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Aufstand der Mayaren

 
     
 
Ende vorigen Monats erhielten EU-Kommissionspräsident Barroso, Rumäniens Staatspräsident Basescu und Regierungschef Tariceanu sowie das Europäische Parlament eine von mehr als 80 honorigen Wissenschaftlern aus 22 Ländern, darunter der Nobelpreisträger für Literat
ur Imre Kertész, unterzeichnete Petition, in der die "Wiedereröffnung der ungarischen Universität in Kolozsvár" verlangt wird. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtete darüber als eines von wenigen deutschen Blättern, und die rumänische Presse versuchte, bis auf einige Ausnahmen, die Petition unter den Teppich zu kehren. In Deutschland war das normal: Wer scherte sich schon im Karneval-Endspurt oder angesichts dessen, daß die große Koalition seit 100 Tagen im Amt war, um eine Universität in einer Stadt, deren Namen man kaum aussprechen kann. Auch in Rumänien wagten sich, wie gesagt, nur wenige Publikationen an das heiße Eisen, denn was dem Land zur vollen Glückseligkeit ob der Aufnahme in die Europäische Union noch fehlte, war eine Anprangerung wegen Unterdrückung nationaler Minderheiten, ist doch Kolozsvár, das heutige rumänische Cluj beziehungsweise Klausenburg, die Hauptstadt Siebenbürgens.

Die Universität gibt es seit 1581. Sie ist seit 1959 rumänisch-ungarische Vorzeige-Universität. Der Streit um eine Trennung der Babes-Bolyai-Universität (UBB) ist nicht neu. In der Petition wird festgehalten, wie 1959 die vormals ungarische Bolyai-Universität in die mehrheitlich rumänische Babes-Bolyai-Universität überführt worden ist. Die Unterzeichner der Petition nennen das einen "persönlichen politische Triumph" Ceaues-cus und bemängeln, "die 1,6 Millionen in Rumänien beheimateten Magyaren seien in der Hochschulausbildung schwer unterrepräsentiert". Das stimmt so nicht, aber wenn es um rumänisch-ungarische Auseinandersetzungen ging, blieb als erstes immer die Wahrheit auf der Strecke. Von den 21 Fakultäten der UBB bieten 19 Studienprogramme in rumänischer Sprache an, 17 in ungarischer Sprache, zehn in Deutsch und zwei in Englisch. An den beiden Theologiefakultäten wird ausschließlich auf Ungarisch unterrichtet. 98 der Fachvorträge werden in Rumänisch geboten, 52 in Ungarisch, 14 in Deutsch und vier in Englisch. Darüber hinaus gibt es zwei private ungarische Hochschulen in Siebenbürgen, die von der Regierung in Budapest unterstützt werden. Zudem steht jedem Ungarn aus Rumänien ein Studium in Ungarn frei. Doch wollen die Führer der rund sieben Prozent Ungarn in Rumänien nicht, daß junge Ungarn in ihrem Stammland studieren, weil sie befürchten, sie würden nicht mehr nach Rumänien zurückkehren.

Nun ist der Hochschulstreit ein Kriegsschauplatz unter vielen, obwohl er jetzt im Scheinwerferlicht steht, weil die von 149 Professoren unterzeichneten Forderung nach drei ungarischsprachigen Fakultäten - Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften und Sozialwissenschaften - am 20. Februar vom Senat der Universität mit 86 Gegenstimmen bei neun Enthaltungen zurückgewiesen wurde, wie die rumänische Zeitung "Buna ziua, Ardeal" (Guten Tag, Siebenbürgen) berichtete. Die Petition an die EU war zu dem Zeitpunkt längst vorbereitet und konnte daher schon am 23. Februar Barroso überreicht werden. Die Aktion erregte auch den Dekan der Fakultät für europäische Studien, Ladislau Gyement. Er bezeichnete es als "Taktlosigkeit, mehr noch, als Blasphemie, sich auf Aussagen von Persönlichkeiten zu berufen, von denen ich sicher bin, daß sie keinen blassen Schimmer davon haben, was in der Universität läuft".

Gleich nach der Machtergreifung der Kommunisten wurden die Ungarn zur stärksten Minderheit im Land. In hohe Posten gehoben, versuchten sie statt einer Assimilation für ganze Landstriche eine Autonomie durchzuboxen. Wenn man von Kronstadt den Alt aufwärts zieht, kommt man nach Komitate, wo fast 90 Prozent der Bevölkerung kein Rumänisch verstanden, die restlichen zehn wollten die Sprache der Rumänen nicht sprechen.

Als 1978 Ceauescu beschloß, die Räte der Werktätigen ungarischer und deutscher Nationalität ins Leben zu rufe, verfolgte in Carei (Großkarol) die dort fast nur aus Ungarn bestehende Securitate hohe deutsche Politfunktionäre aus dem ZK und versuchte sie von der deutschen Bevölkerung zu isolieren, damit diese den Rat der Werktätigen deutscher Nationalität nicht gründen konnten. Das Zentralkomitee der Partei war froh, im Norden des Landes ein Gegengewicht gegen die Ungarn schaffen zu können. Der Haß zwischen Rumänen und Ungarn war so groß, daß es 1990 zu Straßenschlachten zwischen Ungarn und Rumänen in Tg. Mures kam, wobei auch Todesopfer zu verzeichnen waren.

In dem heute Siebenbürgen genannten Gebiet lagen, seit sich die Römer unter Kaiser Aurelian 271 nach Dakien bis südlich der Donau zurückzogen, die Hauptrouten der Völkerwanderung: Goten, Slawen, Hunnen, Kumanen und Petschenegen durchstreiften das Land, später nahmen es die Ungarn unter den Arpaden in Besitz und gaben es dann den Siebenbürger Sachsen. Seltsamerweise gibt es über diese fast tausendjährige Zeitspanne keine schriftlichen Belege. In mühseliger Kleinarbeit mußten Archäologen Fakten ausfindig machen. 1916 fielen die Rumänen in Südsiebenbürgen ein, 1920 kam es, auch durch Volksbefragung, zur vollständigen Eingliederung Siebenbürgens in das damalige Großrumänien. Die Rumänen waren am Ziel ihrer Wünsche, aber bereits zwei Jahrzehnte später sprach Adolf Hitler den Ungarn durch den Wiener Schiedsspruch sowohl Nordsiebenbürgen als auch das Szeklerland zu. Die Rumänen zogen darauf die 1919 in Klausenburg gegründete rumänische Universität ab und installierten sie in Hermannstadt. Schon 1945 zog sie unter dem Namen Victor-Babes-Universität nach Klausenburg zurück. Auch die ungarische Universität kehrte aus dem Exil zurück, wo die rumänischen Behörden nun die Ungarische Universität Bolyai gründen. Gheorghe Gheorghiu-Dej, der Vorgänger Ceausescus, legte die beiden Universitäten 1959 unter dem Namen Universität Babes-Bolyai, mit rumänischer und ungarischer Unterrichtssprache, zusammen.

Jenseits davon, wie nun Barroso und die EU-Kommission auf die Petition reagieren, in Klausenburg spitzt sich die Lage zu: Wie das rumänische Blatt "Cotidianul" (Die Tageszeitung) berichtet, schlägt der hinter der Gründung stehende Initiativausschuß "Bolyai" nach der Ablehnung der Einrichtung der drei ungarischen Fakultäten den Boykott des Senats der Klausenburger Universität vor. Die Rumänen kontern, zweifeln die Rechtmäßigkeit des Ausschusses an, und erachten, daß Multikulturalität nicht gleich zu sein habe mit Absonderung, worauf der stellvertretende Vorsitzende des Initiativausschusses, Kovács Lehel anführt, ein Gründungsgesuch der drei Fakultäten "stehe seit 15 Jahren auf der Agenda des Ungarnverbands". "Wir sehen nicht ein, warum wir die einzige multikulturelle Universität des Landes zerstören müssen, um eine andere Universität zu gründen", sagte der Sprecher der UBB, Ovidiu Pecican, und fügte hinzu: "Es gibt Gruppierungen, die Druck ausüben sowohl auf den Ungarnverband als auch auf den rumänischen Staat. Es geht hier nicht um die Notwendigkeit des Unterrichts in ungarischer Sprache." Noch deutlicher wird der UBB-Politologe Miklos Bakk, der die gegenwärtigen Kontroversen auf die von Ceausescu und Iliescu durchgesetzte Zwangsvereinigung der beiden Klausenburger Universitäten zurückführt. Aber welcher Politiker ist schon so ehrlich, die wahren Motive seines Handelns beim Namen zu nennen. Darin unterscheidet sich der Rumäne nicht vom Ungarn, der Ungar nicht vom Deutschen, und der Deutsche nicht von allen anderen.

Der Staatssekretär im Bildungsministerium, Jozsef Koto, sagte der Zeitung "Adevarul" (Die Wahrheit), in ihrer gegenwärtigen Struktur könne die Universität die Chancengleichheit nicht gewährleisten: Der Ungarnverband verfolge eine Änderung der Gesetzgebung.

 

1581 Der polnische König Stefan Bathory gründet in Klausenburg ein von den Jesuiten geführtes Kolleg; es wurde später wieder geschlossen.

1688 Die Katholiken gründen in Klausenburg eine von Jesuiten geführte Akademie.

1776 gründet die Kaiserin Maria Theresia eine deutschsprachige Universität in Klausenburg, die von Kaiser Joseph II. durch die Piaristen-Hochschule ersetzt wurde. Die Unterrichtssprache dort war Latein.

1872 Nachdem der ungarische Minister Loránd Eötvös die Errichtung einer Universität mit ungarischer, rumänischer und deutscher Unterrichtsprache gefordert hat, wurde eine rein ungarische Universität gegründet.

1919 Nach dem Ersten Weltkrieg fällt Klausenburg zu Großrumänien; die Universität wird am 12. Mai als komplett rumänische neu gegründet.

1940 Nach den Wiener Schiedsspruch, als ein Großteil Nordsiebenbürgens durch Hitler an Ungarn zurückfiel, zog die rumänische Universität nach Hermannstadt und Temesvar und die ungarische nach Szeged.

1945 zog die rumänische Universität nach Klausenburg zurück und erhielt den Namen des Arztes Victor Babes. Die rumänische Regierung gründet die ungarische Universität Bolyai.

1956 wurden die beiden Universitäten zur Universität Babes-Bolyai mit rumänischer und ungarischer Unterrichtssprache vereinigt. Die Universität zählt heute mehr als 45000 Studenten und 1700 Lehrkräfte. Sie ist die größte und komplexeste Rumäniens und arbeitet mit 13 bundesdeutschen Universitäten und Hochschulinstituten zusammen. Rector ist Prof. Dr. Nicolae Bocsan.

Mehrsprachige Universität in Klausenburg: Die Vorlesungen finden in Rumänisch, Ungarisch, Deutsch oder Englisch statt.
 
     
     
 
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