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Der Röhm-Putsch ist keine Legende

 
     
 
Immer wieder wird kolportiert, daß Ernst Röhm, Hitlers langjähriger Intimus und Stabschef der nationalsozialistischen Bürgerkriegstruppe SA, die erheblich zu Hitlers Machtübernahme beigetragen hatte, am 30. Juni 1934 auf Anweisung Hitlers zusammen mit zahlreichen seiner Unterführer von SS-Leuten erschossen worden sei, nur weil Hitler in ihm ein Hindernis bei der Durchsetzung seiner Innenpolitik sah, zu der 1934 die Entmachtung der SA zugunsten der SS und der Reichswehr gehörte. Daß Röhm mit seinem rund 400000 Mann umfassenden Machtapparat gegen Hitler und die Reichsregierung habe putschen wollen, so ist nach wie vor tatsachenwidrig zu lesen, sei eine Legende.

So schrieb die deutsche Zeitschrift "Cicero", das "Magazin für Politische Kultur", in ihrer April-Ausgabe dieses Jahres unter der Überschrift "Die SS war es" unter anderem: "Im Juni 1934 wurde (...) die SA-Führung in der ,Nacht der langen Messer unter Annahme eines angeblichen ,Röhm-Putsches von der SS auf Weisung Hitlers umgebracht. Beim sogenannten Röhm-Putsch streute die SS gezielt Gerücht
e über einen bevorstehenden Putsch der SA und betonte die - seit langem bekannte - homosexuelle Veranlagung Röhms. Anläßlich einer Führertagung der SA ließ Adolf Hitler dann am 30. Juni 1934 fast die gesamte SA-Führung durch die SS in München-Stadelheim liquidieren. Ernst Röhm kam der Aufforderung zum Freitod in seiner Zelle (Überlassung einer Pistole zu diesem Zweck) nicht nach und wurde dann von zwei SS-Unterführern in seiner Zelle erschossen."

Diese Version lebt nunmehr seit 72 Jahren und wird selbst von Professoren weitergereicht, die für sich in Anspruch nehmen, die Zeitgeschichte darzustellen, wie sie "wirklich gewesen" ist. So behauptet beispielsweise der Germanistik-Dozent und Träger des "Friedenspreises des Deutschen Buchhandels" Joseph Peter Stern, daß die Erschießung Röhms und seiner Unterführer ausschließlich einem besessenen "Vernichtungsdrang" Hitlers entsprossen sei. Die zweifelsfrei nachweisbaren historischen Vorgänge widerlegen ihn und seine Adepten.

Initiator der "Massaker von 1934" im Rahmen der Röhm-Affäre war nicht Hitler, wie Stern tatsachenwidrig behauptet, sondern Ernst Röhm, der - wie zahlreiche seiner Getreuen - dafür mit dem Leben bezahlen mußte. Seit dem 10. März 1933 hatte Hitler (im Gegensatz zu dem von Stern plakatierten "Vernichtungsdrang" Hitlers) dem "Ende der Revolution" das Wort geredet und die SA und SS aufgefordert, die Revolution nicht als "permanenten Zustand", sondern als einen Strom zu sehen, der "in das sichere Bett der Evolution" hinübergeleitet werden müsse, wie er den Reichsstatthaltern am 6. Juli 1933, dem Tag nach der Selbstauflösung des Zentrums, eindringlich erklärte. Seine Mahnung, künftig nicht mehr herumzusuchen, wo es "noch etwas zu revolutionieren" gebe, war nicht nur an die Reichsstatthalter gerichtet.

Ernst Röhm und seine Bürgerkriegstruppe SA, in der die Hoffnung auf eine soziale Revolution seit 1930 schwelte, sahen sich ausgenutzt und aus dem ersten Glied verdrängt. Daß die Parteiorganisation, die 13 Jahre zuvor geschaffen worden war, um Angriffe zu führen, Widerstände gewaltsam zu brechen und Gefahren abzuwehren, nun gezügelt und mit anderen Aufgaben vertraut gemacht werden sollte, wollte Röhm nicht akzeptieren. Hitlers Aufforderung an die SA, von nun an die "deutschen Menschen für diesen Staat" zu erziehen, was eine "Riesenarbeit" für die "kommenden Jahrzehnte des deutschen Volkes" sein werde, zumal die NSDAP die einzige noch verbliebene politische Partei sei, nachdem "wir alles andere beseitigten", meinte Röhm, auf eine besondere Weise interpretieren zu dürfen.

Um seine stürmisch nach Futterkrippen und Machtpositionen drängende Bürgerkriegstruppe SA nicht nur weiterhin unter Kontrolle zu haben, sondern sie auch durch vielversprechende Bestimmungen über ihre weitere Verwendung im innenpolitischen Rahmen neu zu motivieren, griff er, der eingefleischte Offizier mit Loyalitätsproblemen gegenüber seinen Vorgesetzen und Obrigkeiten, zu einer Maßnahme, die Hitler und der gesamten NS-Führung schon zu der Zeit zur äußersten Vorsicht hätten mahnen müssen. Hitlers bemerkenswerte öffentliche Äußerung, daß die Beseitigung aller anderen politischen Parteien und Organisationen der NSDAP eine "ungeheure Verantwortung" aufgebürdet habe, hatte den obersten SA-Führer auf die kühne Idee gebracht, die SA als Kontrollinstanz gleichrangig und souverän neben die - von ihm in einer unmißverständlichen Handskizze als wesentlich schwächer als seine SA dargestellte - Regierung zu stellen. So erklärte er am 15. Januar 1934 in einem sechsseitigen Rundschreiben mit diversen konkreten Anweisungen im Verfügungsstil, das der Reichsstatthalter in Bayern, der bayerische Ministerpräsident, das bayerische Innenministerium, das bayerische Justizministerium, der Kommandeur der Politischen Polizei Bayerns, Heinrich Himmler, der Leiter der Politischen Organisation (P.O.) und der Gauleiter von Bayern zur "Kenntnis" zugeleitet bekamen: "Der nationalsozialistische Staat hat durch Beseitigung der Parteien auch jede öffentliche Opposition beseitigt. So wünschenswert dies nach dem Führerprinzip ist, so darf doch die Möglichkeit für Anregungen und notwendige Verbesserungen nicht ausgeschaltet werden. Diese Aufgabe haben als Wächter und Garanten der durch die nat.soz. Revolution erkämpften Volksgemeinschaft SA-Führer zu erfüllen, die den staatlichen Verwaltungsbehörden zugeteilt werden."

Röhm, einer der ganz wenigen Gefährten Hitlers, die ihn duzen durften, war angesichts seiner vorausgegangenen Leistungen für Hitler und die NSDAP nicht bereit, Hitlers Warnungen ernst zu nehmen. Die SA wurde am 28. Juni 1934 mobilisiert. Ende Juni verließen tausende SA-Männer weisungsgemäß ihre Arbeitsplätze, um zum "Einsatz" zur Verfügung zu stehen. Um hier nur drei Beispiele anzuführen: In Chemnitz marschierten SA-Formationen in militärischer Manier, mit Feldküchen im Gefolge, zum Adelsberg zu einem "Manöver". Vier Lastwagen mit Gewehren, Pistolen und Maschinengewehren mußte die Schutzpolizei allein im SA-Bezirk Hanau aus dem Verkehr ziehen. Im ostdeutschen Norkitten, wo ich Röhm am 1. Mai 1933 als elfjähriger Schüler "begegnet" bin, biwakierte der dortige SA-Sturm auf dem Sportplatz "SVN-Norkitten" und übte an einer Geschützattrappe und an einer Feldhaubitze aus dem Ersten Weltkrieg, wobei mein 20jähriger und zuvor wochenlang von Weltkriegsveteranen notdürftig zum "Artilleristen" ausgebildete Bruder als "K 5" eingeteilt worden war.

Der Berliner SA-Gruppenführer Karl Ernst, einer der maßgeblichsten "Unterführer" Ernst Röhms, hatte sich am 29. Juni mit seiner ihm eben angetrauten Ehefrau in Bremen auf ein Schiff begeben, um zu den Flitterwochen nach Teneriffa zu reisen, wozu es jedoch nicht kam; denn auf Veranlassung Görings, der ihm am 13. Oktober 1945 in einem Kreuzverhör in Nürnberg nachsagte, 1933 für die "wilden KZ-Lager" verantwortlich gewesen zu sein, wurde er vom Schiff geholt und festgenommen. 40000 Reichsmark und ein schriftlicher Auftrag Röhms, nach seinen Flitterwochen in Paris als Botschafter einer von Röhm kontrollierten Regierung fungieren zu sollen, befanden sich in seinem Reisegepäck, wie seine Witwe mir mehrfach bestätigte. Die immer wieder kolportierten Behauptungen, daß lediglich von einem "angeblichen Röhm-Putsch" die Rede sein könnte, verfälschen die Geschichte.

Röhms Rundschreiben vom 15. Januar 1934 spricht eine unmißverständliche Sprache, auch wenn er geschickt vorgab, als bevollmächtigter Regierungsexponent zu handeln. Seine nur dem Scheine nach gesetzeskonforme Machtdelegierung an seine Unterführer und seine Drohung, sich künftig "überall rücksichtslos durchzusetzen", ließ spätestens seit Januar 1934 mehr als nur ahnen, welches Endziel er im Auge hatte. Doch die fünf Monate währende Vorbereitungszeit hat nicht ausgereicht, das Ziel zu erreichen. Seine "Mobilisierung" endete in einer Katastrophe.

Der 1922 im ostdeutschen Paradeningken geborene Autor gilt als einer der renommiertesten Hitler-Biographen. Seine Werke sind in über 50 Sprachen übersetzt. Zuletzt wurde sein Standardwerk "Nürnberg - Tribunal der Sieger" bei Edition Antaios neu aufgelegt. Dieser Artikel erschien erstmals in der "Aula" (7-8/2006).

Adolf Hitler und Ernst Röhm im Jahr der "Machtergreifung": Daß der SA-Chef eine "zweite Revolution" wollte, führte zum tödlichen Zwist. (Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz)
 
     
     
 
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