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Am 9. März 1888 starb Wilhelm I., dessen 90. Geburtstag das deutsche Volk noch in einmütiger Dankbarkeit gefeiert hatte. Dem nur 99 Tage regierenden Fried-rich III. folgte im Dreikaiserjahr der 1859 in Berlin geborene Wilhelm II. Um den bald ausbrechenden Konflikt zwischen dem Reichskanzler und seinem jugendlichen Kaiser besser beurteilen zu können, ist die Lektüre von Wilhelms Erinnerungen "Ereignisse und Gestalten 1878-1918" (Verlag Koehler, Leipzig 1922) hilfreich. Überzeugt von der staatsmännischen Größe des Fürsten Bismarck , dem Schöpfer des Deutschen Reiches, verehrte, ja vergötterte der junge Prinz ihn. Als Kaiser hingegen meinte er, der Fürst führe einen Kampf gegen ihn. Wilhelm II. hielt manche politischen Pläne oder Handlungen für Fehler, die er sich nicht zu eigen machen könne. Dazu gehörten der Berliner Kongreß und der Kulturkampf ebenso wie der offene Kampf gegen die Sozialdemokratie. Der Kaiser hielt auch das Nachgeben in der Kolonialfrage gegenüber Großbritannien für unwürdig, gleichfalls bedauerte er Bismarcks vermeintliches Unverständnis bezüglich des Ausbaus der Flotte. Nicht mehr bereit, sich dem Willen des Kanzlers weitgehend unterzuordnen, kam es bald zu Auseinandersetzungen, die auch ins Persönliche reichten.
In der Sozialpolitik versuchte Bismarck die Minister gegen den Monarchen zu mobilisieren, aber Wilhelm II. setzte sich durch. Da reichte Bismarck am 18. März 1890 seine Entlassung als preußischer Ministerpräsident und Außenminister sowie deutscher Reichskanzler ein. In einem Schreiben an Kaiser Franz Joseph I. rechtfertigte Wilhelm II. sein Vorgehen gegen Bismarck: "Er wollte alles alleine machen und herrschen ... Da riß mir die Geduld, denn jetzt hieß es der Kaiser oder der Kanzler bleibt oben." Bismarck verließ ungern seine Wirkungsstätte, es war letzten Endes das persönliche Bestreben des Monarchen, den Kanzler loszuwerden. In kürzester Zeit mußte er Wohnung und Amtsräume in der Wilhelmstraße räumen, "wir wurden wie Hausdiebe auf die Straße gesetzt", klagte der Ex-Kanzler. Wenn jetzt auch 24 Friedensjahre dem deutschen Volke bevorstanden, so war die Entlassung Bismarcks doch ein Unglück. Der Kaiser glaubte, sein eigener Kanzler sein zu können, er beherrschte aber nicht im entferntesten das diplomatisch geschickte Spiel auf internationalem Parkett mit den fünf Bällen, die der Exkanzler so souverän zu jonglieren verstand. Bismarcks Entlassungsgesuch argumentierte hauptsächlich mit der Außenpolitik. Die in der Form verbindliche Schrift, übrigens ein bemerkenswertes staatspolitisches Dokument, setzte in allen Dingen den Monarchen ins Unrecht. Prompt verbot der Kaiser die Veröffentlichung des gesamten Schriftstückes.
Mit einem Sonderzug reiste der Ex-Kanzler nach Friedrichsruh, seinem Besitz im Sachsenwald. Dieser weiträumige Altersruhesitz mit Schloß, Gästehaus und Mausoleum wurde mehr und mehr zu einer nationalen Kult- und Huldigungsstätte. Es kamen Deputationen aller deutschen Gaue, Kriegervereine, Studentenabordnungen und Berufsorganisationen, um dem "Alten im Sachsenwald" ihre Verehrung zu bekunden. Erfreut über die vielen Besuche mahnte Bismarck stets, "das Erreichte zu würdigen, auszubauen und zu bewahren". Des Altkanzlers Besuch im Berliner Schloß und der am 19. Februar 1894 erfolgte Gegenbesuch des Kaisers in Friedrichsruh wurden von der Öffentlichkeit erleichtert als offizielle Aussöhnung gefeiert.
Einen Höhepunkt erreichten die Huldigungen zum 80. Geburtstag am 1. April 1895. Alle vaterlandsliebenden Deutschen sahen die Bismarckverehrung als eine patriotische Pflicht an. Über 450 Städte verliehen dem Jubilar die Ehrenbürgerschaft, ihre Anerkennung galt dem historischen Helden, dem Gründer des zweiten deutschen Reiches. Und in der Tat, es hatte erst ein Mann von der außergewöhnlichen Größe Bismarcks auftreten müssen, um die deutsche Neigung zum Individualismus und zur Selbstzerstörung zu überwinden. Die Anzahl der Bismarckdenkmäler jeglicher Art innerhalb der Grenzen des deutschen Kaiserreiches überstieg die Zahl 1.000. Außer den Standbildern aus Bronze und Stein ehrte man den Reichsgründer mit dem Bau von mächtigen Bismarcktürmen. Diese Erinnerungsstätten sind aus den Spenden der dankbaren Bevölkerung aufgerichtet worden. Der Münchner Künstler Franz von Lenbach malte und zeichnete mehr als 100 künstlerisch wertvolle Bismarckdarstellungen, darunter auch die oben zu sehende. Seine Porträts prägten das Bild des Reichsgründers der Nachwelt am meisten.
Kurze Zeit nach dem Tode Bismarcks am 30. Juli 1898 erschienen die ersten beiden Bände seiner "Gedanken und Erinnerungen" (Cotta-Verlag, Stuttgart). Der dritte Band mit der Schilderung der Entlassung Bismarcks durfte erst 1919 nach dem Sturz der Hohenzollern-Monarchie veröffentlicht werden. Zu Recht nennt der Herausgeber Horst Kohl die "Gedanken und Erinnerungen" ein "kostbares Erbe der deutschen Nation, aus dem noch in künftigen Jahrhunderten unsere Staatsmänner Belehrung schöpfen können." U. P.
Fürst Otto v. Bismarck: "Gedanken und Erinnerungen. Ungekürzte Ausgabe", 3. Auflage, Herbig, München, 1989, Kunststoffeinband, 640 Seiten, 24,90 Euro
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