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Ziemlich sicher ist: wenn es in Deutschland einen Volksentscheid über die Einführung des Euro gegeben hätte, gäbe es noch heute Ludwig Erhards gute alte D-Mark. Doch in Deutschland gibt es Volksentscheide nur auf Länder- und Kommunalebene - aber noch immer nicht auf der des Bundes.
Der eklatante Widerspruch im demokratischen Zusammenleben der Menschen in Deutschland liegt gegenwärtig darin, daß die Forderung "Mehr Demokratie wagen!" als politisch korrekt angesehen wird, die Ansprache des Denkens und Fühlens breiter Teile des Volkes jedoch mit dem Verdikt "Populismus" belegt wird, statt es durch die demokratischen Parteien ernst zu nehmen und parlamentarisch demokratische Problemlösungen zu erarbeiten. Sind doch beispielsweise die Eingliederung der Zuwanderer in die demokratische Gesellschaft und die mit "Pisa" angesprochenen Probleme nicht über Nacht hereingebrochen.
Kein Wunder also, daß 79 Prozent der befragten Deutschen meinen, daß über möglichst viele Gesetze direkt vom Volk entschieden werden solle. Kein Wunder auch, daß mehr und mehr Bürgern nur übrig bleibt, sich einfach nicht mehr an den Parteienwahlen zu beteiligen. Bei der letzten Europawahl am 13. Juni 1999 gingen 54,8 Prozent der Wahlberechtigten einfach nicht zur Wahl, die niedrigste Zahl, seit das ganze Volk zur Wahl aufgerufen wird. Viele davon sahen in dieser Wahlverweigerung die einzige Chance, ihren Verdruß über die Abschaffung der DM durch Ein- führung des Euro zum Ausdruck zu bringen. Stand doch in Deutschland praktisch nur der "Block der Euro-Parteien" zur Wahl, und eine Volksabstimmung wie bei einigen europäischen Nachbarn gab es nicht.
Jedenfalls stehen immer öfter an den Wahlabenden die Parteienvertreter mit betroffenen Gesichtern vor den Fernsehkameras und beklagen die geringe Wahlbeteiligung. Der Zusammenhang mit mangelnder direkter Volksbeteiligung bei der Bundesgesetzgebung wird von den Parteivertretern und beflissenen "Wahl-
forschern" ebenso wenig hergestellt, wie zur innovationsfeindlichen Sperrklausel, die heutzutage mit fünf Prozent viel zu hoch liegt. Braucht doch, um überhaupt ins Parlament einziehen zu dürfen, eine Partei bei einer Wahlbeteiligung von rund 80 Prozent über zwei Millionen Zweitstimmen. Die würden ihr dann allerdings gleich 35 Mandate eintragen. Eine mit rund einer Million Wählern gerade erreichte Zwei-Prozent-Klausel erbrächte immerhin 17 Mandate. Da der Schutz von Minderheiten zumindest verbal für alle Politiker ein Herzensanliegen ist, sollten entsprechende Schlußfolgerungen beim Wahlrecht schnellstens gezogen und zugleich der Weg der Volksentscheide auch auf Bundesebene beschritten werden.
Der vom Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber vorgeschlagene "Konvent zur Modernisierung Deutschlands" könnte daher nicht nur eine Weichenstellung im wirtschaftlich-sozialen Bereich, sondern auch die Spielregeln des politischen Systems bedenken. Der Föderalismus der 16 Kultusminister, der zwar eine absolut unsinnige "Rechtschreibreform" veranstaltete, aber die von der "Pisa-Studie" beschriebene Bildungskatastrophe zu verantworten hat, darf so nicht weiterwursteln.
Im letzten Augenblick dieser Legislaturperiode, und darum völlig zur Unzeit, brachte Rot-grün im Bundestag einen im Grundsatz richtigen Gesetzentwurf ein, mit dem plebiszitäre Elemente wie Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide in das Grundgesetz eingeführt werden sollten. CDU und CSU lehnten das ab, obwohl ihr Kanzlerkandidat Stoiber noch vor gar nicht langer Zeit im Zusammenhang mit der sogenannten doppelten Staatsbürgerschaft den Volksentscheid empfohlen hatte. Warum haben die Unionsparteien entgegen besseren früheren Einsichten offensichtlich kein Vertrauen zum Volk, sondern Angst vor ihm? 73 Prozent der Unionswähler treten für Volksentscheide ein. Es genügt nicht, sich Volkspartei zu nennen, man muß dem Volk auch etwas zutraue |
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