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Das paßte jetzt aber gar nicht: Alle namhaften (also regelmäßig zu Talkshows eingeladenen) Intellektuellen Europas hatten die Welt für den Fall eines Bush-Siegs längst in zwei Blöcke zerteilt: Dort die dumpfen Amis, die schnurstracks zu Faschismus und Rassismus zu- rückkehren und hier wir, die Zivilisierten, die alle geschmacklichen Verschiedenheiten der Welt, vor allem die mit dem Islam, im friedlichen "Dialog" lösen. Nach der Ermordung des niederländischen Filmemacher s Theo van Gogh durch einen marokkanischen Islamisten steckt diesem "Dialog" nun eine häßliche Kugel im Kopf. Ausgerechnet jetzt.
Und das, nachdem wir unsere Herzen, Grenzen und Sozialkassen geöffnet haben für Millionen von Menschen aus dem Orient. Europa, das haben wir uns doch als die gigantischste Begegnungsstätte des Globus ausgemalt, eine riesige Kuschelecke, in der sich alle Religionen der Welt und ihre unterschiedlichsten Anhänger vorurteilsfrei begegnen und knuddeln können, ohne vom Ballast europäischer "Leitkulturen" beeinträchtigt zu werden. Ganz anders als diese martialischen Amerikaner, die jedem Neuankömmling einen Fahneneid abnötigen und sogar Patriotismus fordern.
Dieses Europa des multikulturellen Lichts, das wir dem finsteren Bushistan jenseits des Atlantik gegenüberstellen wollten, hat in Amsterdam einen empfindlichen Schlag erhalten. Nun gut, dieser van Gogh war den Fortschrittlichen unter den Holländern schon länger komisch aufgefallen. Er kannte die entscheidenden Unterschiede nicht und zog deshalb den Unbill der radikalmuslimischen Mitbürger/innen selbst auf sich. Es ist schließlich gesellschaftlicher Konsens, daß der Satz "Ich will als Moslem in Holland unter Moslems leben" ein simples Menschenrecht ausdrückt, während die Parole "Ich will als Holländer in Holland unter Holländern leben" bei den Zuwanderern berechtigte Ängste auslöst. Van Gogh wollte das partout nicht einsehen.
Rechte Provokateure sticheln jetzt herum, daß sich die muslimischen Gemeinden Hollands und Europas noch immer nicht geschlossen und vernehmlich gegen Terror und Fundamentalismus ausgesprochen hätten. Wie sollen sie denn auch - bei all den Frechheiten, die ihnen von der "Mehrheitsgesellschaft" täglich entgegengeschleudert werden? In Rotterdam pinselte ein sogenannter Künstler an seine Hauswand, die genau gegenüber einer Moschee liegt, den dreisten Kampfspruch fundamentalistischer Christen "Du sollst nicht töten", verziert noch mit einer Taube. Der Emir der Moschee fühlte sich zutiefst in seinen Gefühlen verletzt und verständigte die Polizei, die das Machwerk natürlich umgehend entfernte. Die Niederlande sind eine offene Gesellschaft - aber alles geht nun auch nicht.
Man muß die Dinge differenziert betrachten, um nicht zum Faschisten zu entarten in diesen schwierigen Zeiten. Der Anschlag auf die Zwillingstürme, die Madrider U-Bahn, auf die Schule in Bes-lan oder den dialogstörenden holländischen Filmemacher dürfen, ja können nur aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang gesehen werden. Die Unterdrückung der islamisch-arabischen Welt trägt die eigentliche Schuld an diesen Ereignissen, wir müssen halt noch viel mehr Verständnis aufbringen.
Wenn jetzt Horden von Holländern durch die Straßen ziehen und gar auf Moscheen und Koranschulen losgehen, dann ist das hingegen nicht mehr als der Ausdruck eines tiefsitzenden Rassismus, der mit Stumpf und Stil auszumerzen ist. Da soll sich niemand herausreden, daß es ja auch hier eine "Vorgeschichte" gebe. Wer Opfer und wer Täter ist, weiß in einer fortschrittlichen, aufgeklärten Gesellschaft jeder - ohne sich in Einzelheiten zu verstricken, die nur ablenken. Selbst wenn echte politische Extremisten beider Lager aufeinandertreffen, muß genau unterschieden werden. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnte jetzt daher vor einer Gewalteskalation bei den NPD-Aufmärschen. Prügelnde braune Horden, ja das hatten wir schon! Schickt die Berittene! Tja, als wenn das so einfach wäre. Laut GdP ist alles viel komplizierter. Die Nazis üben demnach nämlich gar keine direkte Gewalt aus, sondern marschieren bloß, um die Linksextremen zur Gewalt zu provozieren, und deshalb seien diese braunen Aufmärsche so gefährlich. Aha, so ist das: Die Nazi-Krakeeler üben zwar keine Gewalt aus, sind aber gerade deshalb um so gewalttätiger, weil sie die Linken, die ja eigentlich gar nicht so recht wollen, zum Zuschlagen regelrecht nötigen. Das Prinzip gilt selbstverständlich nicht allein für echte Nazis. Im Grunde genommen birgt alles, was die extreme Linke für faschistisch erklärt hat, ein enormes Gewaltpotential, weil die Antifa, sobald sie eines ihrer Feindbilder ausgemacht hat, gar nicht anders kann als loszuprügeln. Und wenn gar keine politischen Gegner da sind, dann ist da immerhin noch das "provozierende Auftreten der Polizei" selbst, das dem antifaschistischen Kämpfer keine Wahl läßt, als nach dem Stein zu greifen.
Im internationalen Maßstab lassen sich Gut und Böse noch leichter ermitteln als auf der Straße: Die Antwort auf die Frage: Wie stehen die zu den Deutschen? sagt alles. Prodeutsch ist verdächtig, eine "kritische" bis schroff ablehnende Haltung gegenüber diesem Volk dagegen deutet auf "tiefsitzende Lehren aus der Geschichte" hin, die spontan sympathisch machen. Anfang der 90er Jahre empfahl ein Radiosender einmal, deutsche Wirtschaftshilfe nicht mehr nach D-Mark, sondern nach "Schimpf" zu berechnen. Ein "Schimpf" bringt hundert Millionen aus Deutschland. Je mehr einer auf dieses Land schimpft, desto mehr kriegt er. Und es funktioniert: Die Herero waren über Jahrzehnte äußerst deutschfreundlich, weshalb die Bonner Politik sie peinlich berührt ignorierte und all ihren Segen auf die Herero-Gegner von der "Swapo" niedergehen ließ. Jetzt haben die Herero begriffen. Seitdem sie schimpfen, fließt endlich Kohle aus Berlin.
Die Niederländer müssen sich hingegen auf Ungemach gefaßt machen, auch wenn sie nie Geld aus Deutschland wollten. Nicht allein, daß ihre einst vorbildliche multikulturelle Gesinnung wegen der jüngsten Ereignisse bedenklich zu wanken beginnt. Das wäre zu verkraften. Es ist viel schlimmer: Das Bundespresseamt hat eine Umfrage in Auftrag gegeben, die in elf Ländern den Ruf der Deutschen erkunden sollte. Auf die Holländer war bei solchen Untersuchungen bislang Verlaß, doch laut dieser Befragung waren die Deutschen plötzlich nirgends beliebter als - erschrecken Sie nicht - in den Niederlanden und den USA. Mit den Amerikanern haben wir ja bereits vorsorglich gebrochen. Wird Zeit, auch unser Holland-Bild neu zu justieren.
"Zittert ruhig schneller, Genossen ... aber wir müssen da rein!"
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