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Nach Ansicht des Steuerexperten und ehemaligen Verfassungsrichters Prof. Paul Kirchhof ist eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, wie sie die Union erwägt, "sozialstaatlich und gleichheitsrechtlich nur schwer vertretbar". Sie treffe, wie er in einem Gespräch mit dieser Zeitung sagte, "immer diejenigen, die kleine Einkommen haben, und vor allem diejenigen, die ihr ganzes Einkommen konsumieren müssen. Das sind vor allem die Familien, die ihre Kinder ernähren müssen." Diese Familien würden schon gegenwärtig durch die Verbrauchssteuern und durch die soziale Härte der Ökosteuer mit 15 bis 20 Prozent ihres gesamten Einkommens belastet, "während die anderen, die höhere Einkommen haben oder keine Kinder haben, sparen und investieren könnten". Kirchhof: "Wir haben schon jetzt eine Schieflage in der Belastung durch die indirekten Steuern. Wenn jetzt die Mehrwertsteuer erhöht würde, also die Kaufkraft dieser kleinen Einkommen um zwei Punkte gesenkt würde, wäre das natürlich sozialstaatlich, aber auch gleichheitsrechtlich nur schwer vertretbar, es sei denn, das Steueraufkommen würde insgesamt zugunsten der Familien verwendet, also die 16 Milliarden, die man erwartet, wären der Baustein, um eine ernste Familienpolitik zu beginnen".
Das ist nach den programmatischen Überlegungen, die die Union der Öffentlichkeit vorgestellt hat, nicht vorgesehen. Allerdings ist die Rede von der Einführung eines steuerlichen Freibetrages von 8.000 Euro pro Kopf der Familien, bei der FDP sind es etwas weniger. Kirchhof sieht darin zwar keinen Ausgleich für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, aber immerhin einen "Fortschritt im Einkommenssteuerrecht". Ein Freibetrag von 8.000 Euro, der auch in seinem Konzept und ebenfalls in dem Konzept des CDU-Politikers Merz vorgesehen war, wäre "ein gewaltiger Schritt, um das Einkommensteuerrecht in Ordnung zu bringen. Denn gegenwärtig sind die Freibeträge zu gering. Sie fangen nicht das auf, was der tatsächliche Kindesbedarf ist. Aber mehr wäre es auch nicht." Man müsse weiterdenken. Denn diese "begrüßenswerte Reform im Sinne einer familiengerechten Gestaltung der Einkommensteuer" würde den Familien mit kleinem Einkommen und vielen Kindern nichts helfen, "denn die zahlen sowieso keine Einkommensteuer". Kirchhof plädiert deshalb - so wie der stellvertretende CDU-Vorsitzende Christoph Böhr - für eine entsprechende zusätzliche Erhöhung des Kindergeldes, um den Freibetrag jeder Familie mit Kindern zugänglich zu machen: "Das müßte der nächste Schritt sein, daß wir diese 8.000 Euro umrechnen in einen steuerfreien Betrag, den wir bezahlen für jedes Kind, um insbesondere auch die Familien zu erreichen, die kleine Einkommen haben und bei denen, um der Chancengleichheit der Kinder willen, eine familiengerechte Ausstattung in besonderer Weise wichtig ist."
Das sei auch keine bloße Gedankenspielerei. Die aktuellen Wahlkampfbausteine, wie zum Beispiel dieser Freibetrag oder auch das Elterngeld der SPD, genügten nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes. Kirchhof sieht hier "einen unerfüllten Verfassungsauftrag", es gehe um die Korrektur des Generationenvertrages, insbesondere des Rentensystems. "Dort haben wir ja die Absonderlichkeit, daß in diesem sogenannten Generationenvertrag alle Arbeitnehmer berechtigt sind, die Mütter aber und die Väter, die diesen Generationenvertrag ermöglichen, weil sie den zweiten Vertragspartner, die Kinder, stellen, aus eigenem Recht gegenwärtig fast nicht berechtigt sind." Das sei ein Unrecht, das das Bundesverfassungsgericht in beiden Senaten beanstandet habe mit dem Auftrag an den Gesetzgeber, bei jedem Reformschritt dieses familiäre Unrecht abzubauen. Da sei wenig geschehen, sagt der ehemalige Verfassungsrichter, Kinder würden zwar berück-sichtigt in Form von Erziehungszeiten, "aber das ist vom Betrag her ein kleines Bonsai-Bäumchen. Das müßte eine große deutsche Eiche werden. Und von daher müssen wir hier in der Generationengerechtigkeit vor allem das herstellen, was wirtschaftlich und familiär die Realität ist."
Dieser unerfüllte Verfassungsauftrag oder auch permanente Verfassungsbruch würde durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer noch verschärft, falls die Verwendung des Mehrwertsteueraufkommens nicht für den Generationenvertrag verwendet würde. Die Problematik des Generationenvertrags werde aber nur bei der Krankenversicherung diskutiert in Bezug auf die Frage, ob die Kinder unentgeltlich mitversichert würden, was auch geplant sei. Das sei ein Schritt in die richtige Richtung. Betragsmäßig stimme es noch nicht, aber es wäre immerhin ein "ganz wichtiger Ansatz der Umsteuerung, der vielleicht unsere Zukunftsfähigkeit und damit das Kind in den Mittelpunkt zukünftiger Reformpolitik stellt".
Kirchhof nahm in dem Gespräch auch Stellung zur Problematik der Vertrauensfrage, mit der er als ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht besonders vertraut sei. Wenn der Bundespräsident ihn um Rat fragen würde, würde er zunächst einmal bewußt machen wollen, "daß die erste Frage die ist, ob der Bundeskanzler bei der gegenwärtigen Situation die Vertrauensfrage stellen durfte, ob er also in seiner politischen Einschätzung erwarten konnte, daß seine Partei und seine Koalition die von ihm vorgegebene Politik nicht mehr trägt". Wenn man nun dabei bedenke, daß Schröder den Vorsitz seiner Partei verloren habe, daß ferner eine wichtige Abspaltung in seiner Partei sich bedrohlich anbahne und daß dieser Kanzler "im wesentlichen Arbeitsmarkt- und Industriepolitik machen wollte, während wesentliche Gruppen seiner Partei die Akzente ganz anders setzen - Ökologie, Gleichberechtigung, neue Lebensformen - wenn wir dann noch bei der Vertrauensfrage im Parlament gehört haben, daß der Bundeskanzler sagt, ,mir fehlt das Vertrauen meiner Gruppe , während der Parteivorsitzende der SPD gesagt hat, ,Sie haben unser Vertrauen , dann wird, glaube ich, sehr deutlich, daß ein schwerer innerer Konflikt in dieser Partei besteht, und daß der Bundeskanzler deswegen das Recht hatte, mit diesem Antrag sich zu vergewissern, ob er das Vertrauen seiner Partei und Koalition noch hat". Sodann müsse man doch annehmen, daß "jeder Abgeordnete, auch derjenige, der sich enthalten hat, weiß, was er tut, und daß er die Rechtsfolgen seines Verhaltens kennt". Wenn der Bundespräsident dann in seinem Ermessen, den Bundestag aufzulösen oder nicht, diese schwierige Situation sehe und daß derjenige, der die Verantwortung für die Politik dieser Regierung trägt, nämlich der Kanzler, selber nachvollziehbar aus vertretbaren Gründen sage, es mache keinen Sinn mehr, daß er in dieser Konstellation weiterarbeite, dann "ist all dieses wahrscheinlich eine wesentliche Vorgabe, auch für die autonome, verantwortliche Entscheidung des Bundespräsidenten".
Einer Änderung der Verfassung jetzt durch die Einfügung eines Selbstauflösungsrechts des Parlamentes steht Kirchhof "sehr skeptisch" gegenüber. Für angemessener hält er es, daß man in ein, zwei Jahren, wenn niemand an eine Auflösung des dann amtierenden Parlamentes denke, "ernstlich darüber nachdenkt, ob man nicht das Grundgesetz im Artikel 39, dort wo steht, die Periode dauert vier Jahre, oder am Ende der Regelung für den Bundestag, also in Artikel 49, eine neue Regelung einführt, die folgendes besagt: Auf Antrag des Kanzlers - das ist wichtig, damit die Opposition nicht alle Vierteljahr sagen kann: Du kannst es nicht, wir brauchen Neuwahlen - kann der Bundestag mit Dreiviertelmehrheit - das ist die höchste, minderheitsschützende Mehrheit, die wir im Grundgesetz haben - den Bundespräsidenten ermächtigen, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen anzuordnen." Das wäre eine Ermächtigung des Präsidenten, damit dieser auch die Möglichkeit hat gegenzusteuern, sollte jemals etwas Manipulatives stattfinden. "Das wäre meines Erachtens eine sinnvolle Lösung", schließlich lebten wir nicht mehr in Weimar, sondern "in den sehr soliden und gediegenen Verhältnissen der Bundesrepublik Deutschland". Maria Klausner |
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