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Es sind jetzt 150 Jahre vergangen, da ein Mann sich auf den Weg in den Süden machte und damit eine Entscheidung traf, die sein Leben entscheidend beeinflussen sollte. Im Sommer 1852 wollte der Neidenburger Ferdinand Gregorovius sich in Italien mit einem Freund treffen; als er erfuhr, daß dieser unvermutet gestorben war, machte er sich dennoch tiefbetrübt auf die Reise. Im Juli erreichte er Korsika. "So betrat ich denn zum ersten Mal die Insel Korsika, die mich schon als Kind so mächtig gelockt hatte, wenn ich sie auf der Karte betrachtete", schreibt Gregorovius in seinen Reise-Erinnerungen. "Die malerisch en braunen Uferberge, die grünen Höhen mit ihren dichten Olivenhainen, kleine Kapellen am Strand, einzelne graue Türme aus der Genuesenzeit, das Meer, in aller Pracht südlicher Farbe, das Gefühl, in ihm verloren auf einer fremden Insel zu stehen, das machte damals einen unauslöschlichen Eindruck auf mein Gemüt." Und: "Korsika entriß mich meinen Bekümmernissen ... es hat mir dann festen Boden unter die Füße gestellt ..."
Im September des gleichen Jahres besucht der Neidenburger, der später durch seine "Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter" zum Ehrenbürger Roms (1876) ernannt wird und durch seine anschauliche Art, die Historie von Italien und auch Griechenland den Menschen näherzubringen, noch heute gern gelesen wird, die Insel Elba. Von Livorno nahm er das Dampfschiff, um zu der Insel, die eng - ebenso wie Korsika - mit dem Leben und Schicksal Napoleons verbunden ist, zu gelangen: "Je näher man Elba kommt", so Gregorovius, "desto rauher erscheinen seine Felsen; von Ortschaften ist kaum eine Spur zu sehen, außer einem kleinen Hafenort, den man linker Hand liegen läßt. Die Ufer schroff und von einer finsteren Majestät ..."
Schroff und steil sind auch die Felsen auf der Insel Capri, die der Neidenburger im Juli/August 1853 besucht. "Das Meer war so still wie der Himmel und alles in weiter Ferne in träumerischem Duft verloren", schreibt er. "Aber Capri stand vor uns, groß und ernst, klippenstarr und fels- zackengepanzert, in der melancholischen Wildheit seiner Berge und in der Schroffheit steiler Kalkwände von roter Farbe, fürchterlich und lieblich zu gleicher Zeit ..."
"Einen ganzen Sommermonat lebte ich auf dem Eiland Capri und genoß die Fülle zaubervoller Einsamkeit des Meers", so Gregorovius. "Nun möchte ich auch diese märchenhaften Erscheinungen festhalten; aber ihre Schönheit, ihre Stille und Heimlichkeit ist mit Worten kaum zu sagen ..."
Johann Wolfgang von Goethe war es, der in den Deutschen überhaupt erst die Italiensehnsucht auslöste. Er brach 1786 zu seiner Reise in den Süden auf und blieb dort von September 1786 bis Mai 1788. Zurückgekommen veröffentlichte er seine Erlebnisse und Erinnerungen an seine "Italienische Reise" und legte so den Grundstein für Millionen von Touristen, die alljährlich das Land erobern. Auch in diesem Sommer werden wieder viele Menschen ihr Vaterland verlassen, um sich an fernen Stränden den Wind um die Nase wehen zu lassen, Neues zu erkunden, sich zu erholen - eben einfach Urlaub zu machen.
Viele werden sich eine Insel ausgewählt haben, um diese schönste Jahreszeit dort zu verbringen. Auch Goethe zog es damals auf eine Insel; er ging für einige Wochen nach Sizilien und fand später unsterbliche Verse über dieses Paradies im südlichen Meer: "Ein weißer Glanz ruht über Land und Meer/ Und duftend schwebt der Äther ohne Wolken ..."
Was ist es, das Menschen jeden Alters, jeder Herkunft immer wieder auf Inseln zieht, auf große und kleine, auf solche in südlichen Meeren oder solche im hohen Norden? Die Suche nach Grenzen, nach dem Überschaubaren? Die Suche nach Geborgenheit, nach dem eigenen Ich, zu dem man eher in der Abgeschiedenheit einer Insel findet, denn auf dem Festland, wo sich die Grenzen in die Unendlichkeit verschieben? - Eigene Insel-Erfahrungen werden plötzlich gegenwärtig von den Lofoten bis Gozo, von den Kanaren bis Zypern, von Föhr bis Anglesey, von Rhodos und Samos bis Kreta: Wie kostbare Perlen reihen sie sich an einer langen Schnur - und doch fehlen noch so viele dieser Kleinode ...
Immer wieder hat es Reisende aus allen Jahrhunderten in die Ferne gezogen, fremde Länder und Völker zu erkunden - und vielleicht auch die Insel der Glückseligen zu finden. Zu den bekanntesten - und erfolgreichsten - Reisenden des 18. Jahrhunderts gehört der in Nassenhuben bei Danzig geborene Johann Georg Forster, der als Begleiter seines Vaters Johann Reinhold an der zweiten Weltreise James Cooks teilnahm. Vor 230 Jahren stachen sie in See, um auf den Tag genau drei Jahre später wieder in England anzulanden. Dazwischen lagen viele Abenteuer und Beschwernisse, Krankheit und Tod, aber auch unvergeßliche Begegnungen mit damals noch unbekannten Ländern und Inseln wie Neuseeland, den Palmerston- und Norfolk-Inseln, der Osterinsel, den Neuen Hebriden, Tonga oder den südlichen Sandwich-Inseln. Sein Weg führte Forster auch auf eine Insel, die heute noch zu den Traumparadiesen zählt, nach Tahiti: "Nach allem, was wir auf dieser Insel gesehen und erfahren, dünkte sie uns, im ganzen genommen, einer der glücklichsten Winkel der Erde", schrieb Forster in seinen 1778-1780 veröffentlichten Berichten über die Reise um die Welt. "Dies war eine der schönsten Gegenden, die ich in meinem Leben gesehen. Kein Dichter kann sie so schön ma- len ... Die Insel sah nicht nur schon von fern sehr reizend aus, sondern je näher wir derselben kamen, desto schöner wurden auch die Prospekte, ja selbst bei jedem Spaziergang entdeckten wir neue Annehmlichkeiten. Je länger wir also blieben, je mehr wurden die Eindrücke des ersten Anblicks bestätigt ..."
Auch in späteren Jahrhunderten zog es Reisende auf ferne Inseln. A. E. Johann, der weitgereiste Schriftsteller aus Bromberg, besuchte die Philippinen: "Wenn ich am späten Nachmittag auf der großen Straße von Jakarta nach Bandung aus der schwülen Hitze der Hauptstadt wieder in die duftende Kühle meines Dorfes auf der Höhe bei Cianjur zurückkehrte und die sinkende Sonne das fruchtbare Hügelland, wo jeder Fußbreit genutzt war, in Fluten von goldenem Licht tauchte, dann erschienen mir die vielen blinkenden Spiegel der Reisäcker wie die vollendet geschliffenen Facetten eines riesigen Juwels ..."
Ins östliche Mittelmeer, genauer gesagt nach Zypern, zog es die im Kreis Treuburg geborene Graphikerin und ostdeutsche Kulturpreisträgerin Lieselotte Plangger-Popp. Mit den Augen einer Künstlerin, die auch schon Island, Irland oder Ischia besuchte, schilderte sie die prachtvolle Natur auf der geteilten Insel: "In den schattigen Abhängen leuchtete der Ginster, es blühten noch Iris und Hyazinthen, rote und gelbe Anemonen und ganz versteckt wilde Orchideen. Später windet sich der sandige Weg an der flachen Küste entlang, Bäche münden ins Meer, das unermüdlich um Klippen und Steine rauscht." Eine andere Reise führte Lieselotte Plangger-Popp auf die griechische Insel Ägina. "Besonders eine Abendstunde bleibt unvergeßlich", erinnert sie sich. "Ich war zur gegenüberliegenden Höhe hinaufgewandert. Wie ein Klein-od lag der Tempel eingebettet ins Dunkel der Pinien, sie hoch überragend. Im Süden stieg aus den Schatten der Oros, höchster Gipfel der Insel. Wie Muschelschalen lagen Täler zwischen Hügelketten und Buchten. Harzduft drang herauf, letzte Helle verglomm am Himmelsgewölbe hinter rosig umrandeten Wolkenbänken - der Untergang des Lichtes wurde entrückt im Schleier der Dämmerung. Es war ein dankbares Abschiednehmen mit dem Wunsch, noch einmal Zeit zu haben für diese Insel ..."
Kein Wunder, wenn bei einer solchen Reise, bei derartig tiefen Eindrücken der Künstler immer wieder zum Skizzenblock oder auch zum Fotoapparat greift, um diese ersten Eindrücke festzuhalten. Oft entstehen später im Atelier dann ausgefeilte Gemälde, wie etwa bei Gisela Brandes, der Westpreußin aus Stuhm, die nicht nur Sylt als Künstlerin erlebte, sondern auch die Insel Malta mit ihren beeindruckenden Zeugnissen vergangener Kulturen.
Hildegard Grube-Loy aus Warnicken lebte lange Jahre im hohen Norden Europas, in Norwegen, und hat die Natur dieses Landstrichs meisterhaft dargestellt. Besonders eindrucksvoll sind ihre Aquarelle, auf denen das Nordlicht zu sehen ist. Bei Wind und Wetter war die Ostpreußin in der freien Natur, um dieses physikalische Phänomen künstlerisch zu erfassen. So entstanden auch die Arbeiten, die eine wildzerklüftete Inselgruppe zeigen, die Lofoten. Wer sie einmal gesehen hat, wer einmal erlebte, wie die düsteren Felsen aus dem Meer emporsteigen, wird diesen Anblick kaum vergessen.
Eine Insel im Norden hatte es auch einem anderen Maler angetan. 1851 machte sich Adolph Menzel mit seinen Geschwistern auf eine einwöchige Reise nach Rügen und Stettin - natürlich bewaffnet mit einem Skizzenblock. Im nachhinein erinnert sich der Breslauer an seine Erlebnisse und schreibt an einen Freund: "Bis Ende Oktober habe ich mit Ausnahme eines achttägigen Ausflugs nach Rügen im August fast jeden Abend bis Mitternacht Modell exerzirt. Das Rügen hatte ich mir doch noch nicht so gedacht, seine prachtvollen Waldvegetationen so dicht mit dem Meer im Zusammenhang macht doch ein ganz famoses Ensemble. Auch die ersten Seekranken konnte ich auf der kurzen Überfahrt sehen, mir thats nichts, und so gabs die schönsten Dinge zu beobachten ..."
Wehmütig erinnerte sich Johann Gottfried Herder, der Mohrunger, an seinen Aufenthalt in Neapel 1789 während seiner Italienreise. Wenn er auch vom "Land, wo die Zitronen blühn" nicht so begeistert war wie Freund Goethe, so findet er doch Verse, die jeder Reiselustige nachempfinden kann: "Ja, verschwunden sind sie, sind verschwunden/ jene kurzen, jene schönen Stunden,/ Die auch ich am Pausilipp erlebt./ Holder Traum von Grotten, Felsen, Hügeln,/ Inseln und der Sonne schönen Spiegeln,/ Seen, Meer - du bist mir fortgeschwebt ..."
Gisela Brandes: Wattseite List/Sylt (Spachteltechnik, 1998)
Lieselotte Plangger-Popp: Aegina (Zeichnung, 1985/87)
Hildegard Grube-Loy: Nordlicht über mondhellem Gebirge der Lofoten (Aquarell, 199 |
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