hatte, mit seinem literarischen Meisterwerk der Nachkriegsgeneration in Europa, besonders aber im Westen Deutschlands, die geistige Kraft, dem Totalitarismus zu widerstehen. In der DDR war das Buch verboten. Wer es trotzdem las, durfte sich nicht vom großen Bruder erwischen lassen.
Orwell beschrieb in seiner alptraumhaftigen Anti-Utopie die Herrschaft eines totalitären Systems und das erbärmliche Leben in geistiger Unmündigkeit, in dem weder Wahrheit noch Gerechtigkeit herrschen und die menschlichen Gefühle zerstört sind oder werden. So entlarvte Orwell schon damals das angeblich "humanitäre Anliegen" des Marxismus.
Im Internet schreibt eine junge Frau über das "mitreißende und spannende Buch": "Als ich anfing das Buch zu lesen, merkte ich, daß man es nicht zwischen Tür und Angel oder im Bus lesen kann. Ich mußte mich voll hineinversetzen
" Dieser Anspruch an Geist und Fleiß war es auch, der verhinderte, daß die sogenannte "68er-Generation" zu diesem Buch griff. Sie begnügte sich mit dem marxistischen Einmaleins für Dumme und Faule, mit urbanen Springprozessionen, Sitzblockaden und Steinwürfen.
Wenn "Big Brother" jetzt dank eines FDP-Abgeordneten "im Reichstag ist", wie "Bild am Sonntag" schreibt, dann wohl als Ausdruck einer Art liberaler Perversion und gewissermaßen als Bestätigung des Orwell-Zitats: "Der Liberale ist ein Anbeter der Macht ohne Macht." Oder sollte man wohlwollend im propagandasüchtigen Internetauftritt eine Art Persiflage auf des großen Bruders ständige Überwachung des Individuums durch zentral gesteuerte Fernsehkanäle und Abhörgeräte sehen?
Die totalitäre Versuchung der Liberalen jedenfalls ist vielschichtig: nicht nur bei der Wahl des Oberbürgermeisters in Dresden und der Berliner Initiative "Neuwahlen jetzt". Dabei schreiten die FDP-Liberalen und die PDS-Kommunisten schon heute Seite an Seite.
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