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Vom Reichskanzler Schwedens zur Zeit König Gustaf Adolfs (Axel Ochsenstierna), als das Land noch eine Großmacht war und seine Truppen quer durch Deutschland bis zu den Alpen und zum Bodensee vordringen konnten, wird folgende Geschichte erzählt. Der Kanzler wollte seinem Sohn einen politischen Posten geben, der meinte jedoch, er sei dazu noch viel zu jung und unerfahren, worauf der Vater sagte: "Mein Sohn, du glaubst nicht, mit wieviel Dummheit die Welt regiert wird."
An diese Story, ob wahr oder gut erfunden, wird man erinnert, wenn man die derzeitige Regierung in Berlin agieren sieht. Vor viereinhalb Jahren war sie mit stolzgeschwellter Brust angetreten: "Wir, die Neue Mitte , werden zwar nicht alles anders, aber vieles besser machen!" Inzwischen wissen wir: das ist die schlechteste Bundesregierung seit 1949. Darüber hat sie lange hinwegzutäuschen verstanden durch das rhetorische Geschick ihrer Spitzenmänner im Fernseh-Zeitalter.
Da sind nicht nur die fast täglich produzierten handwerklichen Fehler, unausgegorenen Konzepte, Zickzack-Kurs und Kommunikationspannen. Die eigentlichen Ursachen liegen tiefer, nämlich in der mangelnden historisch-politischen und auch moralischen Ausstattung dieser Leute aus der achtundsechziger Generation. Sie wollten damals, vor 35 Jahren, als die verwöhnten Kinder Wirtschaftswunder-Deutschlands die Welt und unser Land neu erfinden in der Meinung, dieser Wohlstand und die westdeutsche Schönwetter-Gesellschaft seien für alle Ewigkeit gebaut. Sie fühlten sich berufen, in einer "wahren Demokratie" des Sozialismus-Kommunismus zu vollenden. Das sollte dann auch in der internationalen Politik zum ewigen Frieden führen, seien doch Demokratie und Sozialismus "wesensmäßig" dem Frieden zugetan und allein der Kapitalismus dem Krieg und der "strukturellen Gewalt". Das war zwar von Anfang an mehr Marx als etwa Immanuel Kant, den man ohnedies eher vom Klappentext als aus vertiefter Bildung kannte, für die die Zeit nicht reichte, wenn man ab 15 für die Karriere strampelte - aber für die moralischen Parolen dieser Generation reichte es ja.
Dann kam der große Umbruch in Europa von 1989/91, den diese Generation ja nie gewollt hatte, und er führte nicht zum Ende der Geschichte, wie selbst Liberale wie Francis Fukuyama meinten. Sie trat nur in eine neue Epoche ein, mit erhöhter Geschwindigkeit und mit vielfach vermehrten Gefahren. Die Jahrzehnte des großen Wachstums und Wohlstands in der atlantisch-europäischen Welt sind zu Ende gegangen, und alle Zeichen deuten darauf hin, daß das 21. Jahrhundert im Zeichen des "Zusammenstoßes der Kulturen", des "Clash of Civilizations" stehen wird, den der Harvard-Professor Samuel Huntington vor genau zehn Jahren in "Foreign Affairs" prognostiziert hatte, belächelt oder beschimpft von der arrogant moralisierenden Linken in aller Welt.
Man mag es drehen und wenden", wie man will: Die Konturen des 21. Jahrhunderts zeichnen sich heute deutlich ab; hier die atlantisch-europäische Welt (mit Vorposten wie Australien und Neuseeland), dort das aufstrebende Asien mit den Milliarden Menschen Chinas und der islamischen Welt von Marokko am Atlantik bis Zentralasien und Indonesien. Hier der reiche "We-sten", der die Schätze der Welt noch immer vor allem für sich allein beansprucht, aber bequem geworden ist und demographisch schrumpft, dort die Milliarden Asiens und Nordafrikas, die immer ungestümer ihren Anteil am Weltreichtum beanspruchen; dazwischen als derzeit weiße Flecken vor allem das aidsgeplagte Afrika, vom Islam als leichte und lohnende Beute betrachtet, und Rußland zwischen Europa und Asien. Noch ist der Westen ökonomisch und finanziell, technologisch und militärisch haushoch überlegen. Aber "Asien" setzt im Blick auf die Menschenzahlen langfristig auf Sieg, ist es doch auch gerade durch die Einwanderung in Europa im Vormarsch - ein Vorgang, der von den Linken in historisch-politischer Umnachtung als multikulturelle Bereicherung beklatscht wird.
Das derzeitige Thema Irak ist ein symptomatisches und derzeit von allen Scheinwerfern beleuchtetes Teilstück dieses globalen Szenarios. Und eben an diesem Punkt offenbaren die in Berlin regierenden deutschen Achtundsechziger ihre enorme historisch-politische Unterbe- lichtung. Hatten sie schon vor drei Jahren mit ihrer Proklamation des "Aufstands der Anständigen gegen Rechts" von den wirklichen Problemen unseres Landes abzulenken versucht, so rufen sie nun den Aufstand der Anständigen und Friedenswilligen aus, auch auf die Gefahr hin, daß das westliche Bündnis und die damit verbundene deutsche Politik der letzten 50 Jahre dadurch in Trümmer gehen kann. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung urteilte Berthold Kohler: "Es spricht einiges dafür, daß die Dekonstruktion des Ansehens und des Einflusses, die Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges erwarb, nicht allein einem Wahlkampfkalkül geschuldet sein kann. Die Zerstörungsenergie, die in Berlin freigesetzt wird, ist kaum ohne ideologische Quellen denkbar."
In dieser professionell schlechten Politik mischen sich Elemente, die uns aus der deutschen Geschichte des letzten Jahrhunderts recht vertraut vorkommen: ein "Wilhelminis-mus", der sich mit naßforschen Tönen in der Welt isoliert und Mißtrauen erweckt; eine eigentümliche Art von Politik mit dem moralischen Zeigefinger als Markenzeichen gerade auch der deutschen Achtundsechziger (Klaus Hartung), deren Fehler uns schon der deutschfreundliche frühere Präsident Estlands, Lennart Meri, ins Stammbuch schrieb: "Wenn man die Moral zur Schau stellt, riskiert man, nicht ernst genommen zu werden. Man kann einem Volk nicht trauen, das rund um die Uhr eine intellektuelle Selbstverachtung praktiziert."
Und nicht zuletzt treffen wir hier auf ein exemplarisches Beispiel für den großen deutschen Schwenk von der "Machtversessenheit" früherer Zeiten zur "Machtvergessenheit" (Hans-Peter Schwarz) eines Staates, der Politik am liebsten reduzieren möchte auf den Binnenbereich, auf Wirtschaft und Umverteilung, und den Außenaspekten, den internationalen Rahmenbedingungen des Gemeinwesens am liebsten aus dem Weg geht oder sie in internationalistischen Phrasen ertränkt, getreu einer Formel des SPD-Altvorderen Wilhelm Liebknecht um 1870: "Die beste Außenpolitik ist gar keine."
Der griechische Historiker Thukydides hat in seiner Geschichte des Peloponnesischen Krieges die These geprägt: "Recht und Gerechtigkeit bestehen nur zwischen Gleichstarken. Sonst machen die Starken, was sie wollen, und die Schwachen erleiden, was sie müssen." Die Aktualität dieser Erkenntnis im Blick auf die desaströse Außen- und Sicherheitspolitik der derzeitigen deutschen Regierung ist deutlich genug. Statt die Bundeswehr und alle unsere militärischen Anstrengungen als einen zentralen Pfeiler unserer Politik- und Bündnisfähigkeit zu verstehen und deshalb wie einen Augapfel zu hüten, sind wir seit der Entscheidung für die westdeutsche "Wiederbewaffnung" vor nun bald 50 Jahren diesem Thema meist distanziert, gewissermaßen mit spitzen Fingern gegenübergetreten, weit weniger als außenpolitische Chance denn als innenpolitische Gefahr.
Seit den Tagen Konrad Adenauers stand diese Frage immer weder im Schatten des "Ohne uns!", und das nicht selten auch parteiübergreifend, als zum Beispiel der Bundesverteidigungsminister 1990 die Parole ausgab, wir seien ja künftig nur noch von Freunden umgeben und könnten daher unsere Anstrengungen für Sicherheit und Verteidigung ruhig reduzieren. Unsere heutige militärische Schwäche, das eklatante Mißverhältnis zwischen dem politischen Auftrag für die Bundeswehr und ihren Möglichkeiten und ihrer Ausstattung, ist das Resultat unseres jahrzehntelangen Primats der Innenpolitik und konsumgesellschaftlicher Bequemlichkeit.
Die Bundesrepublik Deutschland steht heute im europäischen Nato-Vergleich hinsichtlich des militärischen Ausgabenanteils am Brutto-inlandsprodukt im letzten Drittel und erheblich unterhalb des Nato-Durchschnitts. Und so ist es denn auch kein Wunder, daß die Vereinigten Staaten den Europäern gerade auch rüstungstechnisch weit davongezogen sind, so daß die Armeen beiderseits des Atlantiks auch militärisch-operativ heute immer weniger miteinander kompatibel sind. Die Deutschen leben heute zwar auf einem Berg von mehr als 1,2 Billionen Euro öffentlicher Schulden, aber nicht etwa durch hohe Militärausgaben, sondern weil sie auf ihr noch immer beträchtliches individuelles Wohl- leben nicht verzichten wollen. Unsere gegenwärtig lauttönende Friedfertigkeit hat eben nicht nur etwas mit Moral und historischer Erfahrung zu tun, sondern auch und nicht zuletzt mit unserer Nichtbereitschaft, Verteidigungs-kosten auch als Zukunftsinvestitionen zu verstehen.
Stets in der Geschichte trugen nicht nur die Starken ihre Verantwortung für ihre Stärke, sondern auch die Schwachen für ihre Schwäche mit allen daraus herrührenden Neigungen zu Beschwichtigung, Unterwerfung und Kapitulation. Gerade auch die Deutschen haben in der Geschichte des Nordatlantischen Bündnisses immer wieder nach dem Motto gelebt "Im Schoß des Großen Bruders ist gut ruhen" und in diesem Vertrauen ihren Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung immer kleiner werden lassen. Inzwischen können wir nicht nur auf unsere "leeren Kassen" verweisen, wir kompensieren das dann auch noch mit unserem moralischen Zeigefinger als internationalem Markenzeichen.
Die rotgrüne sogenannte "Re- formära" im Zeichen der "ökosozialen Erneuerung" endet derzeit mit einem doppelten Desaster: der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit durch die versorgungsstaatlich-sozialistische Überforderung der Wirtschaft und gleichzeitig der "Dekonstruktion des Ansehens und des Einflusses, die Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges erwarb". Die FAZ hat leider recht. Mit den Acht-undsechzigern an der Regierung haben die Deutschen sich Unglück eingehandelt. Und dabei haben wir von den vielen anderen Bereichen noch gar nicht gesprochen, in denen diese Regierung gegen die nationalen Interessen verstößt ...
Vom Springer-Fresser zum Medienkanzler: Der Verlag des Axel Springer war den 68ern Haß-Objekt Nummer eins. Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke im Frühjahr 1968 versuchten aufgeputschte Linksradikale - wie hier in Berlin - die Zentralen des Unionsnahen Pressegiganten zu stürmen. 30 Jahre später hatte sich das Bild völlig verändert. Im Rausch der "Neuen Mitte" war der Altlinke Schröder zum "Medienkanzler" mutiert.
Professor Dr. Klaus Hornung lehrte in den vergangenen vier Jahrzehnten Politikwissenschaft in Reutlingen, Freiburg und Stuttgart. Ganz im Sinne seiner akademischen Lehrer Theodor Eschenburg und Arnold Bergstraesser verstand er diese Disziplin stets als "praktische Wissenschaft", so daß er sich auch außerhalb der Universität mit publizistischen und journalistischen Beiträgen in den politischen Alltag ein- mischte - und dies dankenswerterweise auch weiterhin tut. Die Wiedervereinigung Deutschlands war ihm ein zentrales Anliegen; ab 1990 stand die Frage im Vordergrund, wie die Zukunft des vereinten Landes zu gestalten sei. Dabei stellte er die Werte und Tugenden Preußens besonders heraus, zum Beispiel auch als Festredner der zentralen Gedenkveranstaltung der Freundeskreis Ostdeutschland zum 300. Jahrestag der ersten preußischen Königskrönung am 18. Januar 1701 in Königsberg.
Zum 75. Geburtstag des Gelehrten ist kürzlich eine von Albrecht Jebens und Stefan Winckler herausgegebene Festschrift erschienen, die sich wie ein "freiheitlich-konservatives Manifest" liest. Die Verfasser der einzelnen Beiträge, zum großen Teil auch Autoren dieser Zeitung, stellen von den unterschiedlichsten Standpunkten aus dar, daß konservatives Denken keineswegs nur rückwärts gewandt ist, sondern auch in positiver Weise in Gegenwart und Zukunft hineinzuwirken vermag.
Albrecht Jebens, Stefan Winckler (Hrsg.): "In Verantwortung für die Berliner Republik. Ein freiheitlich-konservatives Manifest"., Edition Antaios, 500 Seiten, 25 Euro. Zu beziehen über den Buchhandel. |
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