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Nun hat auch der Zweite aus der einst siegesbewußten "Troika" die Segel gestrichen: Rudolf Scharping will auf dem nächsten SPD-Parteitag nicht mehr für ein Parteiamt kandidieren. Wir erinnern uns an das Bild von 1994 - Scharping in der Mitte, flankiert von seinen Stellvertretern Schröder und Lafontaine, siegesbewußtes breites Strahlen auf den Gesichtern, so wollten sie schon damals das "Denkmal Kohl" vom Sockel stürzen. Daraus war nichts geworden. Scharping blieb auf der Strecke, weil ihn nur ein Jahr später, auf dem berühmt-berüchtigten SPD-Parteitag von Mannheim, Lafontaine entmachtete. Schröder hatte nichts unternommen, diesen satzungswidrigen Coup (Scharping war immerhin durch Mitgliedervotum gewählt worden) zu verhindern. Gut vier Jahre ließ er Oskar das Partei-Regiment führen, machte ihn nach der gewonnenen Wahl von 1998 gar zum Finanzminister, dann floh Lafontaine im Februar 1999 von der Fahne und warf Schröder sowohl das Ministeramt wie den Parteivorsitz über Nacht vor die Füße.
Seitdem ist Schröder die unangefochtene Nummer eins der SPD. Man mag darüber rätseln, ob Scharpings Resignation nur Ausdruck des Beleidigtseins wegen der abrupten Entlassung aus dem Amt des Verteidigungsministers vor der Bundestags- wahl 2002 und der praktischen "Kaltstellung" ist, die ihm seit gut einem Jahr in der SPD widerfährt - oder ob sein Verzicht auf weitere Aktivitäten eher der gleichen resignativen Haltung entspringt, die rund hunderttausend Sozialdemokraten zum Austritt aus der SPD veranlaßt haben. Wie auch immer: Parteiaustritte (und zwar gerade seit die SPD Regierungspartei ist!), das zerbrochene traditionelle Partnerschaftsverhältnis zwischen SPD und DGB-Gewerkschaften und nicht zuletzt ihre Sorgen, in den regionalen Gliederungen und Kommunen noch aktive Mitglieder zu finden, signalisieren, daß sich die SPD in einer seit Kriegsende nicht gekannten inneren Krise befindet.
Das ist allerdings nicht neu in dieser mit 140 Jahren ältesten demokratischen deutschen Volkspartei. Sie hatte als Opposition ihren rasanten Aufstieg an der Wende vom 19. in das 20. Jahrhundert - und sie hatte immer Probleme als Regierungspartei. Das war so in den 1920er Jahren während der kurzen Zeit der Weimarer Demokratie und das war nicht anders in den vergangenen 1970/80er Jahren unter ihren starken "Zugnummern" Brandt und Schmidt. Und der Hintergrund für die inneren Querelen war immer der gleiche: Die Diskrepanz zwischen sozialdemokratischen Partei- und Wahlprogrammen auf der einen Seite und deren Einhaltung als Regierungspartei auf der anderen. In der Opposition sammelte sie Punkte und Wählerstimmen als Interessenvertreterin des "kleinen Mannes", der rechtlich und sozial "Benachteiligten", legte sich mit den "Mächtigen und Reichen" an und zeigte Mut vor Fürsten- wie Despotenthronen. Als Regierungspartei versuchte sie ehrlich zu sein, ihre Programme umzusetzen, mußte aber meist bald feststellen, daß ihre Politik die Wirtschaft lähmte, Arbeitslosigkeit folgte, dem sollte der Staat regulierend und mit öffentlichen Geldern gegensteuern, die Folge waren allgemeine Krise und zerrüttete Staatsfinanzen.
Das ist auch die Erfahrung von heute. Allein die fünf Jahre Amtszeit von Schröder reichten ja aus, die Erfolglosigkeit dieser rot-grünen Regierung zu beweisen. Und selbst wenn es stimmte, daß sie von ihrer Vorgängerin einen enormen Schuldenberg und aufgeschobene Reformruinen übernommen habe, hätten fünf Regierungsjahre gereicht, das Ruder herumzuwerfen. Tatsächlich aber hatte ja die Troika Scharping/Schröder/Lafontaine seit 1994 alle Reformvorhaben der letzten Kohl-Regierung torpediert und das wenige, was diese ohne den Bundesrat (in dem damals Rot-Grün die Mehrheit hatte) verwirklichen konnte, zu Beginn ihrer ersten Amtszeit sogar noch zurückgenommen und mit eigenen "Segnungen" angereichert. Nun steht diese Regierung vor den Sünden von zehn Jahren verhinderter Reformen, einem ausgeuferten Bundesetat, dem Ruin der gesetzlichen Sozialsysteme und ist inhaltlich ohne Konzept, wie aus der Wachstumskrise mit rund fünf Millionen Arbeitslosen herauszufinden ist.
Jetzt hat die SPD nach dem Verständnis ihrer Mitglieder und Wähler die schlimmste aller Sünden begangen, indem sie die Axt an die Besitzstände der vermeintlich Ärmsten gelegt hat, an die der Rentner. Selbstverständlich ist auch auf diesem Gebiet nicht zu bestreiten (wie auf vielen anderen), daß Reformen unausweichlich sind. Aber die Logik, den Hobel dort anzusetzen, ohne vorher das total ausgeuferte Verfahrensrecht, unsinnigste und die Entwicklung hemmende "Foltergesetze" (Stichwort Dosenpfand) und vieles, was Schröder in seiner "Agenda 2010" angesprochen hatte, zuerst oder zumindest gleichzeitig zu entrümpeln, kann er weder seinen Wählern und noch nicht einmal mehr seinen Genossen vermitteln. Ihm sind aber ganz offensichtlich die Hände gebunden, denn von den teuersten, wachstumshemmenden ideologischen Heiligtümern der grünen Vorleute wie Trittin oder Kühnast kommt er bei Strafe des Bruchs der rot-grünen Koalition nicht los.
Hier liegt auch die Zwickmühle für die Opposition. Was die Reformen in der Sozial- und Ordnungspolitik betrifft, könnten CDU und CSU vieles mit der SPD gemeinsam und wahrscheinlich auch relativ schnell regeln. Aber für die SPD dreht es sich ja eben nicht nur um die Neuordnung bestimmter praktischer Bereiche, sondern sie hat sich ja längst noch nicht von ihrer Grundauffassung gelöst, daß eine Art "Endzeitgesellschaft" mit ewig gültiger "Gerechtigkeit" herbeigezwungen werden soll. Dort findet sich von der ökologischen Seite her übrigens auch die Klammer zu den Grünen. Sie hat sich zudem trotz aller offensichtlich ihrer Ideologie wiedersprechenden Tatsachen nicht von ihrem Dünkel gelöst, der einzig "wirkliche" Sachwalter sozialer Belange zu sein. Hier ist wohl erst noch der SPD-Parteitag mit der Debatte und Verabschiedung des neuen Parteiprogramms abzuwarten. Dort wird (und muß) sich entscheiden, wohin und wie weit Schröder gehen kann und will. |
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