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Ein Schreckgespenst rast um den Globus. Es ist unter dem Namen "Globalisierung" in aller Munde. Das Thema Globalisierung hat auch Konjunktur in der medialen Welt. Sein Vorhandensein scheint also offenkundig, aber kaum verifizierbar. Das Bemühen, es faßbar zu machen, hat zu einer nicht mehr erfaßbaren Literat ur geführt.
Globalisierung zielt auf "weltweit" und wird überwiegend auf ökonomische Vorgänge bezogen. Die global agierende Wirtschafts- und Finanzwelt ist weder eine neuere Erscheinung in unserer heutigen Zeit noch exklusiv mit ihren weltumspannenden Aktivitäten. Sie ist lediglich ein herausragender Bestandteil einer hegemonialen Weltpolitik. Die Globalisierung umschreibt einmal den Prozeß der weltweiten Veränderung der Wirtschaftsformen seit den Anfängen des Welthandels und der Industrialisierung, wobei der Schwerpunkt dieser Veränderungen ohne Zweifel schon durch die inzwischen erreichte Qualität sowie die Geschwindigkeit des Prozeßverlaufes in der II. Hälfte des 20. Jahrhunderts festzustellen ist. Nun hat der Globalisierungsprozeß zweitens über den rein ökonomischen Aspekt hinaus erheblichen Einfluß auf soziale und ökologische sowie wirtschafts- und staatsrechtliche und damit auf grundsätzliche gesamtpolitische Zusammenhänge. Globalisierung beschränkt sich eben nicht auf die Wirtschafts- und Finanzmärkte, sondern zielt auf eine strukturelle Veränderung in einer einheitlichen Weltordnung des Wirtschafts-, Finanz- und Sozialwesens ebenso wie auf die politische Ordnung und die kulturelle Vereinheitlichung in allen Lebensbereichen.
Die Globalisierung trifft somit auf den "staatstheoretischen Globalismus", der seinen Ursprung in sehr viel älteren rechts- und staatsphilosophischen Überlegungen hat, die durch Schaffung einer weltstaatlichen Friedensordnung das reine Naturrecht zu überwinden suchen. Der Begriff "Globalismus" wird überwiegend für die alle Ideen, Ziele, Bemühungen und Maßnahmen umfassende Ideologie verwendet, die auf eine weltweit ausgerichtete Lösung hinausläuft. Sowohl der Globalismus als Ideologie wie die Globalisierung als Prozeß zielen auf die Veränderung des globalen Zustandes durch Schaffung einer neuen globalen Ordnung. Das Politische hat schon immer nach Beherrschung der Welt strebend mit dem Überschreiten der nationalstaatlichen Territorialgrenzen den Prozeß der Globalisierung in zahlreichen Facetten entwickelt und befördert. Der Weg zur globalen Vorherrschaft hat eine lange imperiale Geschichte gewaltsamer Auseinandersetzungen, die alle im Kern ihre Ursache in wirtschaftlichen und sozialen Unterschieden, Interessen und Spannungen gehabt haben.
Fragt man nach den Dimensionen der globalen Wirtschaft, wird man freilich ihre lange Vorgeschichte nicht außer acht lassen können, wenn auch erst im Laufe des 19. Jahrhunderts sich verschiedene Fragmente von sehr unterschiedlicher Größe und Dichte des Wirtschaftsverkehrs zu einem globalen Netz zusammenfügten. Bis zum Beginn des 3. Jahrtausends n. Chr. hat sich eine globale Lage entwickelt, zu deren Verständnis und Beurteilung die historische Kontextur ihrer Merkmale, Erscheinungsformen, Ziele und Perspektiven durchaus hilfreich sein kann. Es erweist sich, daß die heutigen globalen Rahmenbedingungen in Jahrhunderte und Jahrtausende währenden Entwicklungslinien vorgezeichnet wurden.
Die Entwicklung der Weltordnung findet ihren Ursprung auf dem eurasischen Kontinent, der fälschlicherweise und in Verkennung der geographischen, wirtschaftlichen, politischen und religiösen Zusammenhänge und Verknüpfungen wie zwei getrennte Kontinente betrachtet wird. Während die beiden amerikanischen Kontinente erst mit ihrer Wiederentdeckung (1493 bis 1504 n. Chr.) und dem einsetzenden Wettlauf der europäischen Kolonialmächte um die Schätze Amerikas in der Weltgeschichte eine Bedeutung erlangten, hatten sich die eurasischen Groß- und Weltmächte längst herausgebildet.
Die antiken Großreiche der Ägypter und Hethiter sowie die Welt der Griechen und das Alexander-Reich im Westen (mit dem europäisch-asiatischen Wirtschaftsraum) und China im Fernen Osten (bereits 131 v. Chr. mit einer Wirtschaftsblüte durch transkontinentalen Handel über die Seidenstraße) hatten bis zur Zeitenwende in einer fast 5000jährigen Geschichte ihre historischen Höhepunkte bereits überschritten, bevor sie von neuen eurasischen "Weltreichen" abgelöst wurden.
Das Römische Imperium (mit einer mittelmeerischen Weltwirtschaft) im eurasischen Westen und Orient und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation (aufblühender mitteleuropäischer Wirtschaftsraum mit dem Ausgreifen der Hanse über den Ostseeraum und nach Osten) in Kontinentaleuropa begründeten die spätere eurozentrierte Weltwirtschaft. Das erste eurasische Großreich, das beide Teile des Kontinentes dauerhaft geographisch, politisch und wirtschaftlich überspannen sollte, war die ab dem 16. Jahrhundert entstehende Weltmacht Rußland.
Parallel hierzu bildeten sich die westeuropäischen Großreiche zu weltumspannenden Kolonialreichen heraus, die sich mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges erst endgültig auflösten und der heute alleinigen Weltmacht USA die Führungsrolle bei der Gestaltung der Weltordnung abtreten mußten.
Spanien hatte nach Mittel- und Südamerika gegriffen, England nach Nordamerika und über den Orient sowie Südafrika nach dem Mittleren Osten im südlichen Asien, während Frankreich sich in Afrika und Fernost festsetzte. Deutschland als späte Kolonialmacht hatte sich mit den Brosamen zu begnügen, die die anderen übriggelassen hatten.
Heute schickt sich Europa an, in einem europäischen Wirtschaftsverband die an die USA verlorene wirtschaftliche Vormachtstellung wieder zurückzuerobern. Dabei sind die bisherigen sogenannten "Handelskriege" zwischen ihnen nur ein Vorgeschmack auf die künftigen Auseinandersetzungen. Die gerade in Gang gekommenen Diskussionen über das US-Wirtschaftsspionagesystem "Echelon" zeigt, mit welchen Mitteln und einer geradezu kriminellen Intensität sich Amerika auf diese wirtschaftliche Konfrontation mit dem noch verbündeten Europa vorbereitet.
Seit wann man von einer globalen Weltwirtschaft sprechen kann, ist umstritten. Einige Autoren sprechen von einer mittelalterlichen Weltwirtschaft. Andere sahen interkontinentale Handelsverbindungen schon vor mehr als zweitausend Jahren als gegeben an. Wieder andere Autoren sind jedoch der Meinung, daß von einer Weltwirtschaft erst seit der Mitte oder dem Ende des 19. Jahrhunderts gesprochen werden könne, weil erst seitdem ein die Erde wirklich umspannendes Handels- und Finanznetz existiert habe.
Die seit der frühen Neuzeit mittelmeerisch zentrierte, drei Kontinente berührende "Welt"-Wirtschaft wurde im Mittelalter durch die eurozentrische Weltwirtschaft abgelöst.
Diese mußte ihrerseits langsam der atlantisch zentrierten Weltwirtschaft weichen, die schließlich ihr Netz auch auf andere Kontinente, besonders nach Südamerika sowie Süd- und Ostasien, aber auch nach Afrika und Ozeanien ausgedehnt hat. Dabei darf man nicht übersehen, daß ältere, die Kontinente übergreifende Zusammenhänge bestehen blieben, weiter ausgedehnt wurden und erst allmählich und bis weit ins 20. Jahrhunderts hinein unvollständig, in dieses Muster eingefügt worden sind. Damit ist der Globalisierungsprozeß zu einer wirklich globalen Weltwirtschaft in sein Endstadium eingetreten. Was ihn in der heutigen Erscheinungsform kennzeichnet, ist die fast grenzenlose wie auch schrankenlose weltweite Aktionsfähigkeit und Integration multinationaler Wirtschaftsunternehmen und der Transaktionsmöglichkeiten des Finanz- und Kommunikationswesens. Der modere, weltweite Tanz ums "Goldene Kalb" manifestiert sich in einer vielschichtigen Umverteilungspolitik, d. h., der materielle Kampf aller gegen alle wird bestimmt durch das Verlangen, einen möglichst großen Anteil von dem Wohlstandskuchen mit möglichst geringem Leistungsanteil zu erobern.
Eine entscheidende offene Frage ist, ob die globale Zukunft, so sie denn eine unaufhaltsame Entwicklung ist, ein globaler Kapitalismus oder eine globale "sozialistische Marktwirtschaft" wird. Getrieben und getragen wird die Globalisierung derzeit von den Deregulierungen eines libertinären Kapitalismus. Aber schon regen sich die sozialistischen Kräfte, die eine Befriedigung der sozialen Komponenten einklagen, natürlich mit Forderungen nach dirigistischen gesellschaftlichen und weltstaatlichen Regulierungen.
Als der damalige US-Präsident Bush Anfang der neunziger Jahre das Ziel einer "Neuen Weltordnung" verkündete, war diese Forderung weder originell noch klar umrissen. Globalismus als die Ideologie einer neuen Weltordnung in seiner staats- und völkerrechtlichen Ausprägung läßt sich in vielfältiger Weise zu der Aufklärungsphilosophie Immanuel Kants (17241804) sowie über die christliche Theologie des Augustinus (354430) bis zu Platon (427347 v. Chr.) und Aristoteles (384322 v. Chr.) zurückverfolgen. Sie und viele andere haben philosophisch und staatspolitisch über die globale Lösung des Weltfriedensproblems und einer humanen menschlichen Gesellschaft nachgedacht. Dabei ging es immer um die Grundfrage, den Gegensatz zwischen ewigem Krieg und ewigem Frieden durch eine globale Rechtsordnung zu überwinden und eine Idee zu einer Geschichte in weltbürgerlicher Absicht zu entwickeln, was in der Moderne zu der Forderung nach einer neuen Weltordnung zur Sicherung des globalen Friedens und der Menschenrechte geführt hat.
"Von ,Platos Idealstaat bis zur Europäischen Union" (Rudolf Weber-Fas) war ein weiter Weg, der einen Ideenbogen vormoderner Staatsideen bis zum postmodernen Weltstaat überspannt. Mit der Entstehung der Nationalstaaten ist auch eine Brutalisierung der kriegerischen Auseinandersetzungen einhergegangen, was in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Forderung nach einer gerechteren, demokratischen Weltordnung in den Mittelpunkt rückt, wobei zum Zwecke globaler Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit eine wenn auch hierarchisch strukturierte Weltrepublik als die Ultima ratio angesehen wird.
Mit den westlichen Werten von Demokratie, Menschenrechten und Liberalismus alleine läßt sich die Welt in ihrer historischen, ethnischen, kulturellen und staatlichen Vielfalt eben nicht regieren. Die heute aktuellen Probleme einer globalen Rechtsordnung haben insbesondere zwei Problemstellungen in den Vordergrund gestellt. Einmal das Prinzip der Nationalstaatlichkeit und zweitens des Demokratismus. Der Paradigmawechsel vom Nationalstaat zum Weltstaat entspricht auch einem Bruch mit der historischen Tradition eines nach nationalem Recht gestalteten Gemeinwesens. Globalismus erzwingt eine Denationalisierung und schafft völkerrechtlich eine neue Ordnung zunächst ohne supranationale Staatlichkeit. Dies zeigt auch die bisherige Entwicklung zur Europäischen Union, die zwar mit ihrem Brüsseler Eurokratismus das nationalstaatliche Recht der Mitgliedsstaaten ständig überlagert und aushöhlt, ohne dafür allerdings einer demokratischen Legitimation und Kontrolle zu unterliegen. Das Demokratiedefizit der EU ist ein Musterbeispiel für die Problematik, ein demokratisches Rechtswesen ohne supranationalen Minimalstaat zu schaffen. Auf globaler Ebene ist dies ohne eine hegemoniale Weltstaatsordnung überhaupt nicht realisierbar.
Die entscheidende offene Frage ist, ob die globale Zukunft einem schrankenlosen internationalistischen Konzept folgt, welches jede nationalstaatliche Souveränität aushöhlt und letztlich in einer "Einen-Welt-Regierung" endet, oder ob es eine die nationalen Belange berücksichtigende Entwicklung gibt, die sich organisch und evolutionär als "Nationale Globalität" entfaltet. ()
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