|
Die osteuropäischen EU-Staaten locken mit niedrigen Steuern für Kapitalgesellschaften. Ein verschärfter Wettbewerb um Arbeitsplätze und Standorte ist in vollem Gange. Die neuen Niedrigsteueroasen im Osten werben erfolgreich, gehen aber mit ihrem radikalen Kurs auch hohe Risiken ein - auf Kosten der "alten" EU.
Sie tragen ihre neuen Namen mit stolz: "Mister 19 Prozent" und "Mister 16 Prozent", besser bekannt als Finanzminister der Slowakei beziehungsweise Ungarns wetteifern miteinander sowie ihren sechs Kollegen aus dem Erweiterungsraum Europas. Es geht um Schlagzeilen, Investoren und trotz beitrittsbedingter Inflation um den ersehnten Aufschwung. Im Mittel der alten 15 EU-Länder lag die Unternehmenssteuer unmittelbar vor dem Beitritt der osteuropäischen EU-Kandidaten bei 29,4 Prozent.
Sogar im Vergleich zu diesem Durchschnittswert erscheinen die Steuerquoten der Neumitglieder äußerst verlockend. Gerade die unter Kostendruck und bei geringen Gewinnen arbeitende Auto-Zuliefererindustrie der alten EU eröffnete schon vor dem 1. Mai Werke in Osteuropa, weitere werden folgen. Im Globalisierungswettkampf bremsen die Schwachen so die Starken mit Hilfe des Steuersystems aus, finanziert mit EU-Mitteln, also letztlich auch deutschen Steuergeldern. Sorge um deutsche Arbeitsplätze breitet sich aus. Schon vor der EU-Erweiterung forderten SPD- und CSU-Politiker Mindeststeuersätze in Europa. Mit den Subventionen der EU-Geberländer könnte so bald ein Abwärtswettbewerb in Sachen Steuern finanziert werden, der Deutschland neben Geld auch Arbeitsplätze und vielleicht ganze Branchen kostet. Doch Abwehrmaßnahmen ist vorerst wenig Erfolg beschieden, versuchen doch einzelne Staaten gezielt, ihre wirtschaftliche Transformation mit steuermüden mitteleuropäischen Unternehmen zu realisieren.
Estland ist so ein Fall. Wer Unternehmensgewinne im Land voll reinvestiert, zahlt in Estland keine Unternehmenssteuern. Auch die Slowakei und Polen senkten ihre fiskalen Ansprüche - Polen immerhin von 27 auf 19 Prozent. Tschechien mußte sich für seine Roßkur "19 Prozent Einheitssteuersatz" sogar Kritik der Weltbank anhören. Die Entwicklung ist laut Institut der Deutschen Wirtschaft klar absehbar: "Die niedrigen Steuersätze bringen den neuen EU-Ländern Standortvorteile und dürften ihnen über höhere Investitionen und ein stärkeres Wachstum längerfristig höhere Steuereinnahmen bescheren" - längerfristig, wohlgemerkt. Ein so schlanker Staat, wie ihn sich die Neumitglieder aufgrund ihrer Steuerpolitik selbst verordnen, ist in Deutschland bisher undenkbar. Grund zur Panik bei Arbeitnehmern und zur ungebremsten Euphorie in Unternehmenszentralen sind die Steuervorteile des Ostens allerdings nicht - im Zweifelsfall haben sich Firmen jüngst für den Verbleib von Produktion und Arbeitsplätzen in Deutschland entschieden. Denn Steuern sind neben Lohnkosten eben nur einer von vielen Faktoren. Ein anderer, Qualität, läßt sich nicht kurzfristig mitverlagern. Infrastruktur, sprich Verkehrsverhältnisse, sind ein weiterer. Die Steuern selbst werden außerdem von einem zum anderen EU-Land keineswegs nach vergleichbaren Maßstäben erhoben. Durchaus seriöse Schätzungen der realen Belastungen für Betriebe, vorgenommen von den großen Unternehmensberatungen, Banken und Wirtschaftsinstituten Deutschlands, schwanken teilweise gerade für die neuen Mitgliedsstaaten im Fünf-Prozent-Bereich. Was nützen geringe Steuern auf Kapitalgesellschaften, wenn der Staat an anderer Stelle zulangt. Beispielsweise klaffen in punkto Rechtssicherheit und Transparenz schon zwischen alten und neuen EU-Ländern Lücken, von Rußland und den EU-Kandidaten der nahen Zukunft wie Rumänien ganz zu schweigen.
Manche Staaten unterbieten sich geradezu gegenseitig mit radikalen Lockangeboten, nur wie lange noch? Wer jetzt noch Steuerdumping betreibt, schaut bereits auf die Riege der noch wartenden EU-Aspiranten. In Bulgarien sind Steuern und Stundenlöhne im Schnitt noch einmal deutlich geringer als in den baltischen Staaten, Ungarn oder Slowenien. An den Grenzen des gemeinsamen Wirtschaftsraums EU findet nämlich die Steueranreizpolitik keineswegs eine notwendige Grenze - höchstens ihre unfaire Subventionierung auf Kosten der EU-Geberländer, die mit ihren hohen Beiträgen an Brüssel viele Infrastrukturausbauten im Osten finanzieren. Ausgaben, die so dort nicht mehr staatlich "hereingeholt" werden müssen.
Einem deutschen Unternehmen nützte es freilich wenig, die 1,35 Euro Stundenlohn eines Bulgaren zum Maßstab Europas zu erheben. Neben Steuern und Löhnen werden die neuen Europäer mit weiteren Vorteilen aufwarten müssen, sonst drohen sie langfristig in dem Wettbewerb, den sie betreiben, draufzuzahlen. Denn erhöhen die zu Wohlstand gekommenen Schwellen- länder ihre Steuern, wandert die mit kurzfristigen Effekten gelockte Globalisierungskarawane weiter. Übrig bleiben dann womöglich die Fertigung von Teilen für den Export - den Deutschen wohlgemerkt, denn schon heute lassen deutsche Unternehmen einen Großteil ihrer Produkte im osteuropäischen Ausland fertigen. In Deutschland erfolgt die Endmontage. Insofern profitiert allerdings der Standort Europa als Ganzes. Sverre Gutschmidt
Auf einen Blick: Unterschiede in der Besteuerung von Kapitalgesellschaften zeigen (mit Ausnahme der Schweiz) ein klares West-Ost-Gefälle.Viele Osteuropäische Staaten setzen risikofreudig auf langfristiges Wachstum ihrer Ökonomien und sind bereit, im Vertrauen auf ihre Anziehungskraft soziale Härten für die hinzunehmen, die dem neuen Kurs nicht zu folgen vermögen. Eine Subventionskultur ist ihnen fremd, statt auf staatliche Hilfe setzt man auf ideale Rahmenbedingungen für alle. Das deutsche Steuersystem erzeugt nicht so sehr durch die letztlich zu zahlenden Steuern, sondern durch Komplexität Probleme - zirka drei Viertel der weltweiten Steuerliteratur setzt sich mit dem deutschen System auseinander. Graphik: cos
|
|