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Deutschland und die Revolution in Irland

 
     
 
Der 21. März 1916 war kein Tag zum Ausgehen. Es regnete und stürmte. Die See vor Wilhelmshaven war aufgewühlt, und die bleigrauen Wolken jagten über den Himmel. Für Kapitän Karl Spindler ist gerade Dienstschluß eines anstrengenden Tages. Da klopft es plötzlich an seiner Tür. Ein Brief vom Chef: Sofort kommen! Der Adjutant, der die Nachricht überbringt, verabschiedet sich eilig. Den Kapitän beschleicht ein ungutes Gefühl. Doch es hilft nichts: Durch den strömenden Regen geht der Weg. Angekommen, hebt sich der Nebel der Ungewißheit. Spindler soll das Kommando eines geheimen Unternehmens führen. Es ist so geheim, daß zunächst nicht einmal Spindler selbst etwas darüber erfährt.

Spindler bekommt das Kommando über das Patrouillenboot "Libau", vormals ein englischer Dampf
er namens "Castro", der bei Kriegsausbruch von der deutschen Marine einkassiert worden war. Diese Tatsache sollte wenig später eine große Bedeutung erlangen. Kurz darauf wird Spindler nach Berlin beordert. Dort lernt er den Grund der Geheimniskrämerei kennen. Es handelt sich um Sir Roger Casement, Anführer der irischen Befreiungsbewegung "Sinn Féin", der sich bereits seit einiger Zeit in Deutschland befand. Casement, ursprünglich einer vornehmen protestantischen Familie entstammend, später zum katholischen Glauben konvertiert, war bis 1913 britischer Konsul in Südamerika, hatte sich aber seit etwa 1912 der irischen Nationalbewegung verschrieben. Er sollte geheim nach Irland gebracht werden.

Casement war der Ansicht, daß nur ein Bündnis zwischen Irland, Deutschland und den USA den Iren die Form der Unabhängigkeit bringen könnte, die er sich für sein Land wünschte. Doch bereits mit den ersten Kriegstagen 1914 verschwand das Thema der irischen Unabhängigkeit fast völlig aus den Schlagzeilen der amerikanischen Zeitungen. Obwohl die USA noch bis zum Frühjahr 1917 formell neutral bleiben sollten, produzierte die nordamerikanische Presse eine Anti-Mittelmächte-Hysterie und eine Pro-Entente-Stimmung. Dazu gehörte natürlich auch, daß alle Stimmen, die gegen Großbritannien gerichtet waren, nun in nahezu allen Zeitungen zu schweigen hatten. Die irischen Anführer in den USA zogen sich zu Casements Ärger fast total aus der politischen Öffentlichkeit zurück. Die Spenden für die irische Sache, die noch vor Monaten so reichlich geflossen waren, blieben aus.

Diese Enttäuschung über die USA führte Casement noch klarer an die deutsche Seite. Schon im Sommer 1913 schreibt er an einen Freund: "Wenn England die ,Irische Frage‘ nicht bald löst, dann wird wahrscheinlich Deutschland dies tun. Ich glaube, wenn ein Krieg kommt und Irland immer noch so ist, wie es jetzt ist, und dieser Krieg gegen Großbritannien geht – kein ganz unmöglicher Fall–, dann wird Irland sich von England für immer trennen …" Prophetische Worte.

Am 4. August 1914 erklärte Großbritannien dem Deutschen Reich den Krieg. Für die nationale irische Bewegung bedeutete dies einen schweren Loyalitätskonflikt. Waren doch die letzten zwei Jahre zwischen 1912 und 1914 gekennzeichnet gewesen durch einen sich stetig verschärfenden Konflikt zwischen den immer militanter werdenden Protestanten der Ulster-Volunteers, die jede Regionalregierung Irlands strikt ablehnte, und den irischen Katholiken. Im Jahre 1913 war der irische Protestantenführer Sir Edward Carson sichtlich beeindruckt von einem Besuch in Deutschland zurückgekehrt. Kaiser Wilhelm II., den er getroffen hatte, hatte von der Verwandtschaft der protestantischen Völker geredet. Das nordirisch-protestantische Blatt "Irish Church-man" schwadronierte Ende 1913: "Wir haben ein Hilfsangebot von einem mächtigen europäischen Monarchen, der bereit ist, ein Heer zu schicken, das ausreicht, um England von allen weiteren Schwierigkeiten in Irland zu befreien, indem er es seinem Reich angliedert … Und sollte unser König die ,Home Rule Bill‘ unterzeichnen, so werden die Protestanten Irlands jenen kontinentalen Befreier ebenso willkommen heißen wie ihre Vorväter schon einmal unter ähnlichen Verhältnissen einen anderen", nämlich Wilhelm von Oranien. Noch wenige Wochen vor Ausbruch des Weltkrieges gelang den Ulster-Volunteers ein großer Schlag: In der Nacht vom 24. zum 25. April 1914 wurden von einem Schiff 35 000 deutsche Mauser-Gewehre und 2,5 Millionen Schuß Munition im Städtchen Larne, etwa 30 Kilometer von Belfast entfernt, illegal angelandet. Die Waffen hatte man in Hamburg gekauft.

Die Reichsregierung hatte sich offiziell herausgehalten, aber zu jener Zeit weilte der spätere Staatssekretär Richard v. Kühlmann als deutscher Beobachter in Irland. Er kam zu dem Ergebnis, England werde in keinen Krieg eingreifen können, solange seine Kräfte in Irland gebunden seien. Ein tragischer Fehlschluß, wie sich nur wenige Wochen später herausstellen sollte, aber nur eine von vielen Fehlinformationen, die das Auswärtige Amt damals lieferte. Nach dem Eintreffen der Waffen erlosch jedoch das prodeutsche Engagement der protestantischen Ulster-Volunteers überraschend schnell. Denn als klar wurde, daß man im Londoner House of Lords – anders als die britische liberale Regierung – eine irische Autonomie keinesfalls hinnehmen werde, war die Freundschaft der irischen Protestanten mit den Deutschen hinfällig geworden.

Dafür fühlten sich nun die Katholiken umso mehr bedroht, und es fand sich umgehend eine europäische Großmacht, die nunmehr die ins Hintertreffen geratenen Katholiken mit Waffen unterstützte. Dies war erneut Deutschland. Die Katholiken hatten erst in den letzten Monaten und Wochen vor Kriegsausbruch 1914 – ebenfalls mit Hilfe der Deutschen – nachgerüstet. Als der Krieg schließlich ausbrach, war die politische Situation auf der grünen Insel zum Zerreißen gespannt. Protestantenführer Carson war gerade dabei, das vereinbarte Zeichen für den bewaffneten Aufstand im nordirischen Belfast zu geben, als er ein Telegramm vom britischen Premierminister erhielt, daß Großritannien kurz vor einem Krieg mit dem Deutschen Reich stehe. Also wurde die Revolte abgeblasen und das Autonomiegesetz im Gegenzug auf eine Zeit nach dem Krieg verschoben.

Bereits einen Monat vor Kriegsausbruch, Anfang Juli 1914, war Casement in die USA gereist, wo es eine star- ke irische Nationalbewegung gab. John Devoy, der Anführer der mächtigen irisch-amerikanischen Organisation "Clan-na-Gael", stand in regelmäßiger Verbindung mit dem deutschen Botschafter in Washington, Johann Graf Berns-torff. Als am 4. August zwischen Deutschland und Großbritannien Kriegszustand herrschte, baten die amerikanischen Iren Kaiser Wilhelm II. in einer Petition, er solle die Freiheit Irlands in die erklärten Kriegsziele der Mittelmächte aufnehmen: "Wir hoffen auf einen deutschen Triumph über einen Feind, der auch unser Feind ist. Dafür beten wir …"

Indes stieß die irische Befreiungsbewegung in Irland selbst nicht auf derart breite Sympathie wie unter den amerikanischen Iren. Über 130 000 Iren meldeten sich am Anfang des Krieges freiwillig zu den Waffen, auch wenn von einem Teil der Nationalbewegung ein Aufruf erfolgte, England nicht zu unterstützen.

Die Notwendigkeit, in das politische Geschehen einzugreifen, führte Casement schließlich dazu, im Oktober 1914 die USA zu verlassen und selbst nach Deutschland zu gehen. Es waren hauptsächlich drei Ziele, die er in Berlin zu erreichen hoffte: die irischen Kriegsgefangenen in Deutschland sollten zu einer "Irischen Brigade" zusammengestellt werden, die nach einem deutschen Seesieg in Irland eingesetzt werden sollte. Dann mußte erreicht werden, daß die deutsche Regierung eine offizielle Erklärung herausgab, in der sie sich für die Unabhängigkeit Irlands einsetzte. Schließlich sollte Deutschland die Iren mit Waffen unterstützen.

Eine offizielle Erklärung der Reichsregierung war schnell zu bekommen. Sie wurde bereits am 20. November 1914 in der offiziösen "Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" veröffentlicht. Sie war diplomatisch vorsichtig formuliert, sprach aber immerhin von "nationaler Wohlfahrt und nationaler Freiheit", die Deutschland dem irischen Volk wünsche. In den USA waren die Iren hochzufrieden.

Schwieriger wurde es schon mit der Aufstellung einer "Irischen Brigade" aus den Kriegsgefangenen. Hierüber schloß Casement mit der Reichsregierung einen offiziellen Vertrag ab, der bestimmte, die Brigade werde "unter den irischen Farben" kämpfen und nicht als bloßes unselbständiges Anhängsel der deutschen Armee. Casements erster Auftritt unter den Kriegsgefangenen endete allerdings in einem Fiasko: er war rednerisch ziemlich unbegabt, stockte, stotterte. Überdies war die Mehrheit offenbar für England. So ging schließlich alles in einem großen Tumult unter.

Casement mußte seinen hochfliegenden Brigade-Plan aufgeben. Auch deutscherseits war der "Vertrag" über die Aufstellung einer Irischen Brigade nicht unumstritten gewesen. Staatssekretär v. Jagow meinte: "Die Bedenken, die der praktischen Durchführung dieses Gedankens entgegenstehen, liegen auf der Hand.Der militärische Nutzen würde gering, vielleicht sogar negativer Natur sein …"

Als schließlich deutsche und britische Kriegsgefangene ausgetauscht wurden, wurde in London auch Casements Propagandatätigkeit in Deutschland bekannt. Die Engländer wüßten, was sie zu tun hätten, wenn sie seiner habhaft würden. Ohnehin hatte sich die deutsche Regierung in Irlandfragen längst anders orientiert. Gesprächspartner war spätestens seit Ende 1915 John Devoy aus New York.

Als im Januar 1916 in Großbritannien die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde, mußte Deutschland handeln. Mit einem Aufstand sollten die Iren "wachgerüttelt" werden. Die Planungen in New York erreichten im Februar 1916 die heiße Phase. Am 17. Februar telegraphierte Bernstorff nach Berlin: "Irenführer John Devoy mitteilt mir, daß (die) Revolution Ostersonntag (in) Irland beginnen soll. Bittet (um) Waffen zwischen Karfreitag und Ostersonntag (nach) Limerick, Westküste Irlands, unterstellen. Längeres Warten unmöglich, erbitte Drahtantwort, ob (ich) Hilfe von Deutschland zusagen darf."

Die Reichsregierung antwortete "streng geheim": "Zwischen 20. und 23. April abends könnten zwei oder drei Fischdampfer etwa 20 000 Gewehre und 10 Maschinengewehre nebst Munition sowie Sprengstoffe bei Fenit Pier in Traleebucht landen. Irisches Pilotboot soll die Dampfer vor Dämmerung … erwarten … Ausladung muß in wenigen Stunden erfolgen. Bitte drahten, ob Erforderliches in Irland durch Devoy geheim veranlaßt werden kann. Erfolg nur bei Einsetzung aller Kräfte möglich." Der Washingtoner Militärattaché, ein gewisser Franz v. Papen, der später einmal Reichskanzler werden sollte, überbrachte die geheime Nachricht aus Berlin an John Devoy.

Die Antwort war also positiv. Auch aus Irland erhielt man in Berlin über die deutsche Botschaft in der neutralen Schweiz eine vielversprechende Antwort von Joseph Plunkett von der katholischen Irish Volunteer Army: "Der Termin für den Aufstand ist festgesetzt auf den Abend des nächsten Ostersonntags. Die Waffenlieferung, die zur Tralee-Bay gebracht wird, darf später als zum Tagesanbruch am Ostersonntag kommen. Die Präsenz deutscher Offiziere wird notwendig sein. Ein deutsches U-Boot wird im Hafen vor Dublin benö-tigt.

Die Zeit ist sehr knapp, aber dies ist notwendigerweise so, weil wir selbst handeln müssen. Jede Verzögerung ist gefährlich."

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