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Im Schiltal ist der Bär los

 
     
 
Der rumänischen Regierung des Ministerpräsidenten Radu Vasile steht das Wasser wieder einmal bis zum Hals. Neun Monate nach seiner Amtsübernahme muß der bürgerlich-konservative Regierungschef eingestehen, daß er genauso gescheitert ist wie sein glückloser Vorgänger Ciorbea. Bereits im November hat er mehrfach erklärt, daß er sich noch ein halbes Jahr gebe. Wenn bis dahin nicht ein grundlegender Wandel eingetreten sei, werde er zurücktreten.

Dieser Wandel ist freilich nirgends in Sicht. Das regierende Bündnis Demokratische Konvention, das sich aus der Bauernpartei (PNTCD), der Alternative Rumäniens (PAR), der Liberalen Partei (PNL) und dem Ungarnverband (RMDSZ) zusammensetzt, ist heillos zerstritten, und der sozialdemokratisch
e Koalitionspartner PD des Senatspräsidenten Petre Roman steht hohnlächelnd im Abseits.

Wenn es nicht in den ersten Monaten des neuen Jahres gelingt, dem Internationalen Währungsfonds weitere Kredite zu entlocken, dürfte der Staatsbankrott unvermeidlich sein. Die Landeswährung Leu verfällt rapide – allein seit August büßte sie ca. ein Drittel ihres Wertes ein –, und die Inflation belief sich 1998 auf noch immer beängstigende 40 Prozent (im Vorjahr waren es 157 Prozent).

Die Mitte-Rechts-Regierung hat im November 1996 von den Sozialisten Iliescu und Vacaroiu zweifellos ein sehr schweres Erbe übernommen. In der richtigen Annahme, daß eine konsequente Privatisierung der unrentabel und mit völlig veralteten Techniken produzierenden staatlichen Betriebe von der Bevölkerung große Opfer abverlangen würde, ist diese allerdings unverantwortlich lange hinausgeschoben worden. Der im Frühjahr 1996 begonnene Versuch, mit den in Ostmitteleuropa beliebten "Vouchern" auf diesem Weg voranzukommen, ist gründlich gescheitert. Die bürgerlich-sozialdemokratische Regierung hat danach mehrere Minister und verschiedene Organisationsformen verschlissen, bevor Mitte 1998 endlich die Privatisierung im großen Stil anlief.

Zu diesem Zeitpunkt konnte man sich der Erkenntnis nicht mehr verschließen, daß ein Großteil der maroden Unternehmen nicht verkäuflich ist, sondern schlicht und einfach dichtgemacht werden muß. Gegen Ende des letzten Jahres entschloß sich die Regierung deshalb, die Privatisierungsagentur FPS – eine Art rumänische "Treuhand" – anzuweisen, 49 Staatsunternehmen schnellstmöglich stillzulegen. Als in sozialer wie allgemein politischer Hinsicht besonders brisant hat sich dabei die Schließung von 39 Steinkohle-Zechen im Revier Schiltal erwiesen.

Das siebenbürgische Schiltal (rumän.: Jiul) liegt in den südlichen Karpaten, im Einzugsbereich der Großstadt Petroschan (Petrosani) und dicht an der Grenze zur Walachei. Da es von dort aus aber auch nicht weit zum Siedlungsgebiet der Siebenbürger Sachsen und städtischen Zentren wie Mühlbach, Karlsburg oder Hermannstadt ist, haben früher auch viele Sachsen im rumänisch geprägten Schiltal Arbeit im Bergbau gefunden.

Bereits in sozialistischen Zeiten hatten die Diktatoren Gheorghiu-Dej und Ceausescu mit den "rabiaten" Kumpeln ihre liebe Not. Wiederholt ist es zu blutigen Auseinandersetzungen gekommen. Nach der rumänischen Revolution vom Dezember 1989 kam es zwei Jahre später erneut zu Krawallen. Angeführt von dem selbstherrlichen Gewerkschaftsführer Miron Cozma stürmten die Kumpels mit Hacken und Knüppeln Bukarest – vorgeblich um die Demokratie zu verteidigen – und stürzten das kurzlebige Kabinett Roman.

Die rumänische Justiz, die sich mit der Aufarbeitung der Ereignisse vom Dezember 1989 nach wie vor schwer tut, legte an die Bestrafung der Verantwortlichen der Bergarbeiter-Revolte von 1991 offenbar härtere Maßstäbe an. Cozma wurde festgenommen und wegen Landfriedensbruchs zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Im Herbst 1998 kam er nach anderthalb Jahren auf Bewährung frei. Jetzt steht Miron Cozma wieder an der Spitze der Kumpel, die die Regierung zwingen wollen, auf die Schließung der Bergwerke im Schil-tal zu verzichten.

Allerdings haben sich die Zeiten grundlegend geändert. War in der kommunistischen Ära die Steinkohle für die überstürzte Industrialisierung des Landes noch unentbehrlich, so ist heute deren unrentable Förderung eine der Ursachen für den drohenden Staatsbankrott. Die Privatisierungsagentur subventioniert jede Tonne Kohle umgerechnet mit etwa zehn Mark. Doch große Mengen der im eigenen Land geförderten Steinkohle werden nicht mehr gebraucht, denn auch der Strombedarf ist in Rumänien nach dem Zusammenbruch vieler energieintensiver Großbetriebe stark zurückgegangen.

Nun sollen die Schiltal-Kumpel in sozialer Hinsicht jedoch keineswegs ins Bodenlose stürzen. Die Regierung will hohe Abfindungen zahlen und hofft, daß sich die Bergleute eine neue Erwerbsquelle suchen. Die Erfahrungen der Vergangenheit sind freilich nicht allzu ermutigend. Bereits früher hat es Entlassungen gegeben. Die Betroffenen haben das ihnen zur Überbrückung gegebene Geld verbraucht, ohne irgendwie zu investieren oder sonst zu neuen Ufern aufzubrechen (was hätten sie in diesem krisengeschüttelten Land auch anfangen sollen?). Als das Geld dann alle war, forderten sie, die an sich verwirkte Arbeitslosenunterstützung wieder aufzunehmen. In diesem Falle ist die Regierung allerdings hart geblieben.

Das will sie auch diesmal wieder. Eigentlich kommt ihr jeder Streiktag nur gelegen, denn so spart sie Geld. Daß derzeit gleich 100 000 Kumpel im ganzen Schiltal im Ausstand sein sollen, kann sie kaum erschüttern. Vor dem umtriebigen Gewerkschaftsführer Cozma hat Ministerpräsident Radu Vasile jedenfalls keine Angst. Griffe dieser zur Gewalt, würde er sofort wieder eingesperrt.

Die Position der Regierung ist klar, auch wenn zur Zeit Verhandlungen mit Stellvertretern Cozmas geführt werden: Für weitere Subventionen ist kein Geld da, oder anders ausgedrückt: derartige Ausgaben kommen wirtschaftlich wie politisch nicht in Frage. Nur: Die Entscheidungen aus Bukarest treffen Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben. Ihr Aufruhr könnte die von der äußersten Linken wie der Rechten in Rumänien seit langem geforderten Neuwahlen sehr schnell herbeiführen.

 
     
     
 
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