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Im Gedankenhorizont seiner Zeit

 
     
 
Hans Rothfels (1891-1976) war einer der wirkungsmächtigsten deutschen Historiker im 20. Jahrhundert. Sein Leben und Werk paßt natürlich wenig in die heutige linksintellektuelle Welt mit ihren moralischen Schwarz-Weiß-Zeichnungen eines schlechten (oder bösen) kulturellen oder nationalen "Partikularismus" und eines rundum guten, fortschrittlichen "Universalismus" zur moralischen Ausstaffierung des Herrschaftsanspruchs der Globalisierung
.

Der Abkömmling eines assimilierten jüdischen Elternhauses hatte mit 20 Jahren die Entscheidung des Übertritts zum lutherischen Protestantismus getroffen, und Luthers Zwei-Reiche-Lehre hat sein Lebenswerk spürbar geprägt mit der Absage an das "pharisäische Selbstbewußtsein" schon der Sieger von 1918 und ihre "moralische Herabwürdigung" der Besiegten, die sich 1945 wiederholte und erneut in unseren Tagen sich mit der Political Correctness selbst entlarvt als Gesinnungsdiktatur und "Machtausübung, die sich als Aufklärung versteht" (Martin Walser).

Schon mit der Studie "Die deutsche Opposition gegen Hitler" (amerikanisch 1948, deutsch 1949) des von den Nazis als Jude in die USA Vertriebenen hatte er den Zivilisationsbruch nicht allein den Deutschen angelastet, sondern ihn universalhistorisch eingeordnet in die gesamteuropäische Kulturkrise der modernen säkularisierten Massengesellschaft, die sich selbst von ihren nährenden religiösen und kulturellen Wurzeln abgeschnitten und Selbsterlösung in den totalitären Rassen- und Klassenreligionen gesucht hatte. Rothfels sprach in seinem Buch über den deutschen Widerstand von den "dunklen Kräften" im "Bodensatz" der modernen Massenzivilisation, die nicht von jenen begriffen werden konnten, die mit "einer gewissen Robustheit des Gewissens sich ein Richteramt anmaßen, um etwa einem Volk allein alle Schuld beizumessen".

Das war der vielgescholtene "Revisionismus" avante lettre. Rothfels Verständnis der Zeitgeschichte, das wir vor 50 Jahren von ihm lernten, landete nicht in jener "Bewältigung der Vergangenheit", deren Geschichtspolitik vor allem daran gelegen ist, die eigene Gegenwart und deren "Fortschritt" zur besten aller möglichen Welten zu stilisieren und den Mächtigen des Tages und des Marktes die Schuhe zu küssen. Rothfels, dem Konservativen im totalitären Zeitalter, ging es nach dem Paradigma des 20. Juli 1944 um den Widerstand gegen die "drohende Entseelung eines mechanistischen und säkularisierten Gesellschaftsapparates", und er war deshalb gleichermaßen gegen die Verherrlichung von Nation, Rasse und Klasse wie gegen die Vergötzung von Technik und Mammon gerichtet. Rothfels war eine Befassung mit Geschichte zutiefst unverständlich, die aus einer nur "gegenwärtigen Wirklichkeitswahrnehmung" heraus urteilt, und er plädierte daher für eine unnachsichtig allseitige Geschichtsreflexion, wie sie den Jahrzehnten danach mit ihrer Verwechslung von Geschichtswissenschaft mit Geschichtspolitik so fern gerückt ist. Geschichte war ihm jedenfalls alles andere als eine "Pappelallee" auf dem Weg zum Heil, schon gar nicht zu einem irdischen, sei es der Rasse oder Klasse, sei es sozialistischer oder liberaler Observanz. Natürlich hat man seit den 90er Jahren eine solche Position leichthändig in die Nähe der Nationalsozialisten zu rücken versucht.

Es ist ein Verdienst des Buches "Hans Rothfels - Eine intellektuelle Biographie im 20. Jahrhundert" von Jan Eckel, daß es nicht in den Chor der Verurteilung von Rothfels als "Antidemokrat" (wie kürzlich noch in der Rezension des Buches in der "Zeit" behauptet) einstimmt, sondern ihn "im Erfahrungshorizont und Gedankenhaushalt seiner Zeit" (Hans-Ulrich Wehler) versteht und sein Bestreben würdigt, inmitten der Katastrophen und Diskontinuitäten des 20. Jahrhunderts in einem "affirmativen Verhältnis" zur deutschen Nationalgeschichte die Aufgabe positiver Deutung, Sinnstiftung und Traditionsbildung übernommen zu haben.

Als Angehöriger der Generation Rothfels verhehlt der Verfasser zwar nicht seine Neigung zu einer "nationalkritischen" Geschichtsbetrachtung, aber er ist besonnen genug, den deutsch-jüdischen Historiker als konservativen "Vernunftsrepublikaner" zu würdigen und als Vertreter einer Geschichtswissenschaft, für die geistige Verantwortung für das Gemeinwesen noch zentraler und selbstverständlicher Antrieb war, ohne dabei von nationalistischer Enge bestimmt zu werden.

Auch diese "intellektuelle Biographie" kann sich jedenfalls der imponierenden Einheit des Werkes von Rothfels nicht entziehen, die sich dann noch einmal in den letzten 25 Jahren seines Wirkens in Tübingen so überzeugend bestätigte. Klaus Hornung

Jan Eckel: "Hans Rothfels - Eine intellektuelle Biographie im 20. Jahrhundert", Wallstein Verlag, Göttingen 2005, 479 Seiten, 42 Euro
 
     
     
 
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