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Daß es in der öffentlichen Darstellung des Nationalsozialismus weiße Stellen gibt, daß mehr oder weniger bedeutende Ereignisse und Bestrebungen unerforscht sind oder verschwiegen werden, darüber sind sich souveräne Beobachter einig. Es mag der Grund dafür sein, daß noch lebende Zeitzeugen in den offiziellen Schilderungen jener Epoche ihr eigenes Erleben nicht wiederzuerkennen vermögen.
Seit kurzem liegt das Buch des jungen Autors Werner Bräuninger vor, der sich bemüht, einige dieser Lücken zu füllen, indem er unter dem Titel "Strahlungsfelder des National sozialismus" Persönlichkeiten und Ereignisse schildert, die heute weitgehend unbekannt sind und die zeigen, daß der Nationalsozialismus und der europäische Faschismus keineswegs so einheitlich waren, wie es heute gern von den schrecklichen Vereinfachern dargestellt wird.
Gewiß bemühten sich damals Staat und Partei, den Staat allumfassend zu formen, doch blieben immer noch erstaunliche Freiräume für undogmatisch denkende Menschen, die trotz ihrer nationalsozialistischen Gesinnung versuchten, eigene und andere Wege zu gehen sowie eigene und andere Lösungen zu finden, als sie die Staatsführung anbot oder dekretierte.
Bräuninger war bereits in der Vergangenheit durch sein eigenwilliges Buch "Wille und Vision. Typus und Gestalt souveräner Menschen" aufgefallen. Wieder griff er in seinem neuen Buch Themen auf, die den Leser überraschen. Er will einen Beitrag zur Enttabuisierung und endlichen Historisierung der Zeit des Nationalsozialismus leisten und die Tragik jener Menschen deutlich werden lassen, die in den totalitären Staaten eine systemimmanente Opposition bildeten und dabei scheiterten.
So berichtet Bräuninger von dem Staatsamtsleiter der Reichspropaganda-Leitung Willi Krämer, der gemeinsam mit anderen mit Zähigkeit den Plan verfolgte, im Dritten Reich einen großen und einen kleinen Senat zu etablieren in Anlehnung an das Kardinalskollegium der katholischen Kirche, um ein gewisses Element der Demokratie in die Reichsleitung einzuführen.
Man liest von der offiziellen Zeitschrift "Der SA-Mann", die Anfang 1939 verboten wurde, weil sie massiv gegen Mißstände in Partei und Staat und gegen Bonzenwirtschaft anging. Ausführlich wird der von der Reichsjugendführung eingerichtete deutsch-japanische Jugendaustausch der Jahre 1937 bis 1940 dargestellt, der in einem seltsamen Gegensatz zur Rassenideologie des Nationalsozialismus stand.
Der gute Wille vieler europäischer Schriftsteller wird deutlich in den europäischen Dichtertreffen in Weimar 1941/42, die ein Schritt sein sollten, um Europa eine neue geistige Einheit zu verleihen. Die Bemühungen scheiterten, wie Bräuninger schreibt, an den inneren Widersprüchen des NS-Regimes.
Der Autor schildert die bis ins Jahr 1936 sich erstreckenden Auseinandersetzungen über die künstlerische Moderne hier der nationalsozialistische deutsche Studentenbund mit Unterstützung des Reichsministers Dr. Goebbels für die Anerkennung des Expressionismus und weiterer Gebiete der modernen Kunst dort der Reichsleiter Alfred Rosenberg und sein "Kampfbund für deutsche Kultur" gegen "Kulturbolschewismus". Der eingeengte Blick Rosenbergs, der von Hitler geteilt wurde, siegte.
Wir erfahren von den überwiegend jungen französischen Intellektuellen, die ihre Hoffnungen auf die deutsch-französische Zusammenarbeit richteten und fasziniert waren von der Kraft des neuen Deutschland, vor allem nach dem Einmarsch der deutschen Truppen. Bräuninger stellt ihr Schicksal an dem Leben des damals noch angesehenen Schriftstellers Robert Brasillach dar, des Chefredakteurs der während des Zweiten Weltkrieges in Frankreich erscheinenden Zeitschrift "Je suis partout", mit 300 000 Auflage das einflußreichste Organ der deutschfreundlichen Elite Frankreichs, der nach dem Krieg wegen "geistigen Landesverrats" zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde.
Ergiebig ist der Anhang, in dem uns weithin unbekannte Dokumente veröffentlicht sind, so die Rede Hitlers zur Einweihung des Hauses der Deutschen Kunst von 1937, in der er seine Auffassung von Kunst definiert, so der Wortlaut der Zeremonie zur Aufnahme der Hitler-Jugend in die NSDAP vor dem Ehrentempel am Königlichen Platz in München am 9. November, ein hochinteressantes Zeugnis nationalsozialistischer Feiergestaltung und faschistischer Ästhetik. Der umfangreiche Anmerkapparat verweist auf Querverbindungen und ergänzende Informationen. Ebenso löblich ist das umfassende Personenregister.
Bräuninger legt ein bemerkenswertes Buch mit zehn Essays vor über das Schicksal von eigenwilligen Männern des Nationalsozialismus, die Zivilcourage entwickelten und gemäß ihrer Überzeugung gegen die offizielle Linie handelten und die Armin Mohler, der ein nachdenkliches Vorwort schrieb, zu der Frage veranlaßten, ob jeder Faschist und Nationalsozialist auch zugleich ein Verbrecher gewesen sein muß.
Michaela Weiser
Werner Bräuninger: Strahlungsfelder des Nationalsozialismus. 326 Seiten, mit vielen Abbildungen, Leinen mit Schutzumschlag, Verlag S. Bublies, Beltheim-Schnellbach 1999, 39,80 Mark
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