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Jens Gieseke, Autor von "Der Mielke-Konzern - Die Geschichte der Stasi, 1945-1990", ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Birthler-Behörde, also hauptberuflich mit der Bearbeitung des DDR-Themas Ministerium für Staatssicherheit verbunden. Sein Buch legt die Geschichte des Ministeriums dar. Für den Leser recht interessant ist, daß bei dessen Gründung auf Vorschlag Ulbrichts bereits damals Erich Mielke selbst Minister werden sollte. Moskau aber mißtraute ihm damals noch, zumal er im Zweiten Weltkrieg entgegen aller SED-Propaganda niemals auf sowjetischer Seite gekämpft hatte, sondern als "Fritz Leistner" in Belgien und Frankreich gelebt hat. Der Autor deutet an, in diesem Zusammenhang habe möglicherweise der damalige Reichsbahndirektor Kreikemeyer sterben müssen, weil dieser offen erklärt hatte, auch Mielke habe in jenen Jahren durch den angeblichen Spion Noel Field Geld von US-Organisationen erhalten - was keineswegs unmöglich erscheint.
Als Kern des Buches sollte man aber die verschiedentlich erarbeiteten Statistiken sehen, die in dieser Form bisher kaum zu finden waren. Mögen Zahlen auch oft recht nüchtern erscheinen, so läßt der Verfasser sie sehr beeindruckend die Entwicklung der DDR zu einer umfassenden Diktatur widerspiegeln: Umfaßte der MfS-Personalbestand 1953 "nur" 10000 (schon diese Zahl übertraf diejenige der Gestapo für das damalige Gesamt-Deutschland!), so wurde er bis 1961 um das Zweifache verstärkt. Waren es bei Amtsübernahme Honeckers über 45000, so erforderte die Unterdrückung der mitteldeutschen Bevölkerung bis 1989 offenbar bereits 91015 - also mehr als eine Verdoppelung!
Entlarvend wirken auch die sorgfältigen Recherchen des Verfassers über die Spionagetätigkeit Ost-Berlins: Gerade in der sogenannten Entspannungszeit, in der der Westen von einem sorglosen Frieden träumte, wurde die Mitarbeiterzahl der "Hauptverwaltung Aufklärung" auf 4744 nahezu verdoppelt!
Im letzten DDR-Jahr verfügte es über 173000 Spitzel. Doch läßt das Buch deutlich erkennen, daß auf dieses Heer von "IM" nicht völlig Verlaß war: Nach aktuellen Erkenntnissen endete ein Drittel der eingegangenen Verpflichtungen mit Abbrüchen, indem die Informanten ihre Tätigkeit öffentlich preisgaben oder ihre Ablehnung mit Desinteresse bekundeten.
Die Feststellung, daß bereits ab 1986 die Anzahl derartiger Abgänge diejenige der Anwerbungen neuer Spitzel überstieg, erscheint äußerst aufschlußreich für die allgemeine Stimmung der dortigen Bevölkerung!
Das Ende der Stasi begann mit dem Fall der Berliner Mauer. Worüber der Verfasser allerdings leider schweigt, ist die weitere Entwicklung. Gewiß aber hat er bis heute keine Antwort auf Fragen nach dem Verbleib der MfS-Gelder, nach der Übergabe von Unterlagen an sowjetische Stellen und insbesondere nach der Zahl bisheriger Stasi-Mitarbeiter, die inzwischen für die russische Spionage tätig sind.
Jens Gieseke: "Der Mielke-Konzern - Die Geschichte der Stasi, 1945-1990", Deutsche Verlags-Anstalt, München 2006, geb., 319 Seiten, 24,90 Euro 5573 |
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