|
In den nächsten Wochen und Monaten jähren sich viele Geburts- und Todestage bedeutender Deutscher. Im Februar wird man des Königsberger Philosophen Immanuel Kant gedenken, im März des Mediziners Emil v. Behring oder im Oktober/November der Forscher Reinhold und Johann Georg Forster. Im Januar bereits jährt sich der Geburtstag des Aufklärers Gotthold Ephraim Lessing zum 275. Mal. Vor allem in Kamenz, dem Geburtsort, und in Wolfenbüttel, wo er lange Jahre seines Lebens verbrachte, wird man des Kritikers, Dichters und Dramatikers gedenken. So werden in Kamenz anläßlich der 43. Lessing-Tage im Januar und Februar zu zahlreichen Veranstalt ungen - von Lesungen über Theateraufführungen bis Ausstellungen - viele Besucher aus nah und fern erwartet.
Am 17. Januar werden die Lessing-Tage festlich eröffnet: Wolfgang Thierse, Präsident des Deutschen Bundestages, wird im Rathaus Kamenz vor geladenen Gästen den Festvortrag halten. Wenige Tage später, am 22. Januar, wird in der Lessing-Gedenkstätte, Lessinggäßchen Kamenz, eine kleine Dauerausstellung eröffnet, die über die Ehrungen informiert, die zum 100. und 200. Dichtergeburtstag stattfanden, und darüber, wer die Menschen waren, die mit ihrer Begeisterung für Lessing bis heute Spuren hinterlassen haben (18 Uhr). Im Malzhaus Kamenz wird ebenfalls eine Ausstellung eröffnet (19 Uhr). Unter dem Titel "LeidenschaftVernunft. Lessing auf der Bühne" wird das Thema Theater in den Blickpunkt des Besuchers gerückt. "Ein fiktiver Raum hinter der Bühne lädt mit einer Vielzahl von Inszenierungsmaterialien - von Szenenfotos bis hin zu Kostümen und Bühnenbildmodellen - zum ‚Stöbern oder Erinnern ein", so die Veranstalter. "Anhand der Exponate erschließt sich Bühnengeschichte bis heute." Auch lassen die Exponate erkennen, "daß man immer wieder neue Fragen an die Lessing-Werke gestellt hat". Ausgewählte Schlüsselszenen kann man sich per Video am Computer anschauen und auch ermitteln, an welchen Theatern derzeit Stücke von Lessing gespielt werden.
Mit einem Festakt in Anwesenheit von Bundespräsident Johannes Rau ehrt Wolfenbüttel den Dichter und Dramatiker Lessing am 22. Januar, 11 Uhr (Augusteerhalle der Bibliotheca Augusta; Grußwort: Christian Wulff, Ministerpräsident des Landes Niedersachsen).
Wer sich direkt mit dem Werk Lessings, jenseits aller offiziellen festlichen Würdigungen, beschäftigen möchte, der findet dazu beim Studium einer Publikation von dtv Gelegenheit: dort erschienen rechtzeitig zum 275. Geburtstag des Dichters seine Werke in drei Bänden (aufgrund der in Zusammenarbeit mit Karl Eibl, Helmut Göbel, Karl S. Guthke, Gerd Hillen, Albert v. Schirnding und Jörg Schönert besorgten Werkausgabe in acht Bänden herausgegeben von Herbert G. Göpfert; zusammen 2.528 Seiten, 49 Euro, Geschenkausgabe im Schuber). Jeder Band ist einer bestimmten Werkgruppe zugeordnet; so enthält Band 1 die Fabeln, Gedichte und Dramen, Band 2 die Dramaturgie, Literaturkritik, Philologie und Allgemeines, Band 3 die Geschichte der Kunst, Theologie und Philosophie. Eine knapp gehaltene Kommentierung rundet die Edition ab.
Viele Leser werden Lessing und Teile seines Werkes noch aus dem Schulunterricht kennen, den Nathan natürlich, die Hamburgische Dramaturgie, einige Fabeln. Wer aber war der Mensch Gotthold Ephraim Lessing? Er selbst hat einmal in Versform die Antwort gegeben, nachzulesen auf dieser Seite. Die Nachwelt beschäftigt sich - entgegen der deprimierten Annahme Lessings - durchaus mit diesem großen Geist des 18. Jahrhunderts. Seine Stücke werden auch heute noch in deutschsprachigen Theatern aufgeführt. "Minna von Barnhelm", "Emilia Galotti" und "Nathan der Weise" - wer würde diese Schauspiele zumindest dem Namen nach nicht kennen?
Paul Fechter schrieb in seiner "Geschichte der deutschen Literatur" über Lessing: "Er lebte vom Schreiben; aber er war kein Literat; er war ein Mensch, der die Kritik, die er übte, so übte, daß sie noch heute, da ihre Objekte längst vergessen sind, funkelnd und lebendig fortlebt, weil ihre Grundlage zunächst einmal Kritik an sich selber, Forderung an sich selber war ... Lessing war ein Mensch des 18. Jahrhunderts mit dem Glauben an die bleibend gültige Gesetzlichkeit der ästhetischen Forderungen an die Kunst; er hat aber hinter diesem Glauben, vor allem an die Antike, das kommende Heraufsteigen des Lebens als der letzten Grundlage und des letzten Maßstabs aller Produktion gespürt und bei aller strengen, gelehrten Fundierung seiner Arbeit, bei aller wirklich in die Tiefe gehenden Bildung, vor allem im Sprachlichen, immer wieder das Leben aus dem Unmittelbaren, wenn auch in überlegener männlicher Haltung und Zurückhaltung, mitgegeben."
Lessing selbst hat sich nie als Dichter gesehen. So schrieb er 1768 in der "Hamburgischen Dramaturgie": "Nicht jeder, der den Pinsel in die Hand nimmt und Farben verquistet, ist ein Maler. Die ältesten von jenen Versuchen sind in den Jahren hingeschrieben, in welchen man Lust und Leichtigkeit so gern für Genie hält. Was in den neueren Erträgliches ist, davon bin ich mir sehr bewußt, daß ich es einzig und allein der Kritik zu verdanken habe. Ich fühle die lebendige Quelle nicht in mir, die durch eigene Kraft sich emporarbeitet, durch eigene Kraft in so reichen, so frischen, so reinen Strahlen aufschießt: ich muß alles durch Druckwerk und Röhren aus mir heraufpressen. Ich würde so arm, so kalt, so kurzsichtig sein, wenn ich nicht einigermaßen gelernt hätte, fremde Schätze bescheiden zu borgen, an fremdem Feuer mich zu wärmen und durch die Gläser der Kunst mein Auge zu stärken."
So vielseitig das Schaffen Gott-hold Ephraim Lessings war, so bunt war auch sein Leben. Am 22. Januar 1729 im sächsischen Kamenz als Sohn eines Pfarrers geboren, besuchte er die Fürstenschule St. Afra in Meißen, um später in Leipzig Theologie und Medizin zu studieren. Wie viele seiner Altersgenossen fühlte der junge Lessing sich jedoch eher zu den Zerstreuungen hingezogen, denn zu ernsthafter Arbeit. Bald schon wandte er sich den schönen Künsten zu, veröffentlichte erste Gedichte und Rezensionen in Berliner Zeitschriften.
Sein Weg war vorgezeichnet, als er der Schauspielertruppe um Friederike Caroline Neuber begegnete und 1748 sein Schauspiel "Der junge Gelehrte" aufgeführt wurde. Ironie des Schicksals: Die Neuberin arbeitete eng zusammen mit dem Literaturpapst jener Zeit, mit dem Königsberger Johann Christoph Gottsched (1700-1766), der einmal ein erbitterter Gegner Lessings werden sollte.
Nach dem finanziellen Zusammenbruch der Neuberschen Truppe ging Lessing nach Wittenberg und schließlich nach Berlin, wo er sich als Journalist, Kritiker und Poet durchs Leben schlug. In Berlin lernte er Voltaire kennen, mit dem er sich allerdings bald heftig wieder entzweite - ein Umstand, der Friedrich den Großen nicht gerade für Lessing einnehmen sollte.
Nach einem Jahr verließ Lessing Berlin wieder und ging erneut nach Wittenberg, wo er den Magistertitel erwarb. Doch nicht lange hielt es den unruhigen Geist dort. Erneut in Berlin, freundete er sich mit dem Philosophen Moses Mendelssohn und dem Buchhändler Friedrich Nicolai an; gemeinsam gab man die "Briefe, die neueste Literatur betreffend" heraus. Auch die Freundschaft zu Ewald von Kleist entwickelte sich fruchtbar.
Lessing war erst 26 Jahre alt, als er eine sechsbändige Gesamtausgabe seiner Schriften veröffentlichte, im gleichen Jahr, 1755, wurde seine "Miß Sara Sampson", das erste "bürgerliche Trauerspiel", in Frankfurt/Oder aufgeführt.
Wie auch andere Dichter seiner Zeit wollte auch Lessing sich auf Reisen begeben, um seinen Horizont zu erweitern, Neues kennenzulernen. Eine geplante Reise durch Europa mußte er allerdings absagen - die Zeiten waren zu unsicher, schließlich herrschte Krieg zwischen Preußen und Österreich. Lessing ging zunächst nach Leipzig, dann jedoch wieder nach Berlin. Allerdings nur für eine kurze Zeit, da er sich entschlossen hatte, als Sekretär des Generals von Tauentzien nach Breslau zu gehen (1760-1765).
Nach dem Krieg findet man Lessing wieder einmal in Berlin, wo er versucht, die Leitung der Königlichen Bibliothek zu erhalten. Diese Hoffnung scheitert jedoch an Friedrich dem Großen und dessen Vorliebe für französische Gelehrte und Dichter. Lessing folgt schließlich 1767 einem Ruf nach Hamburg, wo er als Dramaturg am neu gegründeten Nationaltheater wirken soll. Als fruchtbarstes Ergebnis seiner Zeit in der Hansestadt wird die "Hamburgische Dramaturgie" betrachtet, da bereits nach Verlauf eines Jahres das Nationaltheater zum Scheitern verurteilt ist.
1770 endlich nimmt Gotthold Ephraim Lessing den Antrag des Erbprinzen von Braunschweig an und übernimmt die Leitung der Herzoglichen Bibliothek in Wolfenbüttel. Dort scheint sich alles bald zum Besseren zu wenden. 1776 heiratet Lessing Eva König, die Witwe eines Freundes. Dieses späte Glück ist jedoch nur von kurzer Dauer. Lessings Frau stirbt nach der Geburt seines ersten Kindes, eines Sohnes, der ebenfalls nicht am Leben bleibt.
In Wolfenbüttel schließlich entstanden die geschichtsphilosophische Schrift "Die Erziehung des Menschengeschlechts" und das wohl bekannteste Werk Lessings, "Nathan der Weise." Paul Fechter schrieb über den Nathan: "... Auch die Tatsache, daß das dramatische Gedicht die erste Bühnendichtung ist, die konsequent den Blankvers gebraucht, der seitdem der tragende Vers auch der deutschen Bühne geworden ist -, auch dieses Faktum hätte der Dichtung kaum den Widerhall zu geben vermocht, den sie in den anderthalb Jahrhunderten ihrer Bühnenlaufbahn gefunden hat. Der ergab sich aus der menschlichen Haltung ihres Dichters, aus der aufgeklärten Humanität im schönsten Sinn, die in dem Drama lebt und sein wesentlicher Kern, seine Grundtendenz zu sein scheint."
Am 15. Februar 1781 starb Lessing bei einem Besuch in Braunschweig. Auf dem Friedhof der Magni-Gemeinde fand er seine letzte Ruhestätte. Er hinterließ der Nachwelt eine stattliche Reihe von Schriften, dramatische, kunstkritische und religionskritische. Zu entscheiden, welche Thematik den Nachwachsenden entscheidende Impulse gegeben hat, bleibt Berufeneren überlassen. Paul Fechter: "Denn das ist Gotthold Ephraim Lessings bleibendes historisches Verdienst, daß er den Mit- und Nachlebenden die Pflicht der geistigen Forderung an sich selbst und die Möglichkeit höchster Leistung von solcher Forderung aus zum Bewußtsein brachte."
Als man 1929 den 200. Geburtstag Lessings in der Preußischen Akademie der Künste beging, hielt Max Liebermann in seiner Eigenschaft als Präsident eine Ansprache, in der er ausführte: "Goethe sagte einmal, wenn er im Kant läse, wäre es ihm, als ob er das Fenster öffnete: dasselbe und mit größerem Rechte hätte er von Lessings Werk sagen dürfen. Doch wie wenige, außer den Fachgelehrten, beschäftigen sich noch mit dem ,Laokoon , der ,Hamburgischen Dramaturgie oder mit seinen antiquarischen und theologischen Kampfschriften? Frische, freie Luft strömt uns aus ihnen entgegen. Zwar sind die französischen Stücke, gegen die er in der Dramaturgie zu Felde zieht, ebenso vergessen wie die Lange, die Klotz und die Pfarrer Goeze. Mögen die Ergebnisse des ,Laokoon von der Wissenschaft als falsch und antiquiert erkannt sein: der Geist, der diese Schriften schuf, ist unsterblich. Er war seiner Zeit so weit voraus, daß wir ihn an Freimut und Leidenschaft der Gesinnung, an Weite und Höhe der Weltanschauung bis heute nicht eingeholt haben, geschweige denn, daß wir ihn überholt hätten."
Worte, die bis in unsere Tage ihre Gültigkeit nicht verloren haben dürften.
Gotthold Ephraim Lessing: Brachte frischen Wind in die deutsche Literatur
Lessing nach einem Ölgemälde von J.H. Tischbein d. Ä., 1760
Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgend ein Mensch ist, oder zu seyn vermeynet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Werth des Menschen. Denn nicht durch den Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine Kräfte, worinn allein seine immer wachsende Vollkommenheit besteht. Der Besitz macht ruhig träge, stolz -
Lessing, Eine Duplik, 1778
Aber, bey Gott, so ist es! Wer aus den Büchern nichts mehr lernt, als was in den Büchern steht, der hat die Bücher nicht halb genutzt. Wen die Bücher nicht fähig machen, daß er auch das verstehen und beurtheilen lernt, was sie nicht enthalten; wessen Verstand die Bücher nicht überhaupt schärfen und aufklären, der wäre schwerlich viel schlimmer dran, wenn er auch gar keine Bücher gelesen hätte. Lessing, Sogenannte Briefe an verschiedene Gottesgelehrte, 1779
Ich
von Gotthold Ephraim Lessing
Die Ehre hat mich nie gesucht;
Sie hätte mich
auch nie gefunden.
Wählt man,
in zugezählten Stunden,
Ein prächtig Feierkleid
zur Flucht?
Auch Schätze
hab ich nie begehrt.
Was hilft es
sie auf kurzen Wegen
Für Diebe mehr
als sich zu hegen,
Wo man das wenigste verzehrt?
Wie lange währts, so bin ich hin,
Und einer Nachwelt
untern Füßen?
Was braucht sie
wen sie tritt zu wissen?
Weiß ich nur wer ich bin. |
|