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Bombe der Armen

 
     
 
Sie lösen entsetzliche Epidemien aus, können schon in geringen Mengen ganze Städte ausrotten. Die Furcht vor Atomschlägen und chemischen Kampfgasen hat den Blick auf die fürchterliche Wirkung biologischer Waffen weitgehend verstellt. Doch Experten warnen: B-Waffen töten Menschen mittels heimtückischer Bakterien. Ein qualvolles Ende für jeden Betroffenen. Sie kosten nicht viel, sind daher gerade für Drittwelt-Despoten und selbstmörderische Sekten das ideale Instrument des Massenterrors.

Die vor kurzem von Indien und Pakistan durchgeführten Atomtests haben erneut gezeigt, daß ein atomares Wettrüsten in Südostasien
nach wie vor möglich ist. Dabei unterhalten noch manch andere Staaten Nuklearprogramme, bzw. müssen zu atomaren Schwellenländern gezählt werden. Daß es diese Programme trotz Atomwaffensperrvertrags und Teststoppabkommen gibt, zeigt nicht nur, wie notwendig internationale Kontrollen und vertrauensbildende Maßnahmen sind, sondern daß all diese Vorkehrungen keine absolute Garantie gegen die Proliferation von Massenvernichtungswaffen bieten.

Da jedoch die Atomwaffen und –seit dem Inkrafttreten der Chemiewaffenkonvention (April 1997) – auch die Weiterverbreitung von C-Waffen durch eine entsprechende Kontrollbehörde in Den Haag (OPCW) überwacht wird, dürften die indischen und pakistanischen Atomtests den "Reiz" einer dritten Gattung von Massenvernichtungswaffen weiter erhöht haben: der biologischen Kampfstoffe, der nunmehrigen "Atombombe der Armen". Die sogenannten B-Waffen sind nicht nur ein gutes Beispiel für die Vielgestaltigkeit des gesamten Abrüstungsprozesses und die schwierige Abgrenzung zwischen ziviler und militärischer Nutzung; vielmehr zeigen die biologischen Waffen deutlich, daß Abrüstungsvereinbarungen ohne klare Kontrollen das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben wurden.

Als die 1972 unterzeichnete B-Waffenkonvention (BTWC) 1975 in Kraft trat, schätzten Experten, daß abgesehen von USA und UdSSR vielleicht noch ein oder zwei andere Staaten über entsprechende Programme verfügten, 25 Jahre später dürften jedoch mehr als 20 Staaten im Nahen Osten und in Asien über biologische Waffen verfügen oder an derartigen Programmen arbeiten, obwohl die BTWC in Artikel I ausdrücklich die Entwicklung, Produktion und Lagerung dieser Waffen verbietet.

Einen ersten kräftigen Impuls erhielten Überlegungen zur Stärkung der B-Waffenkonvention durch den Krieg gegen den Irak. Während Bagdad noch 1991 behauptet hatte, "niemals" B-Waffen besessen zu haben, gestand die irakische Führung 1995, ein B-Waffen-Offensiv-Potential angestrebt zu haben. Allein 1988 hatte der Irak 39 Tonnen eines Wachstumstoffes für Milzbrand-Erreger ("Anthrax") und Botulinum importiert. Nur für 22 Tonnen konnte die zivile Verwendung nachgewiesen werden, elf Tonnen zerstörte UNSCOM 1996, der Verbleib von sechs Tonnen ist ungeklärt. Ein halber Liter Anthrax genügt bereits, um eine Stadt mit 40 000 bis 50 000 Einwohnern auszurotten.

Der Irak ist auch noch in anderer Hinsicht ein gutes Beispiel für die Probleme, die im Zusammenhang mit der wirksamen Kontrolle von B-Waffen bestehen; wie die Biographie der "Mutter" des irakischen B-Waffenprogramms, Rihab Rashida Taha, anschaulich belegt, läßt sich das grundlegende Wissen an zivilen Institutionen unverdächtig erwerben, sind derartige Kampfstoffe das Paradebeispiel für Güter mit doppeltem Verwendungszweck (dual-use-technology). Den "letzten Schliff" erhielt die nunmehr 43jährige "Waffendesignerin" bei einem Auslandsaufenthalt in Großbritannien. Kurz vor Ausbruch des irakisch-iranischen Krieges 1980–1988) kam Taha nach Norwich, um dort ihr Doktorat zu machen. An der biologischen Fakultät studierte sie eingehend pflanzliche Krankheitserreger, die Weizen und Tabak befallen. Später fanden Uno-Inspektoren in Tahas Labors im Irak nach Angaben des amerikanischen TV-Senders NBC völlig neue biologische Waffen, unter anderem Krankheitserreger, die die Augen zum Bluten bringen, oder eine bisher unbekannte Art von Pockenviren.

Bei der dritten Überprüfungskonferenz zur B-Waffenkonvention im September 1991 zog man die Lehren aus diesem jüngsten Golf-Krieg und setzte eine Arbeitsgruppe ein, die Möglichkeiten zur Stärkung der Konvention erarbeiten sollte. Dieses unter der Bezeichnung "Verex" bekannt gewordene Gremium bildete bei einer Sonderkonferenz im Jahre 1994 eine Ad-Hoc-Gruppe (AHG), die konkrete Vorschläge erarbeitet, wie ein System zu Überprüfung und Nachweis von Programmen und Anlagen militärischer und ziviler Natur beschaffen sein könnte. Zusätzliche Impulse erhielten diese Verhandlungen auch durch den amerikanischen Präsidenten Clinton, der im Januar dieses Jahres auf die Gefahr biologischer Waffen in seiner Rede an die Nation ausdrücklich hinwies. Darüber hinaus beginnen die USA noch in diesem Sommer mit einem großangelegten Programm, mit dem zunächst 100 000 Soldaten gegen Anthrax geimpft werden sollen, die am Golf und in Südkorea stationiert sind. Binnen sechs Jahren sollen 2,4 Millionen Soldaten geimpft sein. Die Kosten hierfür belaufen sich auf umgerechnet rund 230 Millionen Mark.

Unterdessen haben die Verhandlungen in Genf zum Entwurf eines Protokolls geführt, das die B-Waffenkonvention ergänzen und ihr auch konkrete Möglichkeiten zur Überprüfung biologischer Waffenarsenale, Fabriken und Laboratorien mehr Wirksamkeit verleihen soll. In Anlehnung an die Chemiewaffenkonvention und deren Kontrollbehörde in Den Haag (OPCW) ist ebenfalls an die Einrichtung einer B-Waffenbehörde gedacht, die nach Ansicht von Experten etwa 200 Mitarbeiter (darunter 70 Inspektoren) umfassen sollte. Um den Sitz dieser Behörde hat sich Genf beworben, wobei auch Den Haag und Wien Interesse zu eigen. Analog zur C-Waffen-Regelung ist ein dreistufiges Verfahren gedacht, wobei relevante Industrieunternehmen oder Laboratorien ihre Aktivitäten der nationalen Behörde melden, die dann die Angaben an die Kontrollbehörde weiterleitet, die ihrerseits wieder mit verschiedenen internationalen Institutionen (WHO, FAO, OPCW etc.) kooperiert, Inspektionen durchführt und einen Bericht verfaßt. Im Falle der C-Waffenkonvention ist zum Beispiel in Österreich das Wirtschaftsministerium zuständig, wobei Unternehmen sich bereits via Internet darüber informieren können, ob sie mit Stoffen arbeiten, die unter die Konvention fallen, bzw. die notwendigen Formulare abrufen können.

Bei den Genfer Gesprächen zum Protokoll zur B-Waffenkonvention ist Österreich durch Legationsrat Willy Kempel vertreten, der gemeinsam mit dem Institut für angewandte Mikrobiologie in Wien jüngst ein internationales Expertentreffen zum Thema B-Waffen veranstaltet hat. Nach Kempels Angaben soll das Protokoll unter anderem folgende drei Informationsmöglichkeiten bieten: Erklärungen (Staat, Unternehmen), Verdachtsinspektionen im Falle einer behaupteten Herstellung von B-Waffen oder eines behaupteten Einsatzes dieser Kampfstoffe und drittens sogenannte vertrauensbildende Besuche. Diese Besuche sollen entweder in Form von Zufalls- und Aufklärungsvisiten oder auf freiwilliger Basis stattfinden, wobei bei diesen Besuchen bisher vorgesehen ist, daß weder Proben gezogen noch Einblick in vertrauliche Geschäfts- oder Forschungsunterlagen genommen wird. In Österreich dürften nach Schätzungen Kempels etwa drei bis vier Unternehmen betroffen sein. Weiter sieht das Protokoll auch Feldinspektionen sowie die Überprüfung ehemaliger B-Waffenanlagen vor. Die Verhandlungen in Genf sollen im Frühjahr 1999 abgeschossen sein. Grundsätzlich zufrieden ist Kempel mit der Haltung der Industrie zu den im Protokoll vorgesehenen Maßnahmen; je mehr die Regierungen ihre Unternehmen informiert haben, desto größer sei das Verständnis, daß über die bereits strikten Gesundheits-, Umwelt- und Produktionsauflagen eine weitere Kontrolle nötig sei. Das gelte auch für Österreich und die meisten Länder der EU, wobei in Deutschland, aber auch in den USA im Zusammenhang mit der Wahrung von Geschäftsgeheimnissen noch gewisse Vorbehalte bestünden.

Beschränkt einzuschätzen sind allerdings die Möglichkeiten, die die Stärkung der B-Waffenkonvention für den Kampf gegen biologische Terroranschläge bietet; zu erwähnen sind zwar die Kontrollen einschlägiger Unternehmen und Laboratorien, doch muß der Kampf gegen derartige Terrorgruppen primär vom jeweiligen Land selbst bzw. durch die möglichst enge Kooperation der Innenministerien geführt werden. Wichtige Erkenntnisse lieferte dabei auch die japanische AUM-Sekte, die 1995 mit dem Nervengas Sarin einen Anschlag auf die U-Bahn von Tokio verübte, der zwölf Todesopfer forderte und mehrere tausend Menschen verletzte.

Nach Ansicht von Brad Roberts, Experte beim Institut für Verteidigungsanalysen in Washington, zeigt der AUM-Fall, daß es für anarchistische Gruppen mit entsprechenden Finanzmitteln relativ leicht sei, tätig zu werden, aber schwer, "erfolgreich" zu sein. Schließlich habe die AUM-Sekte neunmal erfolglos versucht, Sarin auszubringen, wobei die Versuche an der mangelhaften Spray-Vorrichtung gescheitert seien. Das zeige, daß nicht nur die Fähigkeit zur Herstellung der Kampfstoffe, sondern auch die technischen Voraussetzungen zu deren Verteilung vorhanden sein müßten. Nach Ansicht von Roberts ist es vor allem in den USA notwendig, die Kontrollen und Bestimmungen zu verschärfen, die die Abgabe von chemischen und biologischen Basisstoffen regeln. Sorgen machen Roberts übrigens viel weniger klassische Terrororganisationen (RAF) oder Befreiungsbewegungen (PLO). Da diese politische Ziele verfolgten, sei ein B-Waffeneinsatz praktisch ausgeschlossen, da sich dadurch die Organisation auch bei allfälligen Sympathisanten diskreditieren würde. Weit gefährlicher seien Anarchisten oder Sekten wie die AUM; schließlich gebe es allein in den USA 300 Gruppen, die glaubten, daß im Jahre 2000 die Welt untergehen werde, und die möglicherweise durch B-Waffen das ihre zur Erfüllung dieser Prophezeiungen beitragen wollten.

 
     
     
 
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