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Die Sprengung des Königsberger Schlosses

 
     
 
Und es rief Begeisterung hervor, mit der es seinen Standplatz verließ, als an einem regnerischen Herbstmorgen zwei dröhnende Explosionen die Türme in zwei Schotter-Hügel verwandelten." So schreibt der Kaliningrader Schriftsteller Andrej Starcew in seiner Novelle "Die Parabel vom Glück" über die Sprengung des Königsberger Schlosses. Die Schlösser in Berlin und Potsdam waren bereits 1950 beziehungsweise 1959 getilgt worden, als Breschnew 1965 befahl, die Ruine des aus der Burg des Deutschen Ordens
des 13. Jahrhunderts hervorgegangenen Schlosses in der nahezu ausgelöschten ostdeutschen Hauptstadt als "Symbol des preußischen Militarismus" zu schleifen.

Der die Stadt überragende Schloßturm mit neugotischer Spitze von 1866 wurde wegen Einsturzgefahr – er war beim Sturm der Roten Armee auf die zur Festung erklärte Stadt im April 1945 durch Artilleriebeschuß regelrecht aufgeschlitzt worden – schon Ende der 50er Jahre, wohl 1959, gesprengt. Ein bisher unveröffentlichtes Foto im Museum für Geschichte und Kunst in Kaliningrad zeigt die gewaltige Explosion, bei der die Staubwolken bis in Turmhöhe schlugen und dabei Teile der noch stehenden Außenmauern des Schlosses mitrissen. Die bei Kriegsende noch am Schloß stehenden Denkmäler der Hohenzollernherrscher waren zu diesem Zeitpunkt bereits abgeräumt, so auch das 1697/98 in Berlin von Andreas Schlüter geschaffene und von Johann Jacobi gegossene bronzene Standbild des ersten preußischen Königs Friedrich I. am Schloßplatz gegenüber der Schloßwache.

Letztere gehörte zu dem unter Herzog Albrecht erbauten "Albrechtsbau", in dem der Audienzsaal lag, wo sich Friedrich I. am 18. Januar 1701 die Krone aufs Haupt setzte, und das Vorgemach der Königin, wo er seine Gemahlin Sophie Charlotte krönte. Die Schloßkirche, in der im Anschluß die Salbung des Herrscherpaares vollzogen wurde, befand sich im Hauptgeschoß des Westflügels. Zu ihm gelangte man über den Schloßhof. Es verwundert vielleicht, wie der lange Krönungszug, den der 1704 nach Berlin berufene Hofkupferstecher Johann Georg Wolffgang in der großartigen Stichfolge für die "Preußische Krönungsgeschichte" von 1712 dargestellt hat, im Hof des Schlosses Platz gefunden hat. Doch war letzterer so weiträumig, daß darin der gesamte Königsberger Dom Platz gehabt hätte.

Nach der Erhebung zur Krönungskirche ließ Friedrich I. die Schloßkirche, in der er am 29. Juli 1657 getauft worden war, durch seinen Baumeister Schultheiß von Unfriedt, der den "Unfriedt-Flügel" als Teil des geplanten Königsschlosses erbaute, in barockem Stil mit Emporen, königlicher Loge und Kanzelaltar ausstatten. Über der Kirche – am 18. Oktober 1861 auch Schauplatz der Krönung Wilhelms I. – lag der Moskowitersaal. Dieser 1701 noch "großer" oder "langer Saal" genannte Fest- und Empfangssaal war der größte Saalbau der Renaissance in Deutschland. Hier fand am Abend des denkwürdigen Januartages das Krönungsmahl statt.

Bis zur Abdankung Kaiser Wilhelms II. 1918 war das Schloß zweite Residenz der Könige von Preußen. Nach dem Ende der Monarchie wurde es wie die meisten Schlösser in Preußen zum Museumsschloß. Als in den 20er Jahren die Behörden bis auf das Oberlandesgericht auszogen, wurden hier die Städtischen Kunstsammlungen, das Prussia-Museum und die Schausammlung der Staats- und Universitätsbibliothek untergebracht. Das Schloß war, wie Alfred Rohde, der Direktor der Kunstsammlungen, im noch 1942 neu aufgelegten Schloßführer schrieb, "eine historische Erinnerungsstätte geworden, in der sich in Baugeschichte, historischen Räumen und öffentlichen Sammlungen die künstlerische, kulturelle und historische Entwicklung Ostdeutschlands eindeutig widerspiegelt".

Die Sammlungen und ehemaligen Königlichen Gemächer konnten noch bis 1944 besichtigt werden, darunter das sogenannte Geburtszimmer Friedrichs I. mit geschnitzter Holztäfelung aus dem 16. Jahrhundert, das nach Rohde "zu den künstlerisch bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Königsbergs" gehörte, der "Fliesensaal" mit dem Thronsessel und Krönungstisch Friedrichs I. und im Obergeschoß des Unfriedt-Flügels der Lovis-Corinth-Saal mit 16 Gemälden des Meisters und der Raum 37 mit dem von 1942 bis 1944 eingebauten, von Friedrich I. nach seiner Krönung in Auftrag gegebenen Bernsteinzimmer, das nach Rohde 1941 deutsche Soldaten im Auftrag des Chefs der Heeresmuseen aus dem durch die Kriegshandlungen gefährdeten Zarenschloß in Zarskoje Selo bei Leningrad zur Rettung nach Königsberg brachten. Das meiste wurde in der Nacht vom 29. zum 30. August 1944, als britische Fernkampfbomber die Innenstadt mit Spreng- und Brandbomben in Schutt und Asche legten, und bei der Eroberung der Stadt beziehungsweise danach durch Brandschatzungen im April 1945 vernichtet.

Im Gegensatz zum Berliner Schloß und Potsdamer Stadtschloß fehlt bis heute eine ausreichende Darstellung über die Schleifung des Königsberger Schlosses nach dem Zweiten Weltkrieg in Wort und Bild. Jüngst ist allerdings der junge Historiker Bert Hoppe in seinem Buch "Auf den Trümmern von Königsberg. Kaliningrad 1946–1970" (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Band 80, München 2000) der Vorgeschichte der Sprengung des Schlosses auch aufgrund des Studiums der Akten in den derzeit zugänglichen Archiven in Königsberg nachgegangen. In dieser im Rahmen einer Magisterarbeit erfolgten Untersuchung ist von "ersten Sprengungen" "Ende 1965" und dem "Verschwinden" der Schloßruine "Ende der sechziger Jahre" die Rede. Eine genauere Dokumentation über den in mehreren Etappen erfolgten Abriß des Schlosses von 1965 bis mindestens 1968 fehlt aber.

Wiewohl Königsberger Archive und Museen, vor allem das Staatliche Gebietsarchiv, umfangreiches Bildmaterial besitzen, enthält die verdienstvolle Arbeit von Hoppe keine einzige Abbildung. Gerade die Fotodokumente und deren Abgleich mit anderen Bildquellen, wie etwa den zum Teil datierten Aquarellen des Königsberger Architekten Arsenij W. Maksimow, können einen wichtigen Beitrag zur Rekonstruktion der Geschichte und auch bildlichen Veranschaulichung der Vernichtung des Schlosses liefern. Einige bisher unpublizierte Nachkriegsaufnahmen von der Schloßruine aus der Sammlung des Verfassers sind in der Sonderausstellung zum Krönungsjubiläum im Brandenburg-Preußen Museum in Wustrau bei Neuruppin (bis Oktober 2001) zu sehen.

Auch eine Untersuchung über das Schicksal des Inventars und der Museumsschätze des Schlosses, das zur "Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten in Preußen" mit Sitz in Berlin gehörte, ist ein dringendes Desiderat. Nicht alles ist, wie allgemein angegeben, vernichtet worden. Zu den 1944/45 aus dem Schutt des Schlosses geretteten Kunstwerken gehört das renaissancezeitliche Schnitzbild "Mann mit Totenkopf" aus dem Jahre 1530 von Hans Schenck, genannt Scheuzlich, das in Raum 13 des Nordwestturms, des sogenannten Turms des Kürschners, ausgestellt war. Ein russischer Soldat verkaufte es 1948 in den Westen, so daß es 1958 die Verwaltung der Schlösser und Gärten in Berlin wiedererwerben konnte. Es hängt nun im Jagdschloß Grunewald. Anderes ist 1944/45 ausgelagert worden. So wird ein Teil der Prachtbände der "Silberbibliothek" Herzog Albrechts aus eben diesem Turmzimmer heute in Thorn verwahrt. Dem neu bearbeiteten "Dehio-Handbuch der Kunstdenkmäler West- und Ostdeutschland" von 1993 kann man entnehmen, daß sich im Museum der Burg von Heilsberg "zahlreiche wertvolle, aus den Kirchen Ostdeutschlands stammende Holzplastiken des 14.–16. Jh., die zum Teil zu den ehem. Sammlungen im Königsberger Schloß gehören", befinden.

Tilo Eggeling, Referent für Denkmalpflege der nunmehrigen Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, bemerkt überraschenderweise in "Königsschlösser – Museumsschlösser. Entstehung, Geschichte und Konzeption der preußischen Schlösserverwaltung" (1998), daß Möbel und Gemälde des Königsberger Schlosses 1944 (?) nach Rheinsberg ausgelagert wurden und bei Kriegsende verlorengingen: "Teile des Inventars einiger Depots wurden später auch geplündert oder fielen unter den verschiedensten Umständen der Zerstörung anheim, wie beispielsweise in Schloß Rheinsberg geschehen." Leider sollen auch die Auslagerungslisten nicht mehr vorhanden sein.

Als sich Ende 1965 der Gebiets- und der Stadtsowjet sowie die Parteileitung des Gebiets mit der Sprengung des Königsberger Schlosses gegen einen Teil der Intelligenz inner- und außerhalb des heutigen Königsberg durchgesetzt hatten, trat der Chefarchitekt der Stadt, Wladimir W. Chodakowskij, der "Kopf" des Widerstands gegen den Schloßabriß, von seinem Amt zurück. Er schrieb jedoch noch einen sehr aufschlußreichen, von Hoppe nicht genauer zitierten Brief an Breschnew, in dem es unter anderem heißt: "Auf Initiative der Kaliningrader Gebietsparteileitung setzt man im Zentrum der Stadt den Abriß eines einzigartigen architektonischen und geschichtlichen Denkmals fort … Die Frage nach der Notwendigkeit der Einbeziehung der Reste des Schlosses in das gerade zu projektierende Zentrum der Stadt und die Frage der Errichtung einer Gedenkstätte der Geschichte auf seinen Grundmauern zum Ruhm des russischen Heeres wurde einstimmig von zwei Fachtagungen angesehener Städtebauer bestätigt …

Auf die Notwendigkeit der Erhaltung der Schloßreste bestehen auch der Vorstand des Architektenverbandes der UdSSR, das Kultusministerium der RFSSR … Gegen den erfolgenden Abriß sprechen sich entschieden zahlreiche Vertreter der Kaliningrader Stadtöffentlichkeit aus … zur gegebenen Zeit kann nur noch Ihre Intervention die sinnlosen und regelwidrigen Tätigkeiten zum Abriß des Schlosses aufhalten. Ich bitte Sie inständig, eine Sonderkommission zum Studium dieser komplizierten Lage nach Kaliningrad zu entsenden, mit dem Ziel, eine Entscheidung zu fällen, die unseres Staates würdig ist."

 
     
     
 
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