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Dieser gehaltvolle Band verdient Beachtung, wie die ganze Reihe "Perspektiven" der Edition Antaios, in der bereits 30 wichtige Bände wie der über Arnold Gehlen von Konrad Weißmann und über Botho Strauß von Michael Wiesberg erschienen sind. Sie alle sind ein wahres Labsal inmitten des linksintellektuellen Konformismus, der heute in Deutschland die "kulturelle Hegemonie" ausübt. Der Autor Till Kinzel, eine beachtliche philosophische Begabung in der jungen Generation, sieht "echte Geistesarbeit" zu Recht als "dringendstes Desiderat angesichts der kulturneurotischen Zustände" unserer Spätmoderne. Till Kinzel gelingt es, durch das umfangreiche aphoristische Werk des ko-lumbianischen Philosophen Dávila (1913-1996) Schneisen zu schlagen, ein Werk, das geeignet ist, mit der "Akupunktur feiner Nadelstiche" so manchen aus dem dogmatischen Schlummer zu wecken, der sich heute um "Demokratie" und "Menschenrechte" webt.
Dávila läßt in der Tat keinen Zweifel, daß die westliche Welt sich in einer "Epoche der Dekadenz" befindet, wie die Häßlichkeit vieler Städte (nicht nur der berüchtigten Mega-Städte Asiens und Lateinamerikas) ebenso unwiderleglich zeigt wie die vieler Seelen in der Massengesellschaft mit ihrer Gewalt, Kriminalität und Korruption. In der Tradition von Platon und Thukydides versteht Dávila die Moderne als "ein durch und durch antiplatonisches Projekt", ein "Spiegelbild des Nihilismus" (Rohrmoser). Vom Ersten Weltkrieg über das totalitäre Zeitalter bis zum Holocaust und bis in unsere Tage eines zivilreligiös-demokratischen Konformitätsdrucks erleben wir die Dialektik der Aufklärung, den antizivilisatorischen Rückschlag auf die "hypertrophen Emanzipationsbestrebungen" (Reinhard Maurer) radikalisierter Aufklärung. Das schließt die Kritik an der Realität heutiger Demokratie auch gerade des Westens ein, sowie Dávilas Skepsis gegenüber gottlosen Menschenrechten, politisch-messianischen Erwartungen und Vielregiererei. Dabei ist der "Reaktionär" Dávila nicht ohne partielles Verständnis für manche revolutionären Motive, und er unterscheidet zwischen den zwei Arten von Konservatismus, dem der Selbstzufriedenen und dem der Skeptiker, zu denen er sich selbst zählt. Für Dávila ist Selbsterkenntnis das höchste Ziel und Gut der Philosophie, und so macht er sich Sorgen um die totalitäre Entartung der Demo-
kratie und ihren "demokratischen Atheismus" mit seiner "Theologie eines immanenten Gottes" und des Menschen, der sich selbst zu Gott macht.
Dávila ist überzeugt, daß aktionistische politische Programme keine Abhilfen schaffen können. Wenn er - auch um den denkfaulen Bürger zu provozieren - von "Gegenaufklärung" und "Reaktion" spricht, meint er damit, wie Till Kinzel schön herausarbeitet, nicht ein Rückwärtsgehen, sondern die Änderung der Wegrichtung. Die Verhältnisse des Niedergangs selbst nötigen zu neuem Nachdenken auf ungewohnten Bahnen. Die bisherige beliebte Antithese "Fortschritt gegen Reaktion" vermag ohnehin keine tragfähige Auskunft mehr zu geben. Die wichtigste Emanzipation unserer Tage wird daher diejenige vom scheinbar so plausiblen Zeitgeist sein müssen. Nicht um blinde Raserei gegen die Wände der Moderne wird es dabei gehen, schon gar nicht mit ausschließlich politischen Mitteln, wohl aber um ein Wachhalten der Erinnerung, um die Verteidigung der Herkunftsbestände, ohne die der Untergang der Humanität und die endgültige Herrschaft von Nietzsches "letztem Menschen" unausweichlich wäre. Kinzel bewertet Gómez Dávilas Werk als große Mahnschrift, als einen Akt der Psychohygiene in unseren kulturneurotischen Zuständen, als einen "Guerillakrieg der Gedanken auf Schleichpfaden", den man nicht unterschätzen sollte. K. Hornung
Till Kinzel: "Nicolás Gómez Dávila. Parteigänger verlorener Sachen", Edition Antaios, Schnellroda 2003, 154 Seiten, 12,00 Euro |
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