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Gedanken für Intellektuelle

 
     
 
Im Kongo geht das Gerücht um, der 2001 von seinen eigenen Leibwächtern ermordete Staatschef Laurent Désiré Kabila sei in Wirklichkeit dieselbe Person wie sein 1997 gestürzter und (angeblich?) gestorbener Vorgänger Mobutu. Mobutu habe nur das Land verlassen, seinen Tod vorgetäuscht und sei dann als Kabila verkleidet zurückgekommen, um sich selbst zu beerben. Ein Märchen natürlich, doch wenigstens die traditionelle Staatsform des Landes blieb unter Kabila unangetastet: Die Kleptokratie, die "Herrschaft der Gierigen und Schmierigen über die Hungernden und Lungernden".

Nur zehn Tage nach der Beseitigung Kabilas folgte ihm sein Sohn Joseph auf den Thron, Verzeihung: Präsidentenstuhl. Der erst 1971 geborene Neupolitiker hat schnell aus dem trüben Abgang des alten Herrn gelernt und zum Wohle seiner körperlichen Unversehrtheit eine "Allparteienkoalition" gezimmert. Da sitzen alle mit am Trog, und Joseph darf sich einigermaßen sicher fühlen, sogar vor seiner Palastwache.

Da nun sowieso schon alle an der Macht sind, haben sich die kongolesischen Parteipatriarchen eine heiteres Gesellschaftsspiel ausgedacht, dem sie einen international
klangvollen Namen gegeben haben: "Freie Wahlen". Die Uno ist von dieser Idee elektrisiert und will mit einer Kohorte von Beobachtern die Tribüne der gut inszenierten Vorführung bevölkern. Mit ihren "Wahlbeobachtern" will die Weltorganisation darüber hinaus ihre Unentbehrlichkeit unter Beweis stellen.

Unentbehrlich, ebenfalls weltweit, will auch die EU sein und greift daher seit Wochen beherzt nach einem Stück "Verantwortung" im Kongo, vorneweg die Bundesregierung. Warum sollen denn immer nur die Amerikaner den ganzen Spaß haben? Berlin hatte gehofft, daß die europäischen Freunde und Partner begeistert mitziehen. Angenehm überrascht hatte man den Bericht des Uno-Untergeneralsekretärs Jean-Marie Guéhenno gelesen, der einige Tage in dem Land von der Größe Westeuopas verbracht hatte und nach seiner Stipvisite zu dem Schluß kam, daß die Lage "stabil genug" sei, um Wahlen abzuhalten. Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung reichte diese Information, um ein Bundeswehrkontingent in Aussicht zu stellen. Seine europäischen Kollegen indes haben neben dem Uno-Reisebericht offenbar auch die gewöhnlichen Nachrichten verfolgt, in denen der Kongo eher als ein bewaldeter Irak erscheint denn als "stabil". Sie wollen deshalb nicht recht hin.

Von der zugeknöpften Haltung der EU-Freunde irritiert, ist eine Handvoll deutscher Verteidigungspolitiker nach Brüssel geeilt, um sich von EU-"Chefdiplomat" Javier Solana erzählen zu lassen, welche Vorbereitungen Brüssel denn schon getroffen habe hinsichtlich der Reise nach Kinshasa. Ergebnis: Null. Solana hat zwischen seinen vielen bedeutendenen Auftritten noch keine Zeit oder Lust dazu gehabt. Schon etwas zittrig von dieser Botschaft wurde schließlich in Kinshasa selbst sondiert, was die europäischen Soldaten da eigentlich genau tun sollen. Ergebnis: Siehe Solana.

Und jetzt? Abbrechen den ganzen Blödsinn? Nein, das kommt nicht in Frage, denn das hieße ja, "sich der Verantwortung zu entziehen". Also bastelt Berlin nun an einem Einsatz im Kongo, der am besten gar nicht im Kongo stattfindet und der es einem trotzdem erlaubt, "vor Ort präsent zu sein". Geht nicht? Und ob: Der Bundesverteidigungsminister erwägt, das Bundeswehrschiff "Berlin" einfach vor die Mündung des Kongo-Flusses zu verlegen. Zwar kann man später nicht sagen, man sei dabei gewesen. Aber immerhin war die Bundeswehr im Auftrag Europas immer ganz in der Nähe.

Das haben Politiker schließlich gelernt: Verantwortung zu übernehmen und gleichzeitig dafür zu sorgen, daß man auf keinen Fall selbst in den Sog des eigenhändig angerührten Schlamassels gerät. Erfahrene Bruchpiloten wissen, daß sie gar nicht fliegen können und haben den einzigen Fallschirm an Bord immer bei sich.

Diese goldene Regel gilt für die Außen- wie die Innenpolitik. So haben die deutschen Politiker seit jeher für ihre weiche Landung nach der Pensionierung gesorgt, während Animateure vom Schlage eines Norbert Blüm den besoffenen Passagieren vorgaukeln, wie weich und sicher so eine Notwasserung in der demographisch aufgepeitschten See vonstatten geht. Blüm ist bereits abgesprungen und genießt seine Altersbezüge.

Viele, die ihren Lebensabend mit prallem Portemonnaie antreten, nutzen die Gelegenheit gern, um "mal ganz was anderes" zu machen, endlich "das zu tun, wozu ich immer schon Lust, aber nie die Gelegenheit hatte". So entdeckte Sozialdemokrat Gerhard Schröder erst als Ruheständler, daß in ihm das Herz einer "kapitalistischen Heuschrecke" schlägt, und den Grünen-Senior Rezzo Schlauch haben seine lange unterdrückten Neigungen nun in den Beirat des Atomkraftwerksbetreibers EnBW getrieben. War er etwa nur bei den Grünen, um sich bei den Akw-Blockaden an den technischen Wunderwerken zu berauschen? Nein, nein, er bleibe bei seiner Ablehung der Kernenergie auch bei EnBW. Philosophen nennen das "dialektisch", soll heißen: bei jeder Sache immer auch gleich ihr Gegenteil mitdenken. Ob sie damit meinen, daß Atomkraftgegner notwendig irgendwann beim Akw-Betreiber landen wie Vegetarier eigentlich vom Job im Schlachthof träumen oder Pazifisten zuhause heimlich Uniformen sammeln, das lassen wir mal lieber offen.

Für den philosophischen Blick ist diese Frage auch gar nicht so wichtig und gehört eher zur Psychoanalyse, deren Fachleute bei der näheren Analyse des Schröder-Schlauch-Syndroms allerdings zu einem ernüchternd profanen Befund gelangen könnten: Geldgier.

Aber was heißt schon "profan"? Schon die griechischen Philosophen wußten, daß man finanziell unabhängig sein muß, um den Kopf frei zu haben für die großen Fragen des Universums. Nur wer sich nicht ständig um sein wirtschaftliches Fortkommen sorgen muß, der kann den frischen Wind von Geist und gar gehobenem Witz ungebremst wehen lassen wie Franz Müntefering, Der empfiehlt Rentenbeitragszahlern kichernd, es doch mit Balalaika oder Lotto spielen zu versuchen oder sonstwie zu sehen, wie "etwas zusammenkommt". Zum Beispiel so: In jungen Jahren in die SPD eintreten, sich von der Partei mit 35 in den Bundestag setzen lassen und von da an emsig Pensionsansprüche sammeln wie Münte. Hätte doch jeder so machen können, theoretisch. Haben die meisten aber nicht, selber schuld. Dann sollen die eben sehen, wo sie bleiben.

Geld verdienen kann man auf vielerlei Weise. Sein Land zu blamieren wird in Deutschland prächtig entlohnt. Zum europäischen Schlagerwettbewerb ("Eurovision Song Contest") darf das diesmal Olli Dittrichs Truppe "Texas Lightning" erledigen. Die "Contests" sind jene TV-Ereignisse, nach denen man sich als Deutscher wochenlang nicht ins europäische Ausland traut, weil man hinter jedem Lächeln nichts als spöttisches Grinsen erspäht ob der Peinlichkeit, mit der sich "Allemagne" einen Erdumfang weiter von seinem einstigen Ruf als "Land der Musik" enfernt hat. Die Hamburger Country-Combo singt englisch. Wir wünschten uns, sie würden plattdeutsch trällern. Nein, nicht wegen des Heimatbezugs, aber dann verstünde den Quatsch wenigstens (fast) keiner. Immerhin haben sie im Titel ihres Liedchens eine geheime Botschaft versteckt: "No, no, never" - nein, nein, niemals! Man hätte sie beim Wort nehmen sollen.

Musikalisch müssen wir Deutschen 2006 ohnedies sehr tapfer sein: Durch die Musikkanäle dudelt das Video des "Goleo-Songs" und erinnert uns aufs Schmerzlichste an die verkorkste Existenz des WM-Maskottchens "Goleo". Den hatten wir schon ganz vergessen - und es ging uns besser deswegen.

Franz Josef Jung bastelt nun an einem Kongo-Einsatz außerhalb des Kongo.

Geht nicht? Und ob!

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