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Kreisvertreter besuchte die Bürgermeister von Fischhausen Pillau und Rauschen

 
     
 
Genau zwei Monate ist es nun her, daß wir uns in Rauschen trafen. Wir, das sind zehn Personen aus allen Teilen der Bundesrepublik Deutschland, die auf eigene Faust angereist waren, um nun gemeinsam eine Woche lang vor Ort ein aktuelles Bild von der Lage im nördlichen Ostdeutschland zu gewinnen. Die Gruppe war ebenso harmonisch
wie bunt. So gehörte der ehemalige Dissener Stadtdirektor Wilfried Meyer ebenso dazu wie Martina Mettner, die an der Universität Oldenburg eine mit "sehr gut" bewertete Magisterarbeit über die "verbandspolitische Rolle der Schriften der Freundeskreis Ostdeutschland zur Geschichte des Samlandes" geschrieben hat, um nur zwei der zehn zu nennen. Da trotz dieser Buntheit durch die Bank an der Situation auf kommunaler Ebene ein besonderes Interesse bestand, hatte ich dafür gesorgt, daß wir während der Woche mit insgesamt drei Bürgermeistern sprachen.

Bereits am ersten gemeinsamen Tag, dem Sonntag, hatten wir einen Termin beim Bürgermeister Rauschens, Alexejev Waleri Leonidowitsch. Sehr freundschaftlich und offen haben wir mit ihm die Probleme seines Ortes diskutiert. Einen Schwerpunkt bildete dabei die Förderung des Tourismus. So sollen beispielsweise die Erholungszone vergrößert sowie zusätzliche Hotels und Restaurants gebaut werden. Die Treppe zur Sonnenuhr und die Straßenbeleuchtung sind bereits verbessert worden. Des weiteren sollen die Schmutzeinleitungen in die Ostsee minimiert und Kohle als Heizmaterial durch Gas ersetzt werden.

Das anschließende Mittagessen wurde in dem mitten in Königsberg gelegenen Restaurant "Olskyn" eingenommen, wobei uns der Lehrstuhlinhaber für deutsche Philologie an der Albertina, Prof. Iwan Koptzev, der ebenfalls an der Königsberger Universität als Wissenschaftler tätige Wirtschaftsökologe Andrej Levchenkov und die charmante Chorleiterin der Königsberger Musik- schule Tamara Maximowa Gesellschaft leisteten.

Am Nachmittag haben wir eine Stadtrundfahrt durch die Pregelmetropole unternommen, die uns an den Wallanlagen, dem Dom, dem Lasch-Bunker, der Universität, dem Kant-Denkmal, dem Königstor und dem Gemeindezentrum der evangelischen Gemeinde vorbeiführte. Außerdem besuchten wir das Gebietskrankenhaus, das frühere Krankenhaus Barmherzigkeit, wo meine Großmutter 1946 verhungert ist, um am Gedenkstein Blumen niederzulegen.

Auf dem Rückweg nach Rauschen legten wir auf dem Rittergut Quanditten, das dem Forstmeister Ulner gehört hatte, eine Rast ein, wobei uns dessen Nichte, die mit uns gereist war, stilecht zum Wodka einlud und uns mit den Örtlichkeiten vertraut machte.

Der Montag galt der Fahrt auf die Kurische Nehrung. Wir haben uns zunächst die Kirchenruine in Pobethen angesehen und dann den Wasserturm beziehungsweise dessen Ruine in Cranz. Der Pate der Kreisgemeinschaft Fischhausen, der schleswig-holsteinische Kreis Pinneberg, prüft derzeit, ob er Mittel zur Verfügung stellen kann, um den Turm zu reparieren. Wir sind dann weitergefahren auf die Nehrung, die einen sehr gepflegten Eindruck machte. Hier muß man den Russen wirklich bescheinigen, wie auch den Litauern, daß sie sehr viel für den Naturschutz tun. In der Vogelwarte wurden wir von Prof. Leonid Sokolov empfangen. Er zeigte uns, wie die Ornithologen arbeiten. Es ist bedauerlich, daß der Staat hier keine finanzielle Unterstützung leistet und die Ornithologen so weitgehend auf sich selbst gestellt läßt. Ein Lob gilt hier Prof. Heinz Sielmann, der die Vogelwarte finanziell und ideell unterstützt. Permanent wird zu Spenden für die Warte aufgerufen.

Nach einem phantastischen Picknick im Wald der Nehrung haben wir die Rossittener Kirche besichtigt und sind dann über die hohe Düne nach Nidden gewandert. Dieser nun litauisch verwaltete Ort macht einen ganz besonders gepflegten und einladenden Eindruck. Hier könnte auch der verwöhnteste Westeuropäer Urlaub machen und sich dabei bestens erholen. Nach einem Bummel durch den Ort darf ein Besuch des Thomas-Mann-Hauses nicht fehlen. Nachdem alles besichtigt war und wir mit Wonne und Genuß in der Ostsee gebadet hatten, ging es nolens volens zurück. Abends wurden wir dann durch Rauschen geführt und konnten dabei einmal mehr feststellen, daß sich dieses Ostseebad von Jahr zu Jahr zum Besseren weiterentwickelt. Auch Rauschen ist heute ein Ort, dem man jedem Touristen, der etwas Neues und Schönes sehen will, von Herzen empfehlen kann.

Dienstag sind wir auf große Ostdeutschlandfahrt gegangen. Besonders beeindruckt hat uns ein Heimatmuseum in Tapiau, dem Geburtsort von Lovis Corinth. Unsere Dolmetscherin und Begleiterin Anna leitet hier ein kleines Museum, in dem sie eindrucksvoll und liebevoll auf die deutschen Spuren in diesem Ort hinweist. Das hat uns sehr gefallen und ist uns auch unter die Haut gegangen.

Untergebracht ist das kleine Museum in einem Jugendzentrum, das uns kaum weniger beeindruckte. Im Gegensatz zu den teilweise verwahrlosten bundesdeutschen Einrichtungen dieser Art war es sehr sauber, aufgeräumt sowie konstruktiv und produktiv. Wir haben gesehen, was gewebt, gemalt und gebastelt worden ist. Und wir haben erlebt, wie man hier Theater spielt und musiziert. Hier konnte man feststellen, wie gut und ordentlich Jugendzentren geführt werden können, ein Vorbild für Jugend- zentren in der Bundesrepublik Deutschland.

Auch das gleichfalls besichtigte Gestüt Georgenburg hat uns nicht unbeeindruckt gelassen. Dort stehen gegenwärtig 300 Pferde, und es wird gewaltig gebaut. Auf meine Frage, wer finanziell dahinter stehe, wurde uns gesagt, eine GmbH, die von zwei Russen aus Königsberg und einem Bundesbürger geleitet werde.

Über Insterburg sind wir weiter nach Gumbinnen gefahren und haben in der seit 1995 bestehenden Salzburger Kirche einen Kurzvortrag über das Leben der dortigen Kirchengemeinde gehört. Auch hier waren wir beeindruckt, mit welch wenigen und ärmlichen Mitteln aktives Kirchenleben stattfindet. Obwohl die Gemeinde nur 65 Mitglieder hat, gibt es eine sogenannte Brigade von sechs Frauen, die fast jeden Tag ehrenamtlich zur Familienpflege hinausfährt. Im neben der Kirche liegenden Diakoniezentrum wird jeden Tag für rund 70 Kinder Essen bereitet. Insgesamt hat die Ostregion zwölf Gemeinden mit 360 Familien.

In Trakehnen, wo wir keine Pferde mehr vorgefunden haben, sind wir in einem netten, zwar kleinen, aber informativen Museum gelandet, wo uns ein Film über das alte Trakehnen vorgeführt wurde. Anschließend ging es über Ragnit, Tilsit und Großbaum nach Rauschen zurück.

Am Mittwoch fuhren wir zunächst nach Germau bei Palmnicken, wo als erstes das Kreuz, das die Kreisgemeinschaft Fischhausen mit der Ortsgemeinschaft Germau am 23. Juni 1993 eingeweiht hatte, aufgesucht wurde, um dort Blumen niederzulegen. Die vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge daneben errichtete Anlage befindet sich in einem erfreulich gepflegten Zustand. Am Taufbecken der Kirchenruine sangen anschließend fünf Mu- sikleher aus Palmnicken russische und deutsche Lieder für uns. Da mit Margarethe Liederley vom Rittergut Nodems ein Mitglied unserer Gruppe hier getauft worden ist, war es sehr ergreifend und bewegend.

Weiter ging es nach Fischhausen, unsere alte Kreisstadt. Hier wartete bereits der neue Bürgermeister Alexander Ponomarjow mit einer Empfangsdelegation auf uns. Wir wurden sehr herzlich begrüßt und zu einem großzügigen Essen eingeladen. Bei einem beziehungsweise mehreren Wodkas kam es schnell zur Verbrüderung zwischen uns, und ich habe ihn zum diesjährigen Kreistreffen nach Pinneberg eingeladen. Die Leiterin des Fischhausener Museums, Margarethe, hat uns durch ihre Einrichtung geführt, und auch hier waren wir beeindruckt, mit welcher Akribie und welcher Liebe hier ein Museum aufgebaut wird, das auf die deutschen Spuren in Fischhausen eindeutig hinweist.

Nach Germau und Fischhausen war Palmnicken das letzte Ziel dieses Tagestour. Hier wurden wir von dessem ehemaligen Direktor Alfred Schlosser durch das Bernsteinwerk geführt. Die Gewinnung im Tagebau wurde uns dabei ebenso gezeigt wie die Weiterverarbeitung und das Museum mit seinen Exponaten aus dem Gold der Ostsee.

Am Donnerstag ging es per Schiff von Königsberg nach Pillau. Auf der Fahrt hatten wir nichts auszustehen. Wir hatten ein sehr geräumiges Schiff für uns allein, und während der Fahrt gab es natürlich Sekt, Kaviar und ein gutes Mittagessen. Am Kai in Pillau empfing uns mein Freund Alexander Kusnetzov, der Bürgermeister der Hafenstadt. Im Rathaus wurden wir anschließend von seinem für Stadtentwicklung zuständigen Mitarbeiter über den Entwicklungsplan für die Stadt informiert. Die größte Überraschung, die er für uns bereit hielt, war die Mitteilung, daß bereits ab kommendem Jahr Passagierschiffe in Pillau anlegen können sollen. Zur Förderung der Wirtschaft soll die Stadt einen Containerhafen erhalten.

Sehr interessant war auch der Vortrag von Elena Korogoskaja, der Leiterin des 700 Schüler zählenden Lyzeums I. Wenn einem hier Schulen gezeigt werden, hat man immer wieder den Eindruck, daß bei den Russen im Vergleich zur Bundesrepublik zwar die Klassen mehr Schüler haben und die Bausubstanz der Gebäude von wesentlich schlechterer Qualität ist, daß aber das Schulleben disziplinierter vonstatten geht und mehr Wissen vermittelt wird.

Neben dem Militärmuseum gibt es in Pillau auch ein Museum für die deutsche Geschichte. Beide Museen werden von Kapitän z. S. Sergey Jakimov geleitet, mit dem ich seit vielen Jahren befreundet bin. Er zeigte uns mit sehr viel Engagement seine Museen und bedankte sich ganz offenherzig für die große Unterstützung, die die Kreisgemeinschaft Fischhausen bei der Ausgestaltung seiner Museen leistet. In diesem Zusammenhang wies er darauf hin, daß sich eine seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen sechs Wochen zu einem Deutsch-Intensivkurs in der Bundesrepublik aufhielt, alles durch die Kreisgemeinschaft Fischhausen organisiert. Anschließend haben wir im Museum eine Kerze angezündet und der Toten beider Nationen gedacht, auch dieses eine sehr bewegende Zeremonie. Wie Bürgermeister Ponomarjow kommt übrigens auch Kapitän Jakimov zu unserem diesjährigen Kreistreffen. Des weiteren will er in der Bundesrepublik über Pillau forschen.

Nachdem wir die Stadt besichtigt und die am 20. August 2000 eingeweihte Gedenkstätte besucht hatten fuhren wir über Tenkitten, wo wir das dortige Kreuz aufsuchten, und Kumehnen, wo wir die Kirchenruine besichtigten, zurück nach Rauschen.

Am Freitag besuchten wir in Kraam den Kindergarten "Sonnenschein". Hier betreut und versorgt die Leiterin Pister mit viel Liebe und Engagement etwa 80 Kinder, Jugendliche und Heranwachsende im Alter von fünf bis 20 Jahren. Auch hier beeindruckte es uns wieder, wie sauber und gepflegt es trotz der Armut und der Einfachheit der Räumlichkeiten zugeht. Die vom Dissener Bürger Günter Freker finanzierten Lampen sind inzwischen angebracht. Die Menschen, die hier arbeiten und die Kinder betreuen, bekommen im Verhältnis zu den Löhnen für vergleichbare Tätigkeiten in der Bundesrepublik einen Hungerlohn.

Am Abend hieß es bei Königsberger Klopsen mit Roter Beete Abschied nehmen, denn am nächsten Tag ging es zurück Richtung Westen. Noch lange saßen wir an diesem Abend mit Pillaus Bürgermeister Alexander Kusnetzov und anderen russischen Freunden in lustiger und freundschaftlicher Atmosphäre zusammen. Louis-Ferdinand Schwarz

Louis-Ferdinand Schwarz (rechts) mit Alexander Ponomarjow: Der Kreisvertreter von Fischhausen mit dem Bürgermeister der gleichnamigen Kreisstadt
 
     
     
 
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