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Die Begeisterung, mit der Gabriele von Altrock vom Aufbauwerk ihres "Arbeitskreises Schlesien" erzählt, wirkt ansteckend. Auf der Jahresversammlung der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in Königsstein im Taunus spannte sie am 7. April einen Bogen von den ersten Hilfstransporten 1988 bis zu den heutigen breit gefächerten Aktivitäten.
Die kümmerlichen Lebensumstände, die Frau von Altrock im Jahre 1988 bei ihrer zweiten Reise in die alte Heimat speziell auf dem Lande beobachtete, veranlaßten sie zur tatkräftigen Unterstützung. Die Aktion "Humanitäre Hilfe für Schlesien", wie sie damals hieß, war geboren, und 114 große und kleinere Transporte mit einem Gesamtvolumen von rund 250 Tonnen erreichten bis Dezember 2000 ihre Bestimmungsorte jenseits der Neiße.
Jahr für Jahr nahm allein der Transport mehr als 40 Tage in Anspruch. Neben Lebensmitteln und Kleidern wurden auch viele deutsche "Bicher" gesammelt, die sich die Landsleute sehnlich wünschten. Später traten Nähmaschinen, Gardinen für die Räume der Deutschen Freundschaftskreise (DFKs), Computer, Musikinstrumente, Trachtenstoffe und Noten für die Chöre und Tanzgruppen usw. in den Vordergrund. In einem Lieferbuch sind alle Ladungen dokumentiert, ebenso ihre Ziele von "B" wie Breslau bis "T" wie Teschen.
Bei 53 Transporten war Frau von Altrock selbst dabei und ärgerte sich mit den ständig wechselnden polnischen Zollbestimmungen herum. Doch ein Lohn für die Mühen bei der Sammlung, Lagerung, Verpackung, Etikettierung und Verladung der erbetenen Hilfen war gewiß: die Dankbarkeit und Gastfreundschaft der "echten Schlesier", wie die Rednerin die Heimatverbliebenen nennt.
Das wichtigste für die Empfänger der IGFM-Hilfen sei das Gefühl gewesen, von Deutschland nicht ganz abgeschrieben zu sein, zumal man immer wieder das Desinteresse offizieller bundesdeutscher Stellen zu spüren bekam.
Als zweiter Pfeiler der Unterstützungsarbeit kam der kulturelle Bereich hinzu. Aus der Erkenntnis heraus, daß den verbliebenen Deutschen infolge des jahrzehntelangen Verbots der Muttersprache die Heimat entfremdet worden war, mußte eine Sicherung der Eigenart der Volksgruppe bei der Festigung bzw. Wiedergewinnung der deutschen Sprache beginnen.
Im vergangenen Jahr erteilten unter der Koordination von Gisela Lange13 ehrenamtliche Lehrer aus der Bundesrepublik Deutschunterricht an 15 verschiedenen Orten.
Neben der Belieferung mit deutschsprachigen Büchern führte die IGFM 1996 ein Projekt durch, das neun Germanistikstudentinnen aus Ratibor für fünf Wochen die Hospitation an einer Frankfurter Grundschule ermöglichte mit erstaunlich positiven Ergebnissen.
Die tägliche Beschäftigung mit diesen oberschlesischen Jugendlichen, so erinnert sich Frau von Altrock, offenbarte allerdings auch eine erschreckende Unkenntnis der Geschichte ihrer Heimat. Oft wußten sie nicht einmal die deutschen Namen ihrer Wohnorte.
Damals wurde der Anstoß zu den sogenannten "Geschichtswerkstätten" gegeben, die man wohl als Krönung der Aktivitäten bezeichnen kann. Vorstellen muß man sich diese zunächst als Heimatstuben, wobei als Ziel zweisprachige Broschüren zur Lokalgeschichte ins Auge gefaßt werden, die eines Tages in den Bibliotheken, Schul- und Kirchenbüchereien des ganzen Landes zu finden sein sollen.
Frau von Altrock stellte eine Mahnung Alexander von Humboldts über die große Aufgabe der Gründung von Geschichtswerkstätten: "Ein Volk, das keine Vergangenheit haben will, das verdient auch keine Zukunft."
So manche deutsche und polnische Jugendliche in Oberschlesien entdeckten Mitte der 90er Jahre ihr Interesse für die Lokalgeschichte früherer deutscher Zeit. Sie merkten dabei, daß ohne die Beherrschung des Deutschen kein gründliches Quellenstudium möglich ist und waren, erst recht, wenn man ihnen ideelle und materielle Hilfen gab, zu enormen Leistungen fähig. Die bisherige Verschlossenheit der älteren Generation, was die eigenen, oft bitteren Erinnerungen betraf, konnte teilweise überwunden werden. Die positivsten Ergebnisse zeigten sich in Benkowitz bei Ratibor. Aber auch in Tworkau oder in Deutsch-Krawarn im Hultschiner Ländchen tat sich eine Menge.
In Benkowitz spielte der örtliche DFK-Gründer und jetzige DFK-Bezirksvorsitzende in der Wojewodschaft Schlesien, Blasius Hanczuch, eine wesentliche Rolle beim Aufbau des am 6. November 1999 gegründeten "Oberschlesischen Zentrums für Regionalgeschichte und Minderheitenfragen".
Wie er den IGFM-Mitgliedern berichtete, konnte ein früheres Klostergebäude als Domizil für ein zweistöckiges Museum mit Seminarraum erworben werden. Ein Archiv für Zeitzeugen-Aussagen, Briefe und Fotos ist ebenso im Aufbau wie eine Bibliothek zur Geschichte Schlesiens und der Deutschen Freundschaftskreise.
In Deutsch-Krawarn hatte sich zuerst Horst Kostritza durch seine Forschungen zur Vergangenheit des bis heute von vielen Deutschen bewohnten Hultschiner Ländchens hervorgetan. In Tworkau war es das Ehepaar Rossa, das zu den Pionieren des mit 600 zahlenden Mitgliedern sehr starken örtlichen DFKs gehört. Dessen Jugendgruppe rief 1999 eine Geschichtswerkstatt ins Leben, und es gab bereits eine erste historische Ausstellung.
Einige Geschichtswerkstätten arbeiten also schon, obwohl erst ein Anfang gemacht ist und man nun auf viele Nachahmer in allen Teilen Schlesiens hofft. Das Wirken Frau von Altrocks und ihrer Mitarbeiter ist inzwischen nicht nur von den DFKs gewürdigt worden, die der rastlosen Schlesierin im Januar 2000 die Ehrennadel verliehen.
Sogar Bundespräsident Rau zeichnete die Leiterin des IGFM-Arbeitskreises aus und verlieh ihr am 7. November in Potsdam einen mit 2000 Mark dotierten Preis der Robert-Bosch-Stiftung. Bei dieser Gelegenheit betrachteten er und sein Gefolge neugierig die Schautafeln mit den Darstellungen der Geschichtswerkstätten und den alten schlesischen Karten. Vielleicht haben sie bei dieser Gelegenheit auch für sich selbst etwas in Sachen Geschichtsbewußtsein erreicht.
IGFM, Borsigallee 16, 60388 Frankfurt, Tel.: 069/420108-0, Internet: www.igfm.de |
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