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Doch Deutschland schaute weg

 
     
 
"Funkspruch an alle  ... Funkspruch an alle ...: Die Kirche in de DDR klagt den Kommunismus an! Wegen Unterdrückung in Schulen an Kindern un Jugendlichen."

Niemals gab es einen Funkspruch dieses Inhalts, es gab nur ein selbstgemalte Transparent vor der Zeitzer Michaeliskirche. Neben diesem Plakat hatte sich de evangelische Pfarrer Oskar Brüsewitz am 18. August 1976 mit Benzin übergossen und selbs angezündet.

Der am 30. Mai 1929 in Willkischken im Memelland geborene Geistliche geriet bereit frühzeitig ins Visier des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR, da er sein oppositionelle Haltung zum SED-Staat
nicht verhehlte. Trotz Stasi-Spitzelei und de Bemühen in einigen Teilen seiner Amtskirche, ihn loszuwerden, zeigte sich Brüsewit mutig und bot dem menschenverachtenden Unrechtssystem die Stirn.

Mit unkonventionellen und zuweilen skurrilen Aktionen verstand er es, der Staatsmach Paroli zu bieten. Die älteren Einwohner seiner ehemaligen Pfarrgemeinde Rippicha erinner sich noch heute an das große Kreuz aus Neonröhren, welches Pfarrer Brüsewitz in 2 Metern Höhe am Kirchturm angebracht hatte. Es leuchtete allabendlich weithin sichtbar un zeugte vom aktiven Protest des unbeugsamen Ostdeutschland. Auf die Forderungen de offiziellen DDR-Behörden, das Kreuz zu entfernen, soll der Kirchenmann seinerzei geantwortet haben: "Solange der Sowjetstern überall leuchtet, bleibt auch mei Kreuz!"

Als 1975 im Arbeiter- und Bauernstaat unter der Losung "Ohne Gott und Sonnenschei bringen wir die Ernte ein" zur "Ernteschlacht" aufgerufen wurde kutschierte der Geistliche unbekümmert mit seinem Pferdefuhrwerk von Rippicha nach Zeitz An seinem Wagen prankte auf Transparenten das umgetaufte SED-Motto: "Ohne Regen, ohn Gott geht die ganze Welt bankrott!" Zu den Volkskammerwahlen in der DDR, bei dene immer nur eine Einheitsliste existierte, kommentierte er: "Ich habe schon gewählt nämlich Christus."

Das Zeichen, das Oskar Brüsewitz letztendlich mit seinem Freitod setzen wollte, sollt die Aufmerksamkeit der Menschen auf die Diskriminierung und Verfolgung junger Christen in der DDR lenken. Die Selbstverbrennung war zugleich Anklage gegen den bestehende Unrechtsstaat und gegen die opportunistische Haltung seiner eigenen Kirche zum bestehende System.

Die DDR-Führung versuchte in der Presse, die umstrittene Tat des Pfarrers als geisteskranken Verzweiflungsakt abzustempeln. Selbst das Echo in der Bundesrepublik blie damals eher verschämt. Anstatt den Appell des Geistlichen aufzugreifen und die Christenverfolgung in der DDR anzuprangern, fand die Tat nur kurzzeitige Beachtung in de Medien. Im Zuge der sogenannten Entspannungspolitik war Bonn statt dessen eifrigst daru bemüht, sich die "Partner" in Pankow schönzulügen. Man spielte die heikl Situation herunter.

Dem Menschen Oskar Brüsewitz gerecht zu werden fällt schwer, man möchte ihn auf ein Stufe mit dem tschechischen Dissidenten Jan Palach gestellt sehen, desse Selbstverbrennung auf dem Prager Wenzelsplatz noch heute als ein nationales Symbol de Widerstandes der Tschechen gegen die Sowjetherrschaft gilt. In Deutschland hingegen wurd im Fall Brüsewitz schnell wieder zur Tagesordnung übergegangen. Für den bekannte Historiker Wolfgang J. Mommsen liegt eine der Ursachen ganz klar im wohlwollende Zusammenspiel der Kirchenbehörden mit der Stasi begründet. Vor allem aber beschreibt die ignorante Haltung der westdeutschen EKD-Repräsentanten ein besonders schmähliche Kapitel der deutschen Teilungstragödie.

Nachdem sich der Opfergang des Oskar Brüsewitz nun zum 23. Male jährt, erinnert da Brüsewitz-Zentrum in Berlin mit einer Wanderausstellung an den unbequemen und aufrechte Pfarrer. Die Ausstellung gastiert noch bis zum 6. Oktober 1999 in der Bernauer Straße 11 in den Räumen der Evangelischen Versöhnungsgemeinde. (Öffnungszeiten: Mo.-Do. 9.00 bi 16.00 Uhr, Mi. bis 19.00Uhr, Fr. bis 12.00 Uhr) Gleichzeitig ist in diesen Tagen ein Buc mit dem Titel "Das Fanal" erschienen, welches den Fall Brüsewitz in seine ganzen Tragweite schildert. Das Werk zeichnet nicht nur das Leben des streitbaren Pfarrer nach, sondern untersucht auch die systematische Vertuschung des Falles in Mittel- un Westdeutschland
André Nehrig

Das Fanal. Das Opfer des Pfarrers Brüsewitz aus Rippicha und die evangelische Kirche herausgegeben von Helmut Müller-Enbergs (Gauck-Behörde), Wolfgang Stoc ("Focus") und Marco Wiesner, mit einem Nachwort von Prof. Dr. Gerhard Besie (Heidelberg), Verlag Aschendorff, Münster 1999, 386 Seiten, 25,80 DM, ISBN 3-402-05263-6

 
     
     
 
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