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Danzig erhält seine Technische Hochschule

 
     
 
Noch heute zeigt sich die Hauptfront der Technischen Hochschule, die am 6. Oktober 1904 von Kaiser Wilhelm II. eröffnet wurde, in den schmucken Formen der Danziger Renaissance. Das Königreich Preußen besaß seinerzeit drei Technische Hochschulen (TH), Berlin, Aachen und Hannover. Die stark frequentierte Berlin-Charlottenburger Lehranstalt platzte aber schon aus allen Nähten, und der Ruf nach einer vierten Hochschule erklang immer lauter. Viele Städte bewarben sich um eine Neugründung, schließlich machte Danzig das Rennen, dessen Lage am Meer, mit den Bereichen Hafen, Weichselstrom, Werft
industrie, die Hansestadt in Zeiten der Hochindustrialisierung für die Errichtung einer neuen Hochschule geradezu prädestinierte.

Eigentlich hätte es eine Universität sein sollen, für die sich der seit 1891 in Danzig amtierende Oberpräsident der Provinz Westpreußen, Gustav von Goßler, eingesetzt hatte. Dieser Plan scheiterte jedoch am Widerstand der Universität Königsberg, die allerdings gegen die Gründung einer Technischen Hochschule nichts einzuwenden hatte. Die altehrwürdigen Universitäten pochten eifersüchtig auf ihr alleiniges akademisches Vorrecht, Studenten auszubilden und akademische Grade zu verleihen. Standesdünkel und Bildungshochmut bezeichneten die Technischen Hochschulen gerne als "Schlosserakademien". Erst das energische Eingreifen von Wilhelm II. gestand den TH-Professoren die Gleichrangigkeit mit den Universitätsprofessoren zu. 1899 erhielt die TH auch das Promotionsrecht.

Insgesamt existierten um die Jahrhundertwende neun Technische Hochschulen im Deutschen Reich. Während aber die meisten von ihnen sich erst allmählich aus den polytechnischen Schulen entwickelt hatten, trat die Danziger Lehranstalt von vornherein als vollgültige, technisch-wissenschaftliche Hochschule ins Leben. Stadtverwaltung und Bürgerschaft er- kannten bald die großen Vorteile einer Hochschulgründung, mit der Danzig seine Stellung als geistig-kultureller Mittelpunkt des unteren Weichsellandes unterstreichen konnte. Der Sparkassenverein stiftete 200.000 Mark für die künftigen Studierenden, während der Magistrat sich bereit erklärte, der Preußischen Staatsregierung ein geeignetes größeres Grundstück zur Erbauung der Hochschule kostenlos zu überlassen. Der Kultusminister nahm das Angebot an, gleichzeitig begann man mit der Ausarbeitung eines Bauplanes. Die Bauarbeiten sowie die Einrichtung und Ausstattung der Institute kosteten 6,4 Millionen Mark. Die Einweihung fand durch den Kaiser statt, der an der Gestaltung der Baupläne in künstlerischer Hinsicht persönlichen Anteil genommen hatte und dessen Bildnis im Profil über dem Haupteingang angebracht wurde. In seiner Eröffnungsansprache sagte Wilhelm II.: "Auf einem Boden errichtet, den die deutsche Tatkraft einst der Kultur erschloß, soll die Anstalt hier stehen und wirken als ein fester Turm, von dem deutsche Wissenschaft, deutsche Arbeitsamkeit und deutscher Geist sich anregend, fördernd und befruchtend in die Lande ergießen".

Mit einer für den damaligen Stand von Wissenschaft und Technik modernsten Ausstattung versehen, erhielt die junge Hochschule einen besonders sorgfältig ausgewählten Lehrkörper. Mit über 60 Professoren, Dozenten und Lehrbeauftragten begann im Wintersemester 1904/05 der Vorlesungsbetrieb. Die Verwaltung der Hochschule lag bei Rektor und Senat. Nach dem ersten Verfassungsstatut erhielt die TH Danzig (THD) die sechs Abteilungen Architektur, Bauingenieurwesen, Maschinenbau und Elektrotechnik, Schiff- und Schiffsmaschinenbau, Chemie sowie Allgemeine Wissenschaften

Die Abteilung für Schiff- und Schiffsmaschinenbau war die zweite ihrer Art in Deutschland, später gliederte man den Bereich Flugtechnik an. Den Lehrstuhl für "Schiffstheorie und Entwerfen von Schiffen" nahm von 1904 bis 1922 Professor Johann Schütte ein. Er ist weithin bekannt geworden durch die Konstruktion des Schütte-Lanz-Starrluftschiffes, das sich neben dem Zeppelin wegen seiner ausgezeichneten Formverhältnisse besonders im Ersten Weltkrieg bewährte. Neue Aufgaben machten bald Erweiterungen notwendig, für die genügend Platz vorgesehen war. Ein Festigkeitslaboratorium verbunden mit einer Materialsprüfungsanstalt wurden erbaut, gefolgt von einer Versuchsanstalt für Wasserbau mit Strömungslaboratorium.

Der für Deutschland unglückliche Ausgang des Ersten Weltkrieges unterbrach die glanzvolle Entwicklung der Danziger Hochschule. Nach den Versailler Bestimmungen konnten die Siegermächte über die Aufteilung des preußischen Besitzes in der nun formell freien Stadt entscheiden. Ein zähes Ringen der Danziger setzte ein, denn die Polen versuchten alles, die THD in die Hand zu bekommen. Zum Glücke Danzigs erklärte der Hohe Kommissar, Sir Reginald Tower, er werde alles tun, um diese Kulturfrage ersten Ranges im Sinne Danzigs zu lösen. Am 28. Juli 1921 konnte Senatspräsident Dr. Heinrich Sahm verkünden: "Die Hochschule ist der Freien Stadt Danzig zugesprochen, Professoren und Unterricht bleiben deutsch."

Ohne die Hilfe aus dem Reich wäre es für den kleinen Freistaat sehr schwierig geworden, die THD wettbewerbsfähig zu erhalten. In Berlin gründeten deutschbewußte Persönlichkeiten aus Kreisen der Industrie die "Gesellschaft der Freunde der Technischen Hochschule Danzig", die Mittel und Wege fand, den Lehr- und Forschungsbetrieb großzügig fortzuführen. An allen reichsdeutschen Hochschulen setzte eine intensive Werbung ein, das Studium ganz oder wenigstens einige Semester lang in Danzig zu absolvieren. Es konnten die akademischen Grade des Dipl.-Ing., Dr. Ing. und ab 1933 des Dr. phil. erworben werden, auch die Staatsprüfung für das höhere Lehramt konnte abgelegt werden. Polnische Studenten belegten gerne die späteren Semester, weil das Danziger Diplom sowohl in Deutschland als auch in Polen anerkannt wurde. Viele von ihnen wünschten sich eine Anfangsstellung bei Siemens, Krupp, Borsig, AEG, IG Farben etc., was ihrer späteren Laufbahn in der weit schwächeren Industrie Polens zum Vorteil gereichte.

Ein Erlaß der Freistadtregierung führte anstelle der bisherigen Fachabteilungen die Fakultätsverfassung ein. In der Fakultät für Bauwesen nahm Professor Kloeppel den Lehrstuhl für Baukonstruktionslehre ein; gleichzeitig als staatlicher Denkmalpfleger wirkend, schuf er die Grundlagen für eine durchgreifende Stadterneuerung. Der erste Professor der Physik an der THD, Max Wien aus Königsberg, wurde bekannt durch das Wiensche Nadelgalvanometer. Nächst dem Hauptgebäude stand als umfangreichstes Bauwerk das Chemische Institut. Dort lehrte unter anderem Wilhelm Klemm, Nestor der deutschen Anorganischen Chemie, dessen Standardwerk "Einführung in die Magnetochemie" von bleibendem Wert ist. Den Höhepunkt in der Chemie stellte natürlich die Tätigkeit des Organikers Adolf Butenandt dar. Ihm gelang die Isolierung und Konstitutionsermittelung verschiedener Hormone. Seine bahnbrechenden Danziger Forschungen wurden mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.

Die politische und kulturelle Lage der Freien Stadt zwang zu einem engen Zusammenschluß zwischen Lehrenden und Auszubildenden. Hautnah erlebten sie die geistigen Auseinandersetzungen mit den Eigenarten anderer Völker, erfuhren ganz unmittelbar wie sehr Sprache und Kultur jeden Tag neu verteidigt werden mußten. Wie kaum an einer anderen Hochschule fühlten sich daher Professoren und Studenten miteinander verbunden, dieses Gemeinschaftsempfinden nahmen sie als kostbare Erinnerung aus Danzig mit.

Ende März 1945 zog die Rote Armee erobernd in die schwer zerstörte Hansestadt ein. Vorher gelang es einer Anzahl von TH-Angehörigen, die Stadt mit dem Schiff zu verlassen. Wichtigste Forschungseinrichtungen, Akten, Immatrikulationslisten, Prüfungsbücher konnten in den Westen ausgelagert werden.

Von den an der THD bestehenden 33 Korporationen führte ein großer Teil die Tradition der Alma mater Danzig fort. So feierte beispielsweise die Danziger Burschenschaft Alemannia zu Aachen 1984 ihr 80. Stiftungsfest. Im selben Jahr veranstaltete das "Wissenschaftliche Archiv der Freien und Hansestadt Danzig" in der Stuttgarter Universitätsbibliothek eine viel beachtete Ausstellung, Aufgaben und Leistungen der THD dokumentierend.

Drei der bekanntesten Danziger Hochschullehrer, der Nobelpreisträger Adolf Butenandt, Heinz Kindermann, Direktor des Theaterwissenschaftlichen Instituts in Wien, und Wilhelm Klemm, späterer Präsident der Gesellschaft Deutscher Chemiker, die an ihren neuen Wirkungsstätten den alten Hanseatengeist wieder aufleben ließen, übermittelten dem Verfasser dieser Zeilen Teile ihrer in Danzig erschienenen Forschungsergebnisse. Die gesammel-

ten Dokumente sollen als bleibende Erinnerung vom geistigen Fortleben und von der innovativen Kraft einer wissenschaftlichen Lehrstätte an der Ostseeküste zeugen.

Technische Hochschule Danzig: Hauptgebäude mit dem Porträt Wilhelms II. über dem Portal /font>

 
     
     
 
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