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Im Seehotel Seminaris, gelegen an einem der reizvollen Havelseen, ging es an diesem Tag wie in einem Taubenschlag zu. Schon seit dem frühen Morgen strömten Besucher aus nah und fern dem Treffpunkt zu, um im Kreis der Tilsit-Ragniter, Elchniederunger und Tilsiter ihrer Heimat zwischen Inster, Scheschuppe und Kurischem Haff zu gedenken.
Die Organisatoren hatten alle Hände voll zu tun, um dem wachsenden Andrang gerecht zu werden. Zusätzliche Tische und Stühle mußten herbeigeschafft werden. Als dann der Vorsitzende der Kreisgemeinschaft Tilsit-Ragnit, Hartmut Preuß, das Treffen eröffnete, hatten sich über 350 Teilnehmer im Saal versammelt. Sein Gruß galt den zahlreich erschienenen Landsleute n, ihren Angehörigen und den Ehrengästen, unter ihnen der Oberbürgermeister von Potsdam.
Das Treffen war als Versuch gedacht - so Hartmut Preuß - Heimattreffen auf regionaler Ebene durchzuführen. Aus gesundheits- und Altersgründen wird die weite Anreise zu zentralen Treffen immer schwieriger. Deshalb sei die Wahl auf Potsdamm gefallen. Es liege günstig gerade für die "neuen" Bundesländer und der Erfolg habe den Organisatoren, zu denen auch die Kreisgemeinschaften Elchniederung und Tilsit-Stadt zählten, recht gegeben. Die Zahl der Teilnehmer habe alle Erwartungen übertroffen. Doch nicht nur wegen seines Standortvorteils sei Potsdam ein guter Treffpunkt - nein, auch dessen historisches Flair schaffe den richtigen Rahmen.
Hartmut Preuß ging dann auf die Leidensgeschichte Ostdeutschlands und seiner Bevölkerung ein, die für die Tilsit-Ragniter fast auf den Tag vor 60 Jahren begann. Viele wurden in alle Richtungen verstreut und die, denen die Flucht nicht gelang, mußten mehrere Jahre Zwangsarbeit auf Militärsowchosen leisten, bis sie aus ihrer angestammten Heimat vertrieben wurden. "Ich weiß, wovon ich spreche" führte der Redner aus, "war ich doch selbst bis 1948 auf der Sowchose Kraupischken." Die Bemühungen der Kreisgemeinschaft, dieses bisher vernachlässigte Thema aufzuarbeiten und die Schicksale zu dokumentieren, finden großen Anklang. Ein erstes Ergebnis sei die Schrift "Wir wurden zu Fremden im eigenen Land", die reges Interesse und bald eine Fortsetzung findet.
Ein bedeutsames Ereignis war im Juni dieses Jahres die Eröffnung einer Begegnungsstätte in Tilsit. Die Tilsit-Ragniter waren mit zwei Reisebussen gekommen, um der Einweihung gemeinsam mit Rußlanddeutschen und heutigen Bewohnern der Region am Memelstrom beizuwohnen. Die Kreisgemeinschaft Tilsit-Ragnit unterstützt zusammen mit den Tilsitern und Elchniederungern diese Einrichtung, denn sie dient dem gegenseitigen Verstehen und führt Menschen zueinander. Von großer Bedeutung sei die Bewahrung der 700jährgen Geschichte und Kultur Ostdeutschlands. Es gelte - so abschließend der Redner - sie der Jugend, der gesamten Öffentlichkeit und auch den heutigen Bewohnern zu vermitteln und bewußt zu machen.
Einen herzlichen Willkommensgruß überbrachte der Oberbürgermeister der Stadt Potsdam, Jan Jakobs. Er gab seiner Genugtung Ausdruck, daß die Tilsit-Ragniter in der alten Preußenmetropole zusammengekommen seien, um ihrer preußischen Heimat zu gedenken und wünschte erlebnisreiche Stunden in geschichtsträchtiger Umgebung. Grüße entboten auch die stellvertretende Vorsitzende der Kreisgemeinschaften Elchniederung und Tilsit, Waltraut Moser-Schwader und Ingolf Koehler.
Mit einem geistlichen Wort gedachte Pfarrer Sallowski den Leiden durch Flucht und Vertreibung. Er schilderte, wie sein Lebensweg von Trost finden und Trost geben bestimmt wurde und verlas einen Gruß des Bischofs der Pommerschen Evangelischen Kirche, Dr. Hans-Jürgen Abromeit. Er, der einer Flüchtlingsfamilie aus Galbrasten im Kreis Tilsit-Ragnit entstammte, wünschte allen Teilnehmern, sich ihrer Wurzeln zu erinnern und daraus Kraft für den Weg in die Zukunft zu finden.
Als Überraschungsgast betrat "seine Majestät, der König" den Saal. Im historischen Originalkostüm räsonierte der "Alte Fritz" über das, was man Preußen angetan hat. Mit vielen kabarettistischen Anspielungen auf die heutige Zeit erntete er stürmische Lachsalven.
In Ihrer Festrede zeichnete Hildegard Rauschenbach bewegende Bilder aus glücklichen Kindertagen, aber auch aus der schrecklichen Zeit nach 1945. Sie wurde nach Sibirien verschleppt wo sie dreieinhalb Jahre lang Zwangsarbeit leisten mußte. In ihren Büchern setzt sie sich engagiert gegen Krieg und Gewalt ein und wurde für ihre Versöhnungsarbeit mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Mit lebhaftem Beifall dankten die An- wesenden für ihre Ausführungen.
Dann konnte endlich "geschabbert" werden. Der Nachmittag stand im Zeichen von Gesprächen und Begegnungen. Hier trafen Menschen aufeinander, die sich eine Ewigkeit nicht gesehen hatten und die das erlittene Vertreibungsschicksal verbindet. Der Tag klang aus mit einer zweistündigen Dampferfahrt mit der "MS Potsdam". DZ
Die Festrednerin zeichnete bewegende Bilder : Hartmut Preuß überreicht Hildegard Rauschenbach einen Blumenstrauß. |
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