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Berlin-Kreuzberg, Yorckstraße 59. Im Hinterhaus gibt es seit Monaten Zoff - Zoff mit dem neuen Besitzer aus Hamburg. Doch der Reihe nach. 1989 mietete sich hier auf vier Fabriketagen eine linksalternative Wohngemeinschaft ein. Gegenwärtig umfaßt sie 60 Mitglieder im Alter bis zu 40 Jahren.
Neben den Wohnungen gibt es ein Atelier und Räume für Versammlungen und Partys. Mehrmals in der Woche bietet eine Küche für Bedürftige Mahlzeiten zum Selbstkostenpreis an. Linke Organisationen wie die Antirassistische Initiative, das Anti-Hartz-IV-Bündnis und die Klimakampagne haben hier ihr Quartier. 15 Jahre lang betrug die Miete zwei Euro pro Quadratmeter. 2003 ging der Besitzer pleite, das Haus kam unter Zwangsverwaltung und wurde an den Hamburger Immobilienmakler Marc Walter verkauft. Der erhöhte die Miete auf 3,74 Euro pro Quadratmeter. Auch das ist nicht viel, nur marktüblich.
Den Bewohnern aber erscheint der Betrag unerschwinglich. Sie weigern sich, ihn zu akzeptieren. Außerdem befürchten sie eine spätere Luxussanierung. Wahrscheinlich haben sie recht. Der Anspruch auf Bestandsschutz für die linksalternative Szene kollidiert mit Gewinninteressen. Im Dezember 2004 erwirkte der Besitzer ein Räumungsurteil. Seitdem sind die Bewohner faktisch Hausbesetzer.
Der Streit eskaliert. Die Bewohner beschweren sich über abgestelltes Licht und Gas und über zugemauerte Türen. Der Hausverwalter beklagt die besprühten Treppenhäuser und die Angriffe gegen seine Person. Es erreichen ihn falsche Versandhaus-Bestellungen, von seinen Konten werden manipulierte Lastschriften abgebucht, es gibt Telefonterror. Die Unterstützerszene machte mit Trommeln und Trillerpfeifen auch gegen das Maklerbüro mobil. Am 17. März besetzte sie das Kreuzberger Rathaus. Innensenator Erhart Körting (SPD) eilte zur Vermittlung herbei.
Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg will das Wohnprojekt Yorckstraße 59 erhalten. Die PDS stellt hier die Bezirksbürgermeisterin, die Grünen den Stadtbaurat. Einen Konflikt mit ihrer alternativen Klientel wollen sie vermeiden. Dem Besitzer soll ein Tauschobjekt aus dem Immobilienfonds des Bezirks angeboten werden. Anschließend könnten die Yorck-straßen-Bewohner das Objekt über einen Kredit selbst erwerben. Ein reeller Preis läßt sich so bestimmt nicht erzielen, außerdem will Walter auf den Vorschlag nicht eingehen. Der Innensenator rät den Bewohnern zum Rückzug. Sie sollten versuchen, "ihre lobenswerten Initiativen woanders unterzubringen".
Körting steckt die Erinnerung an die Hausbesetzungen der 80er Jahren in den Knochen. Zur Erinnerung: Ab Herbst 1980 waren in Berlin mehr und mehr Häuser besetzt worden. Die Regierenden Bürgermeister Dietrich Stobbe und Hans-Jochen Vogel (beide SPD) fanden kein Rezept dagegen, einen Polizeieinsatz wagten sie nicht. Die SPD verlor die nächste Wahl, ein CDU-Senat unter Richard von Weizsäcker kam ans Ruder. Neue Besetzungen wurden nicht mehr geduldet, für schon besetzte Häuser Nutzungskonzepte erstellt oder Mietverträge vorgeschlagen. Kulturelle Projekte wurden finanziell gefördert mit dem Ziel, die Besetzerszene zu domestizieren. Das gelang. Die aufgeheizte Situation beruhigte sich so sehr, daß im Frühjahr 1989 ein rot-grüner Senat möglich war. Doch als nach dem Mauerfall eine radikale West-Berliner Besetzerszene versuchte, sich im Ostteil auszubreiten, kam es erneut zu Krawallen. Ein Jahr später wurde der Regierende Bürgermeister Walter Momper (SPD) aus dem Amt gefegt, die verschreckte Wählerschaft war zur CDU übergelaufen, wo sie bis 2001 verblieb. Kein Wunder, daß Hausbesetzungen bei Sozialdemokraten ein Trauma auslösen.
Die Übernahme finanzieller Lasten für das Wohnprojekt durch das Land Berlin wäre angesichts allgemeiner Finanznot kaum zu vermitteln. Zum andern benötigt Berlin nichts dringender als Investoren.
Würde der Senat jetzt signalisieren, daß er außerstande ist, die Sicherheit des Eigentums zu gewährleisten, wäre die Wirkung verheerend. Die Bewohner der Yorckstraße 59 haben "schwerwiegende soziale Auseinandersetzungen im Vorfeld des 1. Mai" angedroht. "Linke Freiräume müssen erhalten bleiben! Keine Zerstörung zwischenmenschlicher Strukturen!" Letzteres klingt sympathisch. Aber wird hier nicht auf zweierlei Recht gepocht? Wie würden der Staat sich im Fall einer Wohngemeinschaft verhalten, die sich als "selbstbestimmt und national" definiert? |
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