|
Wenn man Österreicher fragt, ob die EU-Osterweiterung 2004 für Österreich von Vorteil oder Nachteil war, erhält man nicht bloß unterschiedliche, sondern sogar gegensätzliche Antworten. Bei näherem Hinhören stellt sich aber heraus, daß die Frage gar nicht auf die Vor- oder Nachteile "für Österreich" bezogen wird, sondern daß man eher aus dem eigenen Blickwinkel urteilt und sich im Grunde nur in seinen positiven oder negativen Vorurteilen bestätigt sieht.
Läßt sich die Frage denn objektiv beantworten? Am ehesten müßte dies bei der Wirtschaft möglich sein. Die Wirtschaftsbeziehungen zu den "Neuen" haben sich zweifellos intensiviert. Das galt aber auch schon für die Jahre davor. Gut, das kann man als Vorzieh-Effekt interpretieren. Doch es galt auch schon, als noch nicht einmal Österreich EU-Mitglied war. Und es galt sogar vor der "Wende". Welchem Ereignis soll die Intensivierung zugerechnet werden? Hier stößt die Objektivität an Grenzen.
Österreich profitiert vor allem davon, daß die exponierte Randlage am (zuletzt bereits löchrigen) Eisernen Vorhang Geschichte ist. Was sich deutlich verbessert hat, ist die Handelsbilanz, die gegenüber den Neuen durchweg positiv ist, sowie die Zahlungsbilanz. Beides hängt mit dem Entstehen eines zahlungskräftigen Mittelstandes im ehemaligen Ostblock zusammen, denn das schuf Nachfrage nach österreichischen Waren und machte Österreich auch für diesen Personenkreis zum beliebten Reise- und Urlaubsziel. Entscheidend sind also gesellschaftliche Veränderungen, und die haben nur indirekt mit der Erweiterung zu tun. Das durch die Osterweiterung in Österreich zusätzlich entstandene Wirtschaftswachstum wird von Experten jedenfalls mit 0,2 Prozentpunkten beziffert. Ist das viel oder wenig? Geschmackssache.
Ein interessanter Aspekt ist die Entwicklung in der Grenzstadt Preßburg. Die slowakische Hauptstadt wurde zu einem Zentrum der Kfz-Produktion, und Wohnen ist dort mittlerweile fast so teuer wie in Wien. Slowaken suchen daher zunehmend auf der österreichischen Seite Quartier und tragen dort zum Anstieg der Grundstückspreise bei. Die als fix geltende Übernahme des Preßburger Flughafens durch ein Konsortium um den Flughafen Wien wurde allerdings von der neuen slowakischen Regierung abgeblockt.
Das leitet über zu einem anderen Indikator, den Auslandsinvestitionen: Österreich steht bei den östlichen Nachbarn meist an zweiter oder dritter Stelle, in Rumänien und Bulgarien sogar mit Abstand an erster Stelle.
Diese beiden Länder sind zwar erst jetzt EU-Mitglieder, doch man kann hier ebenfalls von Vorzieh-Effekten sprechen.
Ob dadurch österreichische Arbeitsplätze verloren gehen? Heute kaum noch, denn etliche Firmen haben erkannt, daß Billiglöhne nicht alleinentscheidend sind, und wirklich billig ist es ohnehin nur noch viel weiter weg.
Man sollte natürlich nicht nur "stolz sein" auf die Auslandsinvestitionen, sondern auch hinterfragen, was sie "für Österreich" tatsächlich bringen. Das Steueraufkommen erhöhen sie eher selten, denn dank der "Gruppenbesteuerung" können ausländische Verluste, vor allem durch vorzeitige Abschreibungen, im Inland gegen Gewinne verrechnet werden. Immerhin entstehen in etlichen Fällen zusätzliche Arbeitsplätze in den heimischen Zentralen, was das Brutto-Inlandsprodukt und die Steuerbasis erhöht.
Fragen muß man auch, welche Risiken mit den Investitionen verbunden sind. Die OMV etwa, der "Tankwart Mitteleuropas", hat sich mit Übernahme der viel größeren, aber unwirtschaftlichen rumänischen "Petrom" 2005 eine Reihe von Problemen eingehandelt. Und man muß fragen, wem die "österreichischen" Firmen wirklich gehören. So etwa ist die "Bank Austria" mit ihrem hochprofitablen Ostgeschäft heute Teil der italienischen "UniCredit". Die ursprünglich zur Gänze verstaatlichte OMV gehört noch zu 31,5 Prozent der staatlichen Holding-Gesellschaft "ÖIAG", doch halten sich Gerüchte, daß "Gasprom" über die Börse eine Übernahme anstrebt.
Nun zu den negativen Entwicklungen, primär der Verbrechensrate: Deren dramatischer Anstieg ist zwar größtenteils auf Ausländerkriminalität zurückzuführen - doch die neuen EU-Mitglieder spielen dabei keine nennenswerte Rolle. (Österreichische Staatsbürger mit "Migrationshintergrund" werden ohnehin nicht getrennt erfaßt.) Selbst wenn rumänische Banden für Einbruchsserien verantwortlich waren, sagt das nicht allzuviel. Denn wie Rumänien selbst zugibt, haben 300000 Moldavier rumänische Pässe - Kriminalexperten gehen von der doppelten Zahl aus.
Negative Wertungen lassen sich meist leicht auf die allgemeine EU-Skepsis zurückführen, und die hat mit unleugbaren Fehlentwicklungen in der EU zu tun - nicht zuletzt mit den "Sanktionen". Zusammengefaßt kann man also die Osterweiterung trotz aller Zurechnungs- und Abgrenzungsprobleme vorsichtig positiv bewerten. Oder wie es der Wiener ausdrückt: "Wir hätten s eh net verhindern können."
Kausalität, Korrelation und Zufall
Die klassische Physik arbeitet mit nachvollziehbaren Zusammenhängen zwischen Ursachen und Wirkungen. Es liegt also nahe, Kausalität auch in anderen Bereichen anzunehmen - etwa in der Biologie, Medizin, Meteorologie, Meinungsforschung und natürlich in der angeblich so rationalen Wirtschaft. Da ist aber oft schwer zu entscheiden, ob bestimmte Ereignisse oder Entwicklungen in einem ursächlichen Zusammenhang stehen oder ob sie gemeinsame Ursachen haben oder ob sie gar einander gegenseitig beeinflussen (Rückkopplung) oder ob ihre "augenscheinliche" Korrelation bloßer Zufall ist.
Hat etwa das zuletzt so positive deutsche Käuferverhalten nur mit der Mehrwertsteuererhöhung zu tun? Oder spielen "Optimismus-Faktoren" wie Fußball-WM, Papstbesuch und sonstiges mit - handelt es sich also nicht allein um Vorziehkäufe? Und in welchem Ausmaß lösen Vorziehkäufe ihrerseits Wachstumsimpulse und Optimismus aus? Bei einer EU-Erweiterung sind die echten oder auch nur scheinbaren Zusammenhänge noch weitaus komplizierter. Die Frage "was wäre wenn" oder "wenn nicht" kann leider nicht wie in der Physik durch Experimente beantwortet werden. Dennoch gibt es Leute, die immer vorher genau wissen, wie es kommen wird - und nachher, warum es |
|