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Aufschrei der Unterdrückten

 
     
 
Einige Wochen halten die Unruhen in den türkischen Kurdengebieten nun schon an und erinnern daran, daß das Kurdenproblem des EU-Beitrittskandidaten Türkei keineswegs gelöst ist. Bei den Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Armee und Kurden kamen bisher sieben Menschen ums Leben, Hunderte wurden verletzt. In der südosttürkisch
en Stadt Diyarbakir, einem Zentrum der Unruhen, rückten Panzer und Soldaten ein. Angefacht wurden die Unruhen durch Trauerfeiern, die für die Kämpfer der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), die in vielen Staaten, darunter auch Deutschland, als "Terrororganisation" eingestuft wird, abgehalten wurden. Mitte März dieses Jahres kamen bei Kämpfen mit der türkischen Armee 14 PKK-Mitglieder ums Leben.

Seit etwa Mitte 2005 haben die Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Armee und der PKK wieder an Heftigkeit zugenommen. Bei Anschlägen in Çesme und Kusadasi waren auch Touristen und die Zivilbevölkerung das Ziel, was anzeigt, daß die marxistisch-leninistisch ausgerichtete PKK nach wie vor auch vor eindeutig terroristischen Aktivitäten nicht zurückschreckt.

Am neuerlichen Gewaltausbruch geben sich sowohl Kurden als auch Türken gegenseitig die Schuld. Die türkische Regierung behauptet, die PKK betreibe mit Hilfe des aus Dänemark sendenden Satellitenkanals "Roj TV" Hetze. Die nationalkonservative türkische Zeitung "Hurriyet" nahm die Tätigkeit dieses Senders zum Anlaß, Dänemarks Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen mittels einer Schlagzeile zu fragen: "Was würden Sie tun, wenn dies in Ihrem Land geschähe?" Bisherige türkische Initiativen in Richtung Dänemark, diesen Sender zu schließen, blieben ohne Erfolg.

Die Ursache für den Kurdenkonflikt in der Türkei reicht bis in den Ersten Weltkrieg zurück. Den Kurden wurde zwar nach der Niederlage des Osmanischen Reichs im Ersten Weltkrieg im Vertrag von Sèvres (1920) das Recht auf Selbstbestimmung eingeräumt und eine autonome Region in Aussicht gestellt. Dem späteren türkischen Staatspräsidenten Mustafa Kemal Pascha ("Atatürk") gelang es aber, im Unabhängigkeits- und Befreiungskrieg gegen die Besatzungsmächte die Kurden auf seine Seite zu ziehen. Nach der erfolgreichen Beendigung dieses Krieges konnte die Türkei im Vertrag von Lausanne (24. Juli 1923) die Bestimmungen von Sèvres rückgängig machen. Mit dem Ergebnis allerdings, daß auch alle Autonomiezugeständnisse an die Kurden rückgängig gemacht wurden. Da der kemalistische Ansatz auf einen homogenen türkischen Nationalstaat abzielte, setzten mit Blick auf die Kurden starke Assimilierungsversuche ein, gegen die sich bald starker Widerstand regte. Es folgte eine Reihe von Aufstandswellen, denen mit starken Türkisierungsversuchen, Deportationen und anderen Maßnahmen begegnet wurde. Die Assimilierungsbemühungen schlugen sich auch im offiziellen Sprachgebrauch nieder, in dem Kurden als "Bergtürken" bezeichnet wurden.

1984 nahm dann die 1978 gegründete PKK für einen unabhängigen sozialistischen Staat den bewaffneten Kampf auf, der bis heute zirka 30000 Todesopfer, vornehmlich Kurden, forderte. Nach der Gefangennahme des PKK-Führeres Abdullah Öcalan (1999), der 2002 zu einer lebenslangen Haft verurteilt wurde, erklärte die PKK zunächst einen einseitigen Waffenstillstand. Diese kann allerdings nicht für sich in Anspruch nehmen, den politischen Willen aller Kurden zu artikulieren. Neben Kurden, die loyal zur Türkei stehen, sind es vor allem kurdische Islamisten (in der Mehrzahl Sunniten), die die PKK ablehnen beziehungsweise bekämpfen.

Die Bekämpfung der PKK belastet auch das Verhältnis der Türkei zu seinen Nachbarstaaten. Immer wieder benutzte die PKK in der Vergangenheit Syrien, den Irak und den Iran als Rückzugsgebiete. Die Gesamtzahl der Kurden in dieser Region wird auf zirka 20 bis 25 Millionen geschätzt, von denen etwa zwölf Millionen in der Türkei (vor allem im dortigen, wirtschaftlich unterentwickelten Südosten) leben.

Neuerdings verdunkelt das kurdische Problem auch die Beziehungen zwischen der Türkei und den USA. In der Türkei wird gemutmaßt, daß die USA die Kurden ermutige, einen unabhängigen Staat zu gründen. Hierfür nur ein Beispiel: Nach Meinung von Tulin Daloglu, Korrespondent für das türkische "Star TV" in Washington, nutzten die Kurden die Präsenz der Vereinigten Staaten in dieser Region auf ihre eigene Art und Weise. Kurdenführer stellten politische Forderungen an Ankara; forderten, daß die Verfassung auf einer gleichberechtigten Partnerschaft zwischen Kurden und Türken basieren sollte und machten sich dafür stark, Kurdisch als zweite Sprache neben Türkisch zuzulassen, beklagte Daloglu in der "Washington Times" (4. April). Er hält es vor diesem Hintergrund nur für "natürlich", daß sich bei den Türken "antiamerikanische Gefühle" ausbreiteten, weil die US-Pläne in der Region nicht nur nationalen Stolz der Türken verletze, sondern auch die territoriale Integrität der Türkei bedrohe. Deshalb pochten die Türken darauf, daß die USA alles daran setzen sollte, die Lage im Irak zu stabilisieren. Dies sei die Voraussetzung für eine erfolgreiche Bekämpfung der PKK.

Welches Eigenleben die autonome kurdische Region im Norden des Iraks bereits führt, zeigt eine Meldung der Pekinger "Xinhua News Agency" (2. April), in der davon die Rede ist, daß die Regierung der autonomen kurdischen Region im Irak beabsichtige, den kulturellen und wirtschaftlichen Austausch mit China zu befördern. In einem Interview mit "Xinhua" erklärte der Kulturminister der Region, Sami Shorish, daß China seine kulturellen und ökonomischen Aktivitäten in der kurdischen Region des Iraks intensivieren sollte. Chinesische Geschäftsleute sollten die kurdische Region doch als "Tor für den irakischen Markt" nutzen.

In der Türkei ist es im Zuge der Annäherung an die EU zwar zu einer Reihe von Konzessionen an die kurdische Minderheit gekommen. Der Gebrauch der kurdischen Sprache, Kurdischunterricht und kurdische Radio- und Fernsehsender sind mittlerweile erlaubt. Nicht übersehen werden aber sollte, daß die kurdische Identität immer noch als Spielart türkischer Kultur angesehen wird. Als bedrohlich empfinden es die Türken überdies, daß der kurdische Bevölkerungsteil schneller als der türkische wächst. Ungeachtet der weiteren Entwicklung im Nordirak in den nächsten Jahren, dürfte sich deshalb das Kurdenproblem weiter verschärfen. Kritisch ist weiterhin auch die wirtschaftliche Lage in den Kurdengebieten, in denen das Pro-Kopf-Einkommen, nicht zuletzt aufgrund der Auseinandersetzungen zwischen PKK und türkischer Armee, auf etwa ein Fünftel des türkischen Durchschnittseinkommens gesunken ist. Die Arbeitslosenquote liegt in einigen Gebieten bei bis zu 70 Prozent.

Wie allergisch viele Türken immer noch auf das kurdische Problem reagieren, zeigt die Reaktion auf moderate Andeutungen des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, der bei einem Besuch in Diyarbakir im August 2005 den genuin "kurdischen Charakter" des Konfliktes im Osten der Türkei betonte. Diese Äußerung wurde von den antikurdischen Falken in allen türkischen Parteien als Ausweis dafür genommen, daß Erdogan die Einheit des türkischen Volkes beschädigen wolle. So dürfte es auch in Zukunft nicht zu direkten Gesprächen mit der PKK kommen, wie sie, analog zum Beispiel der baskischen Terrororganisation ETA, von Öcalan und einigen Kurdenführern gefordert wurden. Nach Kontakten der ETA mit der Regierung in Madrid herrscht seit geraumer Zeit in den Baskengebieten Spaniens Waffenruhe. Davon scheint die Türkei derzeit meilenweit entfernt zu sein.

 
     
     
 
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