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Liebe zur Natur

 
     
 
Das Licht der Welt erblickte mein Vater am 7. September 1902 in Königsberg. Obwohl Stadtkind, faszinierte ihn das Leben auf dem Rittergut Adlig Wertheim im Landkreis Gumbinnen bei Sodehnen, wo er in den großen Sommerferien oft bei Großvater und Cousins zu Gast war. Möglich, daß in dieser Zeit bereits die innige Liebe zur Natur und ihrer Schönheit geboren wurde, die meinen Vater ein Leben lang nicht losließ. Seine Mutter Olga Pluquet beschäftigte sich mit Porzellanmalerei
, wobei sie ihre Werke gern mit Blumen und Gräsern schmückte. Aus der Familie ging ein bekannter Grafiker und Maler Hans Pluquet hervor, so daß man annehmen kann, daß die künstlerische Begabung, die meinen Vater auszeichnete, aus diesem Hugenotten-Erbe hervorging.

Das Abitur bestand mein Vater 1922 an der Hindenburg-Oberrealschule. Danach arbeitete er ein halbes Jahr lang als Volontär in der Union Gießerei und studierte dann zwei Semester Maschinenbau an der technischen Hochschule Danzig-Langfuhr. Nach anderthalb Jahren Arbeit bei der Firma Todtenhöfer erhielt er den Gesellenbrief im Maschinenbau mit der Note "gut". 1925 entschloß er sich zum Studium der Zahnmedizin an der Albertus-Universität und bestand 1928 das Physikum mit "gut". 1930 im elften Semester meldete er sich zum Staatsexamen, aber es sollte anders kommen als geplant; bei einem Wochenendurlaub an der so geliebten Kurischen Nehrung schlief er in der brütend heißen Sonne ein und holte sich eine schwere Meningitis. Nur seiner starken Natur war es zu verdanken, daß er überlebte. Viele Tage lag er mit 41 Grad Fieber im Krankenhaus. Danach mußte er mühsam wieder lesen, schreiben und Bilder erkennen lernen. An eine Wiederaufnahme des Studiums war zu diesem Zeitpunkt gar nicht zu denken. So erlernte er im Fotoatelier Wohnsdorf 1931 bis 1934 das Fotografenhandwerk.

Später arbeitete er im technischen Büro der Waggonfabrik Steinfurt bis 1937, danach als Flugzeugmonteur bei der Luftwaffe, Luftgau- Kommando 1, Abteilung Flugzeugführerschule Königsberg, Dessau und Seerappen bis 1939, wobei er zuletzt eine Montageabteilung leitete. In den nachfolgenden Jahren bis Juni 1942 arbeitete er als technischer Angestellter im Hoch- und Tiefbaufach beim Luftgau-Kommando 1, sowohl auf den verschiedensten Flugplätzen und Großbaustellen wie Königsberg-Seerappen, Gutenfeld, Dommelken, als auch in der Entwurfs- und Planungsabteilung des Luftwaffenkommandos in Königsberg-Maraunenhof. In diese Zeit fiel auch das Abendstudium im Hochbau an der Staatlichen Hoch- und Tiefbauschule in Königsberg.

Wann immer ihm seine Arbeit Zeit ließ, ging mein Vater auf die "Jagd", um mit der Kamera die Schönheit der herrlichen ostdeutschen Landschaft einzufangen. Die Kurische Nehrung und samländische Bernsteinküste waren seine liebsten Jagdgründe. Geduldig wartete er die langen Abendschatten von Strandhafer und Huflattich ab, belauschte die Natur, wo sie am eindrucksvollsten war, ging hinaus an den Strand, wenn nach einem Gewitter gewaltige Brecher an Land schlugen und die imposanten Wolken Strand und Wasser abwechselnd in Hell oder Dunkel tauchten. Er hatte die Begabung, die Landschaft mit den Augen eines Malers zu sehen, und tatsächlich entstanden von seiner Hand einige bemerkenswerte Ölgemälde, aber auch Aquarelle.

In dieser sorgenfreien Zeit lernte mein Vater auf einem Faschingsball meine Mutter kennen, Meta Endruhn, die als Tochter einer Kriegerwitwe eine beachtenswerte Stellung als Filialleiterin der Barmer Ersatzkasse innehatte.

1937 heirateten meine Eltern, 1941 wurde ich geboren.

Der Krieg durchkreuzte im Juni 1942 alle hoffnungsvollen Zu-kunftspläne der jungen Familie. Im Juni 1942 wurde mein Vater als Soldat der Luftwaffe dem Fliegerhorst Neukuhren (Samland) überstellt, und nach sechswöchiger Grundausbildung wurde er zum Leiter der dortigen Luftwaffen-Bildstelle befördert. Nach verschiedenen Einsätzen als Luftbildfachmann bei den Luftwaffenbildstellen in Bromberg, Königsberg, Lesczia (Polen), Hildesheim, Berlin und Kaiserslautern kam er als Panzergrenadier und 1. MG-Schütze in den Endkampfeinsatz an die Westfront und verlor während nächtlicher Kämpfe gegen die Amerikaner in Hatten bei Weißenburg/Elsaß den linken Arm.

Im Westerwald, wo mein Onkel eine Mühle besaß, traf im August 1945 mein Vater mit uns, die wir aus Königsberg geflüchtet waren, zusammen. Die Kamera, die meine Mutter neben etwas Tischwäsche, Tafelsilber, etwa 300 ostdeutschen Negativen und meinem Teddybären aus Königsberg gerettet hatte, überstand die Plünderung durch amerikanische Soldaten und ermöglichte später meinem Vater, eine kleine Existenz aufzubauen. Nach der Währungsreform 1948 eröffnete er als selbständig arbeitender Berufsfotograf ein Fotoatelier. Die Küche diente unter anderem als Dunkelkammer. Mit dem Vertrieb der begehrten Heimatfotos (eines davon wurden 1950 auf der Photokina in Köln prämiert), die er bis 30 x 40 selbst vergrößerte und entwickelte, mit Paßfoto-Aktionen, Karnevalsbildern und Aufnahmen anläßlich von Familienfeiern, hielt er uns mühsam über Wasser. Die Schwerbeschädigtenrente betrug damals 160 DM. In dieser Zeit entstanden schöne Fotos der Westerwald-Landschaft, die jedoch nicht zu vergleichen sind mit den grandiosen Landschaftsfotos Ostdeutschlands.

1959 gelang es endlich, in Frankfurt bei Voigt + Haeffner eine Anstellung zu erhalten. Später wechselte er zum Gerling-Konzern, wo er bis zu seiner Pensionierung beschäftigt blieb. 1971 verließ meine liebe Mutter uns auf immer. Stets hatte sie aufopfernd meinem Vater die linke Hand ersetzt. Es ist schwer vorstellbar, was ein Mensch, der in dieser Weise "Handlanger" spielt, leisten muß.

1977 heiratete mein Vater die ebenso geduldige, selbstlose Victoria Ortwein, die meinen 1972 geborenen Kindern die fehlende Oma ersetzte, so gut sie konnte. Als sie 1985 verstarb, lebte mein Vater noch drei Jahre alleine in seiner Wohnung, dann aber mußte er - auch wegen der Hüftgelenksarthrose, die vielleicht auf Verwundungen durch Granatsplitter zurückzuführen war - in ein Altersheim. Dort galt er als "Aushängeschild" für Besucher, denn er blieb bis zu seinem Tode im 89. Lebensjahr geistig beweglich und interessiert.

Viele Jahrzehnte waren die historischen Fotos meines Vaters nicht mehr zu erwerben, da er etwa 1959 sein Heimlabor aufgab. Heute sind sie wieder erhältlich, und einige der schönsten Motive hat mein Mann mit viel Liebe und Akribie aufgearbeitet und ins Internet gestellt. Der an Ostdeutschland Interessierte findet sie unter www.bbean.de/opp. Brigitte Bean-Keiffenhei
 
     
     
 
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