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Auf der Suche der Deutschen nach nationaler Selbstvergewisserung scheint das Volk mittlerweile ein ganzes Stück weiter zu sein als die Politiker. Das war während der Fußball-Weltmeisterschaft so, als der patriotische Funken von den begeisterten Massen auf die Machthabenden übersprang, sei es aus wirklicher Begeisterung oder aus Kalkül. Und es ist ebenso der Fall bei den wichtigsten geschichts politischen Zukunftsprojekten: dem Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses sowie des Potsdamer Schlosses und der Garnisonkirche. Der "Förderverein Berliner Schloß" und der "Verein Potsdamer Stadtschloß" beziehungsweise die "Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam" sind hier eindeutig die Treibenden, deren Drängen Kommunalpolitiker wie Bundesregierung nur widerstrebend nachgeben.
Ein in der breiten Öffentlichkeit demgegenüber kaum bekanntes Prestigevorhaben zeigt, daß es auch anders geht: Im niedersächsischen Braunschweig wird derzeit das einstige Residenzschloß wiederaufgebaut, wobei sich Oberbürgermeister Gert Hoffmann und seine CDU/FDP-Stadtratsmehrheit als entscheidender Motor der Entwicklung hervortun. Der auch wirtschaftspolitisch ungewöhnlich erfolgreiche, 1946 in Berlin geborene Hoffmann amtiert seit November 2001 und wurde am 10. September dieses Jahres mit einer satten absoluten Mehrheit von 58 Prozent für weitere acht Jahre wiedergewählt. Mit der vor knapp vier Jahren auf die politische Tagesordnung gesetzten Wiederherstellung des 1960 gesprengten Schlosses hat er schon jetzt ein Denkmal politischer Tatkraft gesetzt.
Die von 1831 bis 1840 unter der Leitung des Hofbaumeisters Carl Theodor Ottmer fertiggestellte Residenz der Braunschweiger Welfenherzöge entsteht neu in Gestalt eines 200 Millionen Euro teuren Einkaufszentrums "Schloß-Arkaden". Das Schloßgebäude selbst soll neben einzelnen Geschäften unter anderem ein Museum zur Geschichte der herzoglichen Residenz, Standesamt und Stadtarchiv, Bibliotheken, eine Abteilung der Kommunalverwaltung, ein Kulturinstitut sowie einen Veranstaltungssaal beherbergen. In einem angebauten Glastrakt findet der Hauptteil des ECE-Einkaufszentrums "Schloß-Arkaden" mit insgesamt 150 Geschäften Platz.
Träger der größten laufenden Privatinvestition in Niedersachsen ist das Hamburger Unternehmen ECE. Linksgerichtete Kräfte versuchten, das Projekt im Herzen der Stadt mit fadenscheinigen Argumenten und juristischen Klagen zu verhindern. Sie knüpften damit gewissermaßen an die Zeit vor dem Abriß des von britischen Bombern beschädigten Schlosses an, als die aristokratischen Traditionen des bis November 1946 selbständig gewesenen Landes Braunschweig aus dem Stadtbild entfernt werden sollten.
Hatte man vor 1960 nur allzu gern die kurzzeitige Nutzung des Schlosses als SS-Junkerschule hervorgehoben, so war es nun die denkmalpflegerisch begründete Bemängelung des künstlichen Charakters einer "Attrappe".
Der identitätsstiftenden städtebaulichen Bedeutung des Vorhabens wird derlei Denkmalpflege-Purismus nicht gerecht. In der Bevölkerung konnte man mit solcher Miesmacherei ohnehin kaum landen, zumal mit der ergänzenden Kritik von Rot-Grün an der Abholzung von 270 Bäumen auf dem bis dato als stark vernachlässigter Drogenumschlagplatz verrufen-
en Schloßgelände die Schwelle zur Lächerlichkeit überschritten war.
Die Braunschweiger Bürger hatten im April 1960 mit einer Massendemonstration ihre Ablehnung des Schloß-Abrisses deutlich gemacht und unter anderem durch die gezielte Rettung von Figurengruppen, Pfeilern und anderen wertvolleren Bauelementen auf dem Gelände eines Kleingartenvereins eine spätere Rekonstruktion vorbereitet. Heute mutet es wie eine Ironie der Geschichte an, daß der Abrißbeschluß von 1960 vom Stadtrat ebenso mit einer Stimme Mehrheit gefällt worden ist wie die Entscheidung für den neuerlichen Bebauungsplan im Juli 2004.
Die Fassade ist bereits rekonstruiert: Jetzt wird am Einkaufszentrum gebaut. (ECE) |
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